Mythos Atlantis:Umjubelter Schlammhaufen

Wieder einmal wird die Entdeckung der Legendenstadt Atlantis bekannt gegeben, die der Überlieferung nach einst im Meer versank. Doch ein Hamburger Geophysiker widerlegen die neue "Atlantis"-Entdeckung.

Von Axel Bojanowski

Dieses Mal ist ein Architekt der Glücksbote. Robert Sarmast aus Los Angeles verkündet selbstbewusst: "Wir haben definitiv und unwiderlegbar die Akropolis von Atlantis gefunden".

Bei dem angeblichen Fundort handelt es sich um eine längliche Anhöhe in anderthalb Kilometern Wassertiefe im östlichen Mittelmeer nahe Zypern, die vor 11.000 Jahren untergegangen sein soll. "Es ist ein Wunder, dass wir diese Mauern gefunden haben, deren Länge und Breite genau der Überlieferung entsprechen", jubelt Sarmast.

Sein Pech ist: Deutsche Wissenschaftler haben jüngst in der Region den Meeresboden untersucht - und ihre Ergebnisse lesen sich wie ein höhnischer Kommentar auf die Entdeckung Sarmasts.

Forscher um den Geophysiker Christian Hübscher von der Universität Hamburg fanden auf dem Grund des östlichen Mittelmeers tausende Anhöhen, die der angeblichen "Akropolis" ähneln. "Das sind Schlammvulkane", sagt Hübscher. Solche Vulkane fördern kein Magma, sondern kalten Schlamm, den das Erdgas aus der Tiefe würgt. Im Sommer dieses Jahres erforschten die Hamburger Wissenschaftler das fragliche Gebiet bereits zum dritten Mal.

Mit Sonar-, also Schallwellen, und mit Video-U-Booten erkundeten sie die Unterwassergegend - und fanden sie nicht halb so aufregend vor, wie Sarmast sie beschreibt. "Der Meeresboden ist eine eintönige graue Wüste", berichtet Hübscher. Vereinzelt lägen Gummistiefel und Mülltüten herum. Soll so Atlantis aussehen?

Nein, die Reste der versunkenen Stadt seien natürlich "unter meterdicken Ablagerungen begraben", behauptet Sarmast. Doch die Wirklichkeit sieht wohl anders aus: "Unter 380 Meter dicken Tiefseesedimenten, die auch die seit langem erloschenen Schlammvulkane bedecken, liegen 800 Meter dicke Salzschichten", sagt Hübscher.

Das Salz lagerte sich ab, als das Mittelmeer vor 6,5 Millionen Jahren austrocknete, nachdem es die Verbindung zum Atlantik verloren hatte.

Vor etwa 5,5 Millionen Jahren füllte sich das Mittelmeer wieder - und Wassermassen aus dem Atlantik überfluteten das bis dahin leere Meeresbecken. Das Ereignis präsentiert Sarmast auf seiner Internetseite als Computeranimation und verkauft es als das "Versinken von Atlantis". Zwar ist das Szenario realistisch.

Es gab noch keine menschlichen Wesen

Doch gab es zur dargestellten Zeit noch keine menschlichen Wesen. Und davon, dass Atlantis eine Art Affenstadt gewesen sein soll, war bisher keine Rede - auch nicht bei Sarmast.

Vielmehr möchte der 28 Jahre alte Architekt menschliche Spuren entdeckt haben. Der ihm zufolge "von Menschenhand geschaffene Kanal" am Rand des Hügels - die angebliche "Akropolis" - erweist sich indes bei näherer Betrachtung als Produkt natürlicher Prozesse:

"Beim Ausbruch eines Schlammvulkans entleert sich das Schlammreservoir in der Tiefe, der Vulkan sinkt ein und bildet an seinen Rändern längliche Täler", erklärt Hübscher. Und auch die angeblichen "Mauern" entpuppen sich als Folge eines Naturereignisses: als die Grenze einer Rutschung.

Sarmast hat seine "Entdeckung" im Rahmen einer Pressekonferenz auf Zypern verkündet. Bezeichnend dabei war, dass er weder Unterwasserfotos noch Gegenstände oder andere Indizien von seiner Expedition mitbrachte.

Einzig eine bunte Computeranimation des besagten Hügels zeigte er den anwesenden Journalisten. Die Abbildung stellt alle Strukturen um etwa das Zehnfache überhöht dar - angeblich zur "Verdeutlichung".

Der griechische Philosoph Platon habe diese Strukturen in seiner Schrift über Atlantis beschrieben, behauptet Sarmast. Dabei macht es nicht nur die Entstehungszeit der Hügel fraglich, ob Platon die Gebilde jemals zu Gesicht bekommen konnte: Laut Christian Hübscher gibt es keine Anzeichen dafür, dass die entdeckte Anhöhe jemals aus dem Meer geragt hätte.

"Es müssten dann Spuren von Erosion zu sehen sein, schroffe Muster, die Wind oder Flüsse an Land hinterlassen." Doch nichts dergleichen ist zu finden: "Wir sahen nur fein geschichteten, grauen Schlamm", berichtet Hübscher.

Zudem ist kaum zu erklären, wie ein Stück Land in 11.000 Jahren anderthalb Kilometer tief ins Meer versinken soll. Zwar hatte die nacheiszeitliche Gletscherschmelze den Meeresspiegel steigen lassen, allerdings nur um etwa 100 Meter. "Und tektonische oder vulkanische Bewegungen kommen nicht in Frage", sagt Hübscher. Wolle man in der Region nach versunkenem Land suchen, das von Menschen besiedelt war, sei das nur vor der türkischen Küste sinnvoll, wo das Wasser flacher ist als 100 Meter.

Sarmast ficht das jedoch nicht an. Seiner 200.000 Dollar teuren Expedition will er eine noch kostspieligere folgen lassen: um "die Ablagerungen abzutragen und die Stadt freizulegen".

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