Nach dem Tod Marie Trintignants:Romeo und die Blumen des Bösen

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Wie der französische Rocksänger Bertrand Cantat damit klarzukommen versucht, die Schauspielerin Marie Trintignant getötet zu haben.

Von Gerd Kröncke

(SZ vom 19.19.2002) Paris , 18. September - Als ihre Tochter schon einen Monat tot war, hatte Maries Mutter, die Regisseurin Nadine Trintignant, auf ihrem Mobiltelefon zufällig noch eine SMS-Mitteilung gefunden: "Sei weise, o mein Schmerz, und halt dich stiller." Das ist die Eingangszeile eines tieftraurigen Baudelaire-Poems aus den "Blumen des Bösen", in dem auch von "der Peitsche der Lust, dieses Henkers ohne Erbarmen" die Rede ist und vom Tod. Gezeichnet war die rätselhafte Botschaft der Tochter Marie mit: "Deine geprügelte kleine Tochter."

Keiner wird je erfahren, ob dies nur eine Anspielung war auf die Rolle der "Colette" in dem Film, den Marie Trintignant damals gerade unter der Regie der Mutter in der litauischen Hauptstadt Vilnius drehte, oder ob es ein Hilferuf sein sollte. Bei einer nächtlichen Auseinandersetzung mit ihrem Partner, dem Sänger Bertrand Cantat von der Rock-Gruppe Noir-Désir, war Marie Trintignant in einem Hotel in Vilnius so schwer verletzt worden, dass sie nur noch zum Sterben zurück nach Paris geflogen werden konnte. Das war Ende Juli.

Inzwischen hat eine frühere Freundin des Sängers, der stets als ein sanfter Mann gegolten hatte, ihre Aussage zurückgezogen, wonach auch sie von Cantat einst übel zugerichtet worden sei. Weder andere Freundinnen noch die Mutter seiner Kinder, mit der er noch immer verheiratet ist, haben ihn nach eigenen Auskünften als gewaltsamen Partner erlebt. Danach war die Vermutung, wonach der Sänger im intimen Umgang mit Frauen ein übler Schläger gewesen sei, nicht mehr zu halten.

Für die Familie, für den leidenden Vater Jean-Louis Trintignant, der seit einem halben Jahrhundert ein Star des französischen Films ist, ändert das nichts. Dem Sänger mag es die Rolle erleichtern, die er sich selbst zurechtgelegt hat.

Flucht ins Jenseits

In seiner Zelle im Lukiskiu, dem alten Gefängnis von Vilnius, versucht er mit seinem Leben zurechtzukommen und dem Tod der Geliebten seine eigene Deutung zu geben. Er hat, wie der Le Monde-Korrespondent herausfand, offenbar eine Technik entwickelt, die ihm das Weiterleben erträglicher machen soll. Cantat spricht von Marie Trintignant fast ausschließlich in der Gegenwart, so als sei sie noch immer da. Da ist gewiss viel Mitleid mit sich selbst, wenn er einem Briefpartner schreibt, wie schrecklich sie ihm doch fehle, und "wie wir uns lieben jenseits der Grenzen aller Welten", das Schicksal habe "uns einen bösen Schlag versetzt".

Manchmal muss er auch erwogen haben, sich umzubringen. Um seiner Kinder willen und derer, die ihm nahe sind, hat er "der Versuchung widerstanden, Marie ins Jenseits zu folgen". Aus der Welt im Diesseits kommen schlechte Nachrichten, zuletzt die, dass des Sängers Haus im Süden Frankreichs, das leer stand, seit er seine Familie verlassen hatte, von Unbekannten angezündet und zerstört worden ist.

Irdische Feier

Dagegen haben einige, die sich ihm nahe fühlen, neulich in Vilnius eine schöne Fete veranstaltet, um ihre Solidarität zu bekunden, auch wenn der Mann in der Zelle sich nur davon hat erzählen lassen können. Im Café de Paris im französischen Kulturzentrum von Vilnius traf sich alles, was frankophon ist, ein Noir-Désir-Mitglied war auch dabei, man ließ es sich gut gehen bei NoirDésir-Titeln, die der DJ auflegte. Man trank und tanzte, und auf einem großen Bildschirm lief der Film "Betty" von Claude Chabrol mit einer großartigen Marie Trintingnant. Bertrand Cantat soll sich gefreut haben, als er davon erfuhr, aber die trauernde Familie fühlte sich tief getroffen.

Georges Kiejman, ihr Advokat, fand es "einfach würdelos". Konsequenzen allerdings hatte die Affäre nur für den Discjockey. Das war der Gendarm der französischen Botschaft, er ist sofort versetzt worden.

Hin und her

Ursprünglich hatte die litauische Justiz dem französischen Sänger schon Ende September den Prozess machen wollen, während in Frankreich - wäre Cantat ausgeliefert worden - allenfalls ein Jahr später damit zu rechnen gewesen wäre. Doch so schnell geht es denn doch nicht. Weil das Verfahren in Vilnius spielt, sind Übersetzungen hin und her unvermeidlich. Für manches ist Frankreich zuständig, zum Beispiel für die Autopsie, weil Marie Trintignant in Neuilly bei Paris gestorben ist.

Die Verteidiger des Sängers werden wahrscheinlich auf ein Verbrechen aus Leidenschaft plädieren, die litauischen Staatsanwälte hingegen wollen wegen Mordes anklagen. Maître Kiejman glaubt nicht an ein Verbrechen aus Passion: "Und was die Leute betrifft, die Romeo und Julia ins Spiel bringen, seien sie daran erinnert, dass Romeo seine Julia nicht umgebracht hat."

Für die Band Noir Désir ist auch nichts mehr, wie es vorher war. Nur in Litauen sind sie jetzt populärer als zuvor.

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