Nach der Ballon-Fabel:Geschäftsprinzip: heiße Luft

Wie Menschen versuchen, die Medien mit erfundenen Geschichten bloßzustellen - und dabei selbst ein bisschen berühmt zu werden.

Hans-Jürgen Jakobs

Es war eine dieser Geschichten, von denen sich die Fernsehnation USA gerne rühren lässt. Ein selbstgebauter Heißluftballon schwebte stundenlang über dem US-Staat Colorado, angeblich mit dem sechsjährigen Falcon als Passagier. TV-Kameras und Reporter verfolgten die Fahrt, und als das Fluggerät endlich fast 100 Kilometer von Falcons Elternhaus landete, war der Ballon leer.

Nach der Ballon-Fabel: Stundenlang berichteten Fernsehsender live über den "Ballon Boy" - doch es war alles Show.

Stundenlang berichteten Fernsehsender live über den "Ballon Boy" - doch es war alles Show.

(Foto: Foto: dpa)

Der Kleine soll sich angeblich vorher versteckt haben, ein Dummer-Jungen-Streich also, erzählte der Vater Richard Heene in Jeans und T-Shirt auf einer Pressekonferenz vor seinem Haus in Fort Collins. Er wirkte dabei wie eine Figur aus der TV-Realitysendung "Wife Swap" ("Frauentausch"), in der er und seine Familie aufgetreten war. Das war vorige Woche.

Eine Viertelstunde Prominenz

Inzwischen ist längst klar, dass es Papa Heene auf einen PR-Gag abgesehen und die leere Ballonfahrt inszeniert hatte. Alles Lüge, alles Show. Der Mann wollte offenbar einmal richtig bekannt werden, bekannter jedenfalls als in einer zweitklassigen Fernsehserie. Er war 15 Minuten weltberühmt. Eine solche Viertelstunde Prominenz hatte der Pop-Art-Künstler Andy Warhol 1968 jedem Menschen vorhergesagt.

Die Ballade vom "balloon boy" fügt sich ein in eine Reihe erfundener Medien-Geschichten. Sie machen ebenso rasch Karriere, wie später die Heißluft aus ihnen entweicht. Offenbar finden Leute viel Spaß daran, mit journalistischer Mogelware Aufmerksamkeit zu erlangen, das wertvollste Gut der modernen Gesellschaft.

Die "Ente" als Aufmacher

Das falsche Spiel mit dem "hoax", wie der Hokuspokus verkürzt im Englischen heißt, legt zugleich Schwächen im Journalismus bloß. Dort kollidieren zwei Prinzipien: Einerseits sollen - immer schneller, immer greller - Sensationsstorys erscheinen, um Auflage oder Quote zu machen; andererseits fehlt es vielen Redaktionen an Geld und Ausstattung, um Informationen zu überprüfen. So wird die "Ente" zur Schlagzeile, die Falschmeldung zum Aufmacher. Über Online-Medien, Twitter und Facebook verbreitet sich der Schabernack in Rekordgeschwindigkeit.

Das Geschäft sei hektischer geworden, sagt der Journalistik-Professor Stephan Ruß-Mohl: Journalisten würden "weniger checken und etwas schneller in Umlauf setzen". Zur Beschleunigung würde das Internet beitragen, in dem sich "Hinz und Kunz tummeln".

Quatschgeschichten für die Medien

Filmemacher haben sich inzwischen auf die Entzauberung von Medienmechanismen spezialisiert - um so selbst PR für ihre Produktionen zu machen. Der Brite Chris Atkins beispielsweise hat für den Dokumentarfilm "Starsuckers", der Ende Oktober ins Kino kommt, zwei Jahre lang die Medien mit allen möglichen Quatschgeschichten gefüttert.

Seine Glanzleistung war die haarige Exklusiv-Information über ein tragisches Missgeschick der Sängerin Amy Winehouse: Demnach sei ihre Bienenkorbfrisur durch einen Funkenflug in Brand geraten. Der Mirror und der Star druckten die Feuer-Story, Blätter in aller Welt zogen nach. Auch hier galt, wie bei der amerikanischen Ballonfahrt, das Geschäftsprinzip heiße Luft.

