Mord an Kinder-Schönheitskönigin:Hysterie braucht keine Beweise

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Der Mann, der schon als sicherer Mörder von JonBenet Ramsey galt, ist einem DNS-Test zufolge unschuldig.

Reymer Klüver

Es ist ohnehin eines der bizarrsten ungeklärten Verbrechen in Amerika. Und nun ist der Mordfall JonBenet Ramsey um noch eine weitere, man könnte fast sagen, irre Wendung reicher.

John Mark Karr wird ins Boulder County Gefängnis zurückgebracht, nachdem die Vorwürfe gegen ihn fallen gelassen wurden. (Foto: Foto: AP)

Am Montag ließen die Behörden in Boulder, Colorado, alle Vorwürfe gegen den 41-jährigen Lehrer John Karr fallen. Nichts, gar nichts haben sie in der Hand. Und das, nachdem sie den Mann in Bangkok hatten festnehmen lassen und unter spektakulären Umständen in die USA geschafft hatten.

Alles begleitet von einer geradezu hysterischen Berichterstattung der amerikanischen Medien, bei der der nicht ganz unwichtige Umstand keine Rolle mehr spielte, dass dieser wunderliche, schmächtige Kerl noch nicht einmal angeklagt war.

Modenschauen mit Lolitas

Das hätte am Montagabend geschehen sollen. Doch dann erklärte die Staatsanwältin von Boulder, Mary Lacy, dass eine DNS-Probe Karrs nicht mit den Spuren übereinstimmte, die in der Unterwäsche des Mädchen gefunden worden waren.

Zudem hätten Karrs Angehörige Beweise vorgelegt, die bestätigten, dass er zur Tatzeit in Atlanta und nicht in Boulder gewesen sein muss. Dort war die sechsjährige JonBenet Weihnachten 1996 erdrosselt worden.

Damals waren ihre Eltern in Verdacht geraten, die ihre Tochter regelmäßig auf merkwürdige Modenschauen geschickt hatten, bei der kleine Mädchen zu Lolitas gemacht werden.

Noch immer ist nicht restlos klar, warum die Ermittler in Boulder glaubten, Karr in Bangkok festnehmen lassen zu müssen, und auf welche Fakten sie ihren Verdacht stützten.

"Es gibt keine Beweise außer seinen eigenen Einlassungen, die Herrn Karr mit dem Verbrechen in Verbindung bringen", musste die Staatsanwältin einräumen.

Am Montag veröffentlichte sie allerdings mehr als 400 Seiten Mitschriften von E-Mails und Telefonaten zwischen Karr und Michael Tracey, einem Journalistik-Professor der Universität von Colorado, der sich auf den Fall spezialisiert hatte.

Darin hatte Karr angegeben, Geschlechtsverkehr mit der Sechsjährigen gehabt zu haben. Er bat den Professor, Kontakt zu den Eltern herzustellen, "um zu erklären, was in jener Nacht geschehen ist, und zu sagen, dass es nie die Absicht gab, sie zu töten".

Es waren also offenbar derlei Selbstbezichtigungen, die zu der spektakulären Festnahme führten und dem Beschuldigten die Momente öffentlicher Aufmerksamkeit bescherten, auf die er vielleicht lange gehofft hatte.

Heirat mit einer 13-Jährigen

In den Tagen nach Karrs Ankunft in den USA waren Details einer Biografie bekannt geworden, die seine Geschichte nur noch merkwürdiger erscheinen ließen.

Mit 19 hatte er eine 13-Jährige geheiratet, die sich ein Jahr später von ihm trennte, weil sie um ihr Leben fürchtete, wie es in den Unterlagen des Scheidungsverfahrens hieß.

Seine zweite Frau war 16 und schwanger; die Ehe hielt immerhin zwölf Jahre. Karr war von seinen Großeltern großgezogen worden, nachdem seine Mutter in eine geschlossene Anstalt eingewiesen worden war.

Und der gewaltsame Tod der kleinen JonBenet 1996 war nicht der einzige Kindermord, der auf Karr eine "auffällige Faszination" ausübte, wie die Ermittler feststellten: Der Sheriff von Petaluma in Kalifornien ließ seinen Kollegen in Colorado ausrichten, dass ein Sexualmord, der dort an einem Mädchen vor 13 Jahren verübt worden war, Karr offenkundig ebenfalls sehr beschäftigt hatte.

Kalifornien hat die Überstellung Karrs verlangt. Dort liegt ein Haftbefehl gegen ihn vor - wegen des Besitzes von Kinderpornografie.

"Boulder ist nicht Guantanamo"

Staatsanwältin Lacy sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt. Der frühere Vorsitzende der Vereinigung amerikanischer Strafverteidiger, Larry Pozner, gab zu Protokoll: "Boulder ist nicht Guantanamo. Man nimmt nicht erst jemanden fest und fragt dann, ob es auch einen Grund dafür gab."

Und der Gouverneur von Colorado, Bill Owens, sagte, Lacy müsse für den "teuersten und extravagantesten DNS-Test in der Geschichte Colorados" zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Gescholtene ließ erklären, dass "der Fall nicht abgeschlossen" sei. Damit jedenfalls dürfte sie richtig liegen.

© SZ vom 30.08.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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