Natascha Kampusch:Aus dem Keller ins Scheinwerferlicht

Mit zehn Jahren wurde sie entführt, mit 18 gelang ihr die Flucht. Am Mittwochabend haben ORF und RTL das erste Interview mit ihr ausgestrahlt.

Wolfgang Simonitsch

Sie wirkt im Fernsehen gar nicht verschreckt. Auch nicht wie ein armes Entführungsopfer. Ihre leicht gerötete Nase stammt von einer Verkühlung. So berichtet es ihr PR-Berater Dietmar Ecker. Natascha Kampusch spricht erstaunlich selbstsicher über ihre Ausbildungswünsche, liebevoll über die Mutter, eindrucksvoll von der jahrelang erlebten Einsamkeit in ihrem Gefängnis unterhalb einer Garage und davon, wie viel Mut sie für ihre vor zwei Wochen geglückte Flucht gebraucht habe.

Wenn sie von ihm gelegentlich zum Einkaufen mitgenommen worden ist, habe sie öfter andere Menschen angeschaut, jedoch vergeblich "mit den Augen um Hilfe gebeten", sagt sie. Kampusch träumt auch davon, mit ihren Eltern einmal eine Kreuzfahrt zu machen.

Der erste Schritt in ein normales Leben

Die am Mittwochabend erstmals öffentlich aufgetretene Frau verblüfft Fernsehzuschauer aber auch mit einer Ankündigung, die ihr kaum jemand zugetraut hat: Die mit zehn Jahren entführte, in einem winzigen Verlies mit Büchern, Radio und Fernseher achteinhalb Jahre lang gefangen gehaltene Frau kündigt an, bis auf einen kleineren Fixbetrag fast das gesamte, durch den medialen Verkauf ihres Schicksals herein gespielte und auf Spendenkonten gesammelte Geld Menschen zu Gute kommen zu lassen, denen Ähnliches widerfahren ist wie ihr. Für deren Therapie soll eine spezielle Natascha-Kampusch-Foundation eingerichtet werden, die wohl über etliche 100.000 Euro verfügen wird können. Sie kündigte ebenfalls an, ein Buch zu schreiben.

Mit ihrem 40 Minuten langen, am Dienstag in Wien binnen zwei Stunden vom ORF aufgezeichneten TV-Auftritt wollte Kampusch den ersten Schritt in ein normales Leben machen. Das zunächst vom ORF zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr als Straßenfeger in Österreich und eine Stunde später vom Kölner Privatsender RTL gegen Bezahlung in Deutschland ausgestrahlte Erst-Interview sollte dem zuletzt riesigen Medienhype zumindest die Spitze nehmen.

Allzu Privates wird ausgespart

Deshalb ist Frau Kampusch nicht, wie es Berater der 18-jährigen zunächst geplant hatten, im TV nur in Umrissen erkennbar gewesen oder hinter einer Perücke oder Sonnenbrille versteckt worden. Denn diverse Boulevardblätter hätten gedroht, notfalls Paparazzi-Fotografen für das Bild der echten Natascha Kampusch nach Wien in Marsch zu setzen, erzählt deren Medienberater Dietmar Ecker. Deshalb sei entschieden worden, Kampusch gleich, aber immerhin nach eigenen Spielregeln zu zeigen.

Deshalb sitzt die Frau auf weißen Polstermöbeln im grellen Scheinwerferlicht und antwortet auf davor abgesprochene Fragen, auch über ihren Entführer, den nach ihrer Flucht in den Selbstmord geflohenen Wolfgang Prikopil. Allzu Privates wird ausspart. Kampuschs Gesicht, das mit dem davor einzig kursierenden, am Computer erzeugten Foto wenig Ähnlichkeit hat, ist gut zu sehen. Abgedeckt sind nur die Haare. Zudem haben Visagisten des ORF mit Puder und Schminke ganze Arbeit geleistet, sagt Ecker. "Wir wollten nicht, dass sie später auf der Straße von allen erkannt wird" erklärt er.

Zur eventuellen Wiedererkennung der bis Mittwoch von Polizei und Beraterteam vor der Öffentlichkeit streng abgeschirmten Frau haben am Mittwoch auch Österreichs größtes Boulevardblatt, die Neue Kronen Zeitung (50-Prozent-Anteilseigner: die deutsche WAZ-Gruppe) und das zu Bertelsmann gehörende Wiener Boulevard-Magazin News beigetragen.

Hoffen auf rasches Ende des Medienrummels

Die beiden hatten Kampusch Wohnung, Ausbildung und Job angeboten und mit diesem Paket das Rennen um die Print-Exklusivrechte gemacht. Dieses ist schon am späten Mittwochnachmittag kräftig genutzt worden. Die Kronen Zeitung war mit dem ersten von fünf angekündigten Teilen ihrer Kampusch-Interview-Serie "Was ich sagen will" schon um 16.30 Uhr und damit Stunden vor dem üblichen Abendverkauf auf dem Wiener Zeitungsmarkt. Auch News drückte tüchtig aufs Tempo.

In diesem Interview sagt Frau Kampusch, sie habe in ihrem Verlies manchmal auch daran gedacht, ihren Entführer zu ermorden, letztlich habe sie aber keinen Menschen umbringen wollen. Sie habe vor dem Tod keine Angst gehabt, "für mich bedeutet der Tod die endgültige Freiheit". Sie habe sich in der Gefangenschaft "gefühlt wie ein armes Hendl in einer Legebatterie". Die Enge im Keller sei "grauenvoll" gewesen. Sie habe "nie verstanden, eingesperrt zu sein, ohne dass ich etwas getan hätte". Über ihre Mutter sagte Kampusch, man tue ihr Unrecht: "Ich liebe sie und sie mich." In den vergangenen Wochen hätten beide mehrmals Kontakt gehabt.

Kampuschs Betreuer hoffen nun auf ein rasches Ende des Medienrummels. Bei persönlichen Kontakten müsse sie aber noch sehr vorsichtig sein, erklärte Kampuschs Jugendanwältin Monika Pinterits. Die junge Frau sei noch ohne Impfungen, für Krankheiten anfällig und aktuell auch stark verkühlt. Auch der Umzug in eine eigene Wohnung werde noch dauern. Zudem müssten noch Leute, auch Gleichaltrige ausgesucht werden, die Kampusch regelmäßig besuchen, sie an die Gesellschaft gewöhnten.

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