New Scotland Yard:Die Schamlosen

Scotland Yard, der Inbegriff von britischer Seriosität? Von wegen. Immer neue Enthüllungen über Korruption, Rassismus und dubiose Undercover-Aktionen stürzen Londons Polizei in die Krise.

Von Christian Zaschke

The sign outside New Scotland Yard is reflected outside the headquarters of the Metropolitan Police in central London

Der New Scotland Yard in London

(Foto: REUTERS)

Das kantige, faltige Gesicht von Bernard Hogan-Howe wirkt in diesen Tagen noch kantiger und faltiger als sonst. Für gewöhnlich schaut der Chef von Scotland Yard seine Gegenüber so durchdringend an, als wolle er kraft dieses Blickes sagen: Auch du hast etwas zu verbergen. Derzeit blickt Hogan-Howe jedoch eher müde, er wirkt angeschlagen, was daran liegt, dass Scotland Yard sich in einer veritablen Krise befindet. Am Donnerstag kam ans Licht, dass die Londoner Polizei die Eltern des 1993 ermordeten Teenagers Stephen Lawrence durch einen Undercover-Agenten hat überwachen lassen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass korrupte Beamte die Ermittlungen in dem Mordfall verschleppten. "Das war einer der schlimmsten Tage meiner Laufbahn", sagte Hogan-Howe am Freitag. Innenministerin Theresa May nannte die Enthüllungen "zutiefst schockierend und verstörend" und ordnete eine Untersuchung an. Scotland Yard habe "schweren Schaden" genommen.

Der Name Scotland Yard leitet sich von der Adresse des vormaligen Hauptquartiers der Metropolitan Police ab, kurz Met genannt, die für den Großraum London zuständig ist. Skandale umwölkten die Met in ihrer 185 Jahre währenden Geschichte immer wieder, dennoch hat sie ein sehr gutes Image. Das wird zum einen durch freundliche, unbewaffnete Bobbies geprägt, die geduldig mit Touristen für Fotos posieren, zum anderen durch Film und Literatur, wo die Männer und Frauen von Scotland Yard meist als ehrliche, verlässliche und unbestechliche Beamte auftreten.

Bernard Hogan-Howe new Metropolitan Police commissioner

Der Chef von Scotland Yard: Bernard Hogan-Howe

(Foto: dpa)

Dass dieses Bild nicht immer der Realität entspricht, hat sich in jüngerer Zeit öfter gezeigt. Im Zuge des britischen Abhörskandals - eine Zeitung hatte die Telefone von hunderten Prominenten und Opfern von Verbrechen gehackt - kam auch ans Licht, dass Londoner Polizisten jahrelang gegen Schmiergelder Informationen an die Presse gegeben haben. Der Vorgänger von Met-Chef Hogan-Howe musste 2011 zurücktreten, weil er sich von einem Journalisten in ein feines Kurhotel hatte einladen lassen.

Auch die sogenannte "Plebgate"-Affäre schadete dem Ansehen der Polizei enorm. Im Herbst 2012 wollte der damalige Parlamentarische Geschäftsführer der Tories, Andrew Mitchell, den Amtssitz von Premierminister David Cameron mit seinem Fahrrad verlassen. Er bat die wachhabenden Polizisten, ihm das Haupttor zu öffnen. Diese beschieden, er solle absteigen und das Fußgängertor nehmen. Mitchell reagierte leicht genervt, aber er stieg ab und schob. Die Beamten steckten der Presse, Mitchell habe sie als "verdammte Plebejer" beschimpft, was im klassenbewussten Großbritannien wochenlang für Diskussionen sorgte. Mitchell musste zurücktreten. Mittlerweile ist klar: Die Beamten haben die Vorwürfe frei erfunden und falsche Zeugen besorgt, vermutlich, weil sie sauer waren über Budgetkürzungen bei der Polizei. Anfang dieses Jahres musste sich Hogan-Howe bei Mitchell entschuldigen.

Das sehr gute Image gehört der Vergangenheit an

Auch am Freitag musste sich Hogan-Howe entschuldigen, diesmal bei Doreen und Neville Lawrence, deren Sohn Stephen 1993 in Südlondon von einer Gang weißer Jugendlicher wegen seiner schwarzen Hautfarbe erstochen wurde. Erst 2012 wurden die beiden Haupttäter verurteilt. Eine jetzt veröffentliche Untersuchung ergab, dass die Polizei 1999 einen Ermittler ins Umfeld der Familie einschleuste, um Informationen über die Lawrences zu sammeln. Diese hatten immer wieder Korruption und institutionellen Rassismus der Polizei beklagt und erreicht, dass sich eine Untersuchungskommission mit den schleppenden Ermittlungen beschäftigte. Scotland Yard wollte sich dem aktuellen Bericht zufolge "einen heimlichen Vorteil" gegenüber der Familie verschaffen. Zudem sei "nicht auszuschließen", dass die Ermittlungen in dem Mordfall wegen Korruption nicht vorankamen.

Das Ehepaar Lawrence reagierten schockiert. Doreen Lawrence, die seit Jahren für Bürgerrechte kämpft und mittlerweile im britischen Oberhaus sitzt, sagte, die Verfehlungen in der Polizei reichten "bis ganz nach oben". Sie forderte personelle Konsequenzen und eine strafrechtliche Verfolgung der beteiligten Beamten. Neville Lawrence sagte, nun komme ans Licht, was er immer schon gewusst habe. Von der angekündigten Untersuchung verspricht er sich allerdings nicht viel: Er könne der Polizei nicht mehr trauen.

Die von Innenministerin Theresa May angeordnete Untersuchung soll sich nicht nur mit dem Fall Lawrence, sondern mit sämtlichen Undercover-Aktionen der Sondereinheit "Special Demonstration Squad" beschäftigen, die 2006 aufgelöst wurde. Scotland-Yard-Chef Hogan-Howe sagt: "Ich kann die Geschichte nicht umschreiben und Geschehenes ungeschehen machen. Aber ich trage die Verantwortung dafür, dass die Londoner Bürger der Met jetzt und in Zukunft vertrauen können. Wir müssen nun wohlüberlegt vorgehen und die Probleme direkt anpacken."

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