Mönchengladbach:Sehr aufgewühlt

VfL Borussia Moenchengladbach v FC Barcelona - UEFA Champions League

Die Nordkurve in Mönchengladbach ist die Heimat der Ultra-Fans.

(Foto: Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty)

Nils B. ist Vorsänger der Borussia. Noch nie sei er in eine gewalttätige Auseinandersetzung verwickelt gewesen, sagt er. Doch jetzt steht er vor Gericht. Er soll versucht haben, einen anderen Fan totzuschlagen.

Von Hans Holzhaider

Mönchengladbach - "Stimmung ja, Randale nein" - das ist das Motto des Fan-Projekts beim Bundesligaverein Borussia Mönchengladbach (FPMG). Der FPMG-Supporters Club ist sozusagen die Dachorganisation der Borussenfans, die in Klubs über ganz Deutschland verstreut sind. Nils B., 29, ist ein wichtiger Mann in diesem Verein. Er ist ein Fan von früher Jugend an; mit 14 oder 15 hatte er seine erste Dauerkarte für die Nordkurve im Borussenpark, da, wo die Ultras ihre Fahnen schwenken. Seit zehn Jahren ist er der Vorsänger, der "Kapo", der vorne am Zaun auf einem Podium steht und die Fan-Gesänge koordiniert. Jeder, der regelmäßig ins Stadion geht, kennt sein Gesicht. "Das ist schon ein angesehenes Amt", sagt Nils B., "und das bedarf einer gewissen Diplomatie, weil es ja auch unter den Fans verschiedene Gruppen mit verschiedenen Ansichten gibt."

Aber jetzt muss Nils B. sich gegen einen äußerst schweren Vorwurf verteidigen: Versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung legt ihm der Staatsanwalt zur Last. Nils B. soll am 20. Dezember 2015, kurz bevor das Heimspiel der Borussia gegen Darmstadt 98 angepfiffen wurde, einem anderen Fan einen so heftigen Fußtritt ins Gesicht versetzt haben, dass diesem die Zahnprothese zerbrach und er eine lebensbedrohliche Hirnblutung erlitt. "Dabei nahm er den Tod des Geschädigten billigend in Kauf", sagt Staatsanwalt Benjamin Kluck vor dem Landgericht Mönchengladbach, wo am Dienstag der Prozess gegen Nils B. begonnen hat.

Nils B. sieht wirklich nicht aus wie ein Hooligan. Er ist eher klein und schmal und trägt eine dicke schwarze Brille. Er hat Kommunikationsdesign studiert, aber weil über diese Geschichte schon vorher so viel, und so viel Falsches, in den Medien berichtet wurde, wie er sagt, habe er jetzt beruflich große Schwierigkeiten.

In Wirklichkeit, sagt Nils B., sei alles ganz anders gewesen. Er sei unverhofft von hinten angerempelt worden, und als er sich umdrehte, habe da einer gestanden mit vier Plastikbechern Bier, der habe gesagt: "Bald hab ich deinen Posten", und dann habe er ihm die vier Bier einfach über den Kopf geschüttet. "Ich war nass bis auf die Unterhose", sagt Nils B. Er habe dann zurückgeschubst, aber der andere sei wieder aggressiv auf ihn zugekommen, und da habe er, um den Angriff abzuwehren, mit dem Fuß ausgeholt. Just in diesem Augenblick habe der andere den Kopf gesenkt, und so habe er ihn, ungewollt, möglicherweise am Kopf getroffen. "Der richtete sich auf und fiel nach hinten um, kerzengerade, wie eine Fahnenstange." Es waren dann gleich Sanitäter da, aber er habe nicht mitbekommen, dass der Mann so schwer verletzt war, und habe, in Absprache mit dem Ordnungsdienst, in der ersten Halbzeit noch den Vorsänger gemacht. Erst dann erfuhr er, dass der Verletzte im Krankenhaus war, und sei zur Polizei gegangen. "Ich war sehr aufgewühlt", sagt Nils B., "ich war noch nie in eine gewalttätige Auseinandersetzung verwickelt."

Kai-Daniel H., der Geschädigte, kann zur Aufklärung wenig beitragen. Er erinnert sich an nichts mehr. Er weiß noch, dass er und ein Kumpel schon vor dem Spiel ganz schön getankt hatten, eine Flasche Wodka und etliche Bier, und dass sie dann zusammen mit dem Bus zum Stadion fuhren. "Ich war schon etwas angesäuselt", sagt er. Von da an ist in seiner Erinnerung ein großes schwarzes Loch; er wachte erst im Krankenhaus wieder auf. Den Angeklagten, sagte er, kenne er zwar vom Sehen, aber dass er etwa auf dessen Vorsängerposten neidisch sei, das sei völlig abwegig.

Am ersten Verhandlungstag hörte das Gericht bereits zwei Zeugen, Vater und Sohn, die das Geschehen aus ein paar Meter Entfernung beobachtet hatten, und schon da zeigte sich, dass es nicht leicht werden wird mit der Wahrheitsfindung. Der Sohn hat gesehen, dass der Mann mit dem Bier den anderen nur ein bisschen bespritzt habe, der Vater hat davon gar nichts mitgekriegt. Der eine sah ihn nach vorne fallen, der andere nach hinten. Es dürfte ein sehr schwieriger Prozess werden.

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