Mordfall in Emden:Polizei gesteht schwere Versäumnisse ein

Im November schon zeigte sich ein junger Mann in Emden an: Er habe kinderpornografisches Material gesammelt und selbst angefertigt. Vier Monate später tötet er ein elf Jahre altes Mädchen. Der Durchsuchungsbeschluss für seine Wohnung lag seit Ende Dezember vor, wurde jedoch nie umgesetzt. Nun ermittelt die Polizei intern.

Die Journalisten erwarten Details zum Tathergang im Mordfall Lena, zu möglichen Motiven des Täters, als der stellvertretende Polizeipräsident zu einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz bittet. Doch Friedo de Vries erwähnt den aktuellen Mordfall am späten Dienstagnachmittag nicht. Stattdessen berichtet er von schweren Versäumnissen der Polizei in den Monaten vor dem Mord.

De Vries greift auf, was in Teilen schon zuvor bekannt geworden war: Der geständige 18-jährige Mörder war der Polizei seit Monaten bekannt. Allerdings wurde nicht nur wegen des Besitzes von kinderpornografischem Material gegen ihn ermittelt, wie schon am Nachmittag verlautet war. Der Mann sei wenige Monate nach einem ersten Verdacht im September 2011 auf der Wache in Emden erschienen und habe sich selbst angezeigt.

Dabei gab der junge Mann an, kinderpornografische Bilder und Videos gesammelt und auch selbst angefertigt zu haben. Er sagte aber auch, dass er "aktiv gegen seine Neigung" vorgehe und sich bereits in fachlicher Betreuung befinde. Der stellvertretende Polizeipräsident schildert, wie der Fall immer wieder zwischen zwei zuständigen Stellen bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft Hannover hin- und her gereicht wird. Seit 30. Dezember liegt ein Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Mannes vor. Umgesetzt wurde er jedoch erst nach dem Tod des Mädchens. In der Wohnung seien Gegenstände vom Tatort als auch vom Tatort einer versuchten Vergewaltigung im November 2011 beschlagnahmt worden, teilte die Mordkommission am Dienstag mit.

De Vries kündigt eine "zwingende und rückhaltlose" Aufklärung dieser "nicht nachvollziehbaren Verzögerungen" an. Weitere Details nennt er nicht, sagt nur, dass die Mordkommission "Parkhaus" ausdrücklich von diesen Vorwürfen ausgenommen sei. Auf die Frage, die nicht nur Journalisten umtreibt, will er aber nicht eingehen: Könnte Lena noch leben? "Solchen Spekulationen will ich keinen Raum geben", sagt er.

Polizeitaucher sollen nach Beweismitteln suchen

Indes kündigten die Ermittler an, dass Polizeitaucher am Mittwoch in den städtischen Wallanlagen nach Beweismitteln suchen sollen. Ob sie dort die Tatwaffe vermuteten oder wie diese aussehe, sagten sie jedoch nicht.

Die elfjährige Lena war am 24. März in einem Parkhaus in Emden tot aufgefunden worden. Nachdem zuerst ein Jugendlicher verhaftet und zwei Tage später wieder freigelassen worden war, wurde am Samstag Haftbefehl gegen den inzwischen geständigen 18-Jährigen erlassen.

Weil bald nach der ersten Festnahme Lynchaufrufe im Internet kursierten ermittelt die Polizei inzwischen gegen mögliche Anstifter. Unterdessen rief der Deutsche Presserat die Medien bei der Berichterstattung über Kriminalfälle dazu auf, journalistische Standards zu beachten. Das gelte vor allem für die Unschuldsvermutung von Beschuldigten, sagte eine Sprecherin.

Die Stadt Emden will ihrerseits ein Zeichen gegen Vorverurteilungen und Selbstjustiz setzen. Stadtverwaltung, Kirchen, DGB und Stadtsportbund riefen die Bevölkerung zu einer Solidaritätsveranstaltung an diesem Freitag vor dem Rathaus auf. Dort soll die Verbundenheit mit allen Opfern und Betroffenen der Tragödie bekundet werden.

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