Ein anderes Mal meldete sich eine "Starsuckers"-Mitarbeiterin als angebliche Frau eines Möbelpackers bei der Boulevardzeitung Sun und erzählte, ihr Mann habe bei einem Umzug der Popsängerin Sarah Harding von der Gruppe Girls Aloud ganz viele Bücher über Quantenphysik und Astronomie getragen. "Sarah ist ein Superhirn. Sie liest ganz viele Bücher, die einem den Schädel platzen lassen", hieß es bald darauf in dem Blatt.

Gefälschte Informationskette

Der deutsche Regisseur Jan Henrik Stahlberg wiederum ließ sich als Werbung für seine Mediensatire "Short Cut to Hollywood" kürzlich, einen Tag vor dem 11. September, die Aktion "Bluewater" einfallen. Es ging dabei um zwei Explosionen in einem Restaurant der kalifornischen Kleinstadt Bluewater, über die ein Lokalsender namens VPK-TV berichtet habe. Später hieß es, der angebliche Selbstmordanschlag sei ein böser Scherz der deutschen Rap-Formation "Berlin Boys" gewesen - doch so heißen nur die Hauptfiguren in Stahlbergs Film. Nicht mal die Stadt Bluewater gibt es.

Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite, warum Kevin Kuranyi entlassen wurde und was es mit schlankmachenden Drogen auf sich hat.

Das "Paris-Hilton-Schlüpfer-rutscht-Syndrom"

Der Regisseur hatte die komplette Informationskette mit gefälschten Telefonnummern und Websites konstruiert, ein taz-Redakteur war involviert. Er habe die Lust an Skandalen aufgespießt, sagte Stahlberg und sprach vom "Paris-Hilton-Schlüpfer-rutscht-Syndrom". Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) war wie andere Agenturen und Online-Portale auf die Sache hereingefallen und stellte später schärfere Regeln im Umgang mit exklusiver Nachrichtenware auf. Wenn alles zu schön ist, um wahr zu sein, dann ist eine Geschichte vielleicht einfach unwahr, erkannten die Macher.

Paris Hilton, getty images

Hat sie oder hat sie nicht? Vor allem die Schlüpfer-Frage heizte die Mediendiskussionen um Paris Hilton an.

(Foto: Foto: getty images)

Doch was ist schon wahr? Der Gegenstand oder sein Abbild? "Ceci n'est pas une pipe", dies ist keine Pfeife, schrieb der Maler René Magritte noch unter das Bild, das eine Pfeife zeigt. Das war ein Statement. Inzwischen gibt es durch die Shows im Privatfernsehen einen ganz neuen Surrealismus.

Ein Deutscher brachte es beispielsweise fertig, in zehn verschiedenen Rollen als Gast durch Talkshows zu tingeln. Da sich für die beliebten Doku-Reality-Soaps inzwischen kaum mehr Freiwillige finden, die sich filmen lassen, müssen Laiendarsteller ran. Sie mimen, was sich in jedem Haushalt abgespielt haben könnte.

Die schönsten Geschichten, das wussten Boulevardjournalisten schon immer, schreibt das Leben. Aber so lange hat keiner Zeit. Es kann auch schneller gehen - nach Drehbuch.

Besser als die Realität

Die Inszenierung, so die Hoffnung, könnte besser sein als die Realität. Früher musste ein Redakteur zwei voneinander unabhängige Quellen haben, sagte der Schauspieler und Journalistensohn George Clooney, als er jüngst auf die Pandemie gefälschter Storys angesprochen wurde: "Aber diese Regel scheint nicht mehr zu bestehen." Es werde nicht mehr berichtet, sondern einfach nur ein anderes Medium zitiert - die perfekte Voraussetzung für einen Hoax.

Große Fälschergeschichten haben Tradition. So narrte der Ingenieur Arthur Schütz unter Alias-Namen wie Erich Ritter von Winkler vor fast hundert Jahren in etlichen Fällen die angesehene Wiener Zeitung Neue Freie Presse. Schütz wollte Journalisten erziehen, sie auf ihre Schwächen hinweisen. So berichtete er im November 1911 von seinem "Grubenhund" im Labor, der eine halbe Stunde vor Beginn eines Bebens schon unruhig geworden war - "Grubenhund" ist eine Bezeichnung für Güterwagen im Untertagebau. Auch brachte Schütz Phantasieschöpfungen wie ovale Wagenräder, feuerfeste Kohlen, plombierte Zahnräder oder "Degeneratoren" in Umlauf.

