Mordserie in Krankenhäusern:Vier Mitarbeiter im Fall Högel angeklagt

Klinikum Delmenhorst

Klinikum Delmenhorst: Im Juni 2005 war der Pfleger Niels Högel schon einmal wegen versuchten Totschlages festgenommen worden.

(Foto: dpa)
  • Der Krankenpfleger Niels Högel soll mehr als 100 Patienten in Delmenhorst und Oldenburg getötet haben; sein Prozess beginnt im Herbst.
  • Nun hat das Oberlandesgericht Oldenburg auch die Klagen gegen zwei Ärzte, den Pflegedienstleiter einer Intensivstation und seine Stellvertreterin zugelassen.
  • Sie sollen nicht eingeschritten sein, obwohl sie weitere Tötungsdelikte durch Högel für möglich gehalten haben.

Von Annette Ramelsberger, Oldenburg

Es gab schon seit Monaten den Verdacht, dass etwas nicht stimmen konnte. Krankenschwestern, die sagten, sie wollten nicht mehr arbeiten mit dem Pfleger, bei dem ständig Komplikationen auftauchten, wie aus dem Nichts. Eine Kollegin sagte zu ihm: "Du betrittst meine Patientenzimmer nicht mehr." Und dann überraschten sie ihn. Auf frischer Tat. Der Mann stand am 10. Mai 2005 im Krankenhaus Delmenhorst bei Bremen am Bett eines Patienten, der gerade noch friedlich schlief, jetzt hatte er plötzlich Herzkammerflimmern. Die Krankenschwester, die ins Zimmer kam, vermutete Schreckliches. Sie zog einen Kollegen ins Vertrauen. Der fand vier Ampullen eines Herzmedikaments im Abwurfbehälter. Das Medikament verursacht Herzstillstand. Sie hatten den mutmaßlich größten Serienmörder Deutschlands überführt: Niels Högel, ihm hat die Staatsanwaltschaft mittlerweile mehr als 100 Morde an hilflosen Patienten nachgewiesen.

Doch was müssen Pflegekräfte und Ärzte in einem solchen Fall tun? Müssen sie tätig werden, selbst wenn ihnen der Pflegedienstleiter über den Mund fährt und der Krankenschwester sagt, das sei nicht ihre Sache? Wer ist mitverantwortlich? Die Ärzte, die schon länger ein ungutes Gefühl hatten und dennoch ihre Patienten auf die Station verlegten? Der Pflegedienstleister, der lieber nicht die Polizei informieren wollte? Oder auch die Krankenschwester, die zu ihrem Chef ging, aber dann eine Abfuhr bekam? Und aus Frustration dann nichts mehr unternahm - während Niels Högel weiter tötete. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft noch dreimal. Zwei weitere Patienten hatten Glück und überlebten.

Mit diesen Fragen hat sich nun das Oberlandesgericht Oldenburg ein ganzes Jahr lang beschäftigt. Am Freitag hat es die Anklage gegen zwei Ärzte, den Pflegedienstleiter der Intensivstation und seine Stellvertreterin zugelassen. Die Staatsanwaltschaft wollte auch noch den Pfleger, der die Ampullen gefunden hatte, anklagen und eine weitere Krankenschwester - doch das hat das OLG nicht zugelassen.

Frust als Entschuldigung lässt das OLG nicht gelten

Die Entscheidung ist brisant: Denn nun werden vier Ärzte und Pflegeverantwortliche vor Gericht gestellt, der Vorwurf lautet Totschlag durch Unterlassen. Das OLG erklärt, die Verantwortlichen hätten nach dem Tod von Patienten in ihrem Krankenhaus die Begehung weiterer Tötungsdelikte durch Högel für möglich gehalten, seien aber nicht eingeschritten. Dadurch hätten sie die Taten billigend in Kauf genommen.

Insbesondere eine Entschuldigung lässt das OLG nicht gelten: Frust. Eine Krankenschwester hatte angegeben, sie habe, nachdem ihr der Vorgesetzte über den Mund gefahren sei, aus Frustration und Hilflosigkeit nichts mehr unternommen. Das Landgericht hatte eine Anklage gegen die Krankenschwester deswegen noch abgelehnt. Begründung: Sie sei zwar passiv geblieben, aber das heiße nicht, dass sie die Taten von Högel gebilligt habe. Das OLG sieht das anders. Nur weil die Frau keinen Ärger mit ihrem Chef haben sollte, sei das keine Rechtfertigung dafür, Högels Treiben passiv zuzuschauen. Die Frau hätte an die nächste Führungsebene herantreten müssen. Ihre Kollegin hatte einen Monat später bei einem weiteren verdächtigen Vorfall mit Högel die Klinikleitung verständigt, dann sei die Sache ins Rollen gekommen. Sie steht jetzt nicht vor Gericht - obwohl der verdächtige Pfleger auch zu diesem Zeitpunkt nicht sofort aus dem Dienst entfernt wurde und noch einmal zuschlug.

Der Serienmörder steht von Herbst an vor Gericht. Seine Vorgesetzten, die ein ungutes Gefühl hatten, aber nichts taten, sitzen vermutlich dann nächstes Jahr auf der gleichen Anklagebank.

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