Edlen Motiven diente im Dezember 1917 das Kunststück des Journalisten Henry Louis Mencken, der in der New York Evening Mail über das seiner Meinung nach vergessene 75. Jubiläum der Badewanne räsonierte. Erst als US-Präsident Millard Fillmore eine Wanne im Weißen Haus installieren ließ, sei sie anerkannt gewesen, schrieb er. Mencken hatte mit dem Fake-Stück nach eigenen Aussagen ein bisschen Spaß in öden Kriegstagen verbreiten wollen. Die Fillmore-Anekdote hielt sich immerhin noch Jahrzehnte in den Medien.

Hitler-Tagebücher und erfundene Fernsehreportagen

Den ersten großen Erfolg hatte das Hoax-Genre 1938, als Orson Welles in einer erfundenen Radioreportage über die Invasion von Marsmenschen auf der Erde berichtete. Nicht minder wirksam war 1983 die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher durch die Illustrierte Stern, deren elektronischer Ableger "Stern-TV" einige Jahre später 20 erfundene Fernsehreportagen folgen ließ, zum Beispiel über Katzenjäger, Froschschlecker und Ku-Klux-Klan-Aktivisten. Hier machte sich der Journalist Michael Born interessanter, als er wirklich war.

Als das Internet mit seinen News-groups Mitte der Neunziger aufkam, verbreiteten sich seltsame Nachrichten wie jene, ein vor New York abgestürztes TWA-Flugzeug sei von einer amerikanischen Rakete getroffen worden. Die Lust an der Vermischung von Fakt und Fiktion nahm zu. Mal machte sich BMW für seinen Mini Cooper durch eine esoterische Beilage interessant, die auf einen angeblichen Autoingenieur dieser Marke verwies: Der baue insgeheim Roboter, die Verkehrsunfälle verhinderten.

Fälschung und Einschaltquote

Dann wieder brachten Fälscher im April 2008 einen Beitrag im ARD-Magazin "Polylux" über die "Alltagsdroge Speed" unter, in der ein Abhängiger behauptete, mit Drogen gut abzunehmen. Die Fälschung gehört offenbar zum Medienbetrieb wie die Droge Einschaltquote.

Doch so richtig kam das Jux-Karussell erst in diesem Jahr in Schwung. Da dichtete ein Jungjournalist bei Wikipedia dem neuen Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg den zehnten Vornamen "Wilhelm" hinzu, der es tatsächlich in viele Medien schaffte, auch in die Süddeutsche. Wenig später brachte ein Hacker auf der Homepage von Schalke 04 die Meldung unter, der Stürmer Kevin Kuranyi sei entlassen worden, was dankbar aufgenommen wurde.

"Hoax"-Zeitungen

Auch setzen Organisationen verstärkt auf den "Hoax": Attac verteilte im März eine täuschend ähnliche Pseudo-Ausgabe der Zeit mit utopischen Inhalten, wonach etwa die Banken verstaatlicht seien und Klimasünder zur Kasse gebeten würden. Im Juni wartete Greenpeace mit einer imitierten Ausgabe der International Herald Tribune auf: Hier gab es einen "historischen Deal zur Rettung des Klimas".

Inmitten all der Betrügereien und Manipulationen hat der Eichstätter Journalistik-Professor Walter Hömberg immerhin Hoffnung. Für eine Diplomarbeit an seinem Institut ließ er selbst eine perfekt konstruierte Geschichte über ein neues "Sex-Gen" verbreiten, das im "Arthur-Schütz-Institut" entwickelt worden sei. Sogar eine eigene Homepage gab es dazu. Doch nur einige Berichte erschienen über das neue Gen, dann war die Sache aufgeflogen. Kundige hatten entdeckt, dass die Registrierungsdaten für die Homepage auf die Universität wiesen.

Die Digitalisierung samt Online-Medien habe zwei Gesichter, befindet der Experte Hömberg: Einerseits mache die technische Entwicklung Fälschungen leichter - andererseits könnten sie dadurch auch besser enttarnt werden. Die Gefahrenzonen für journalistische Qualität, so sein Fazit, würden sichtbar "wie unter einem Vergrößerungsglas".

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