Modeschau in Paris:Dornröschen und die lustigen Witwen

Der Krise der Haute Couture trotzen die Traditionshäuser bei den Pariser Schauen mit dekadenter Opulenz und ein wenig Weltflucht.

Von Marcus Rothe

Ein verwunschener Garten im nebeligen Zwielicht. Versteinerte Statuen umgarnt von Spinnengeweben. So wie in John Gallianos Dekoration bei Dior könnte die Zukunft der Haute Couture aussehen - ein museumsreifes Relikt im tiefen Dornröschenschlaf.

Modeschau in Paris: Der britische Designer Galliano nach seiner Show.

Der britische Designer Galliano nach seiner Show.

(Foto: Foto: Reuters)

Doch Gallianos blühende Phantasie kennt bei den Winterschauen in Paris keine Krise. In seinen Zaubergärten erinnert er zum hundertsten Geburtstag des Firmengründers an das stilistische Erbe des Hauses:

Den Rundungen der Models verhilft er mit den Korsagen zur urgroßmütterlichen S-Linie, er flirtete mit Diors ausladenden New Looks aus der Nachkriegszeit und feiert die Grazie der Tänzerinnen von Degas mit verspielten Tüllröcken.

Sexuell aufgeladene Ironie

Zum Abheben empfiehlt er aber ein weißes Kleid mit Schmetterlingsflügeln. Gallianos ausufernde Spektakel verschaffen Diors Parfums und Accessoires zu reißendem Absatz. Trotzdem schrumpft der Club der Couturehäuser, weil der Handel mit den handgefertigten Einzelstücken viele ruiniert.

Aber auch wenn nun selbst Emanuel Ungaro seine blühenden Musselinroben vorerst auf Eis gelegt hat, gaben sich die Couturiers in Paris dynamisch.

Der Schweizer Laurent Mercier feiert die stets angekündigte Totenmesse der Couture mit sexuell aufgeladener Ironie. Zum Glockenklang stöckeln Merciers fröhliche, aber unterkühlte Witwen nach dem Tod ihrer betuchten Gatten in das überaus süße Leben.

Geschürzte, blutrote Münder unter Schleiern, endlos lange Beine in blumenverzierten Smokinghosen und in schwarzer Spitze drapierte Körper: Merciers strenge Silhouetten verheißen dekadente Erotik und ein rasantes Leben - auch nach dem Tod.

Freche Italienerin

Überraschend aus dem Koma erwacht ist die totgesagte Couture von Givenchy. Nach einem Jahr ohne künstlerischen Leiter sorgt der 30-jährige Italiener Riccardo Tisci als Nachfolger von Alexander McQueen und Julien MacDonald für neuen Glanz.

Beim Entrümpeln musste die Hausheilige Audrey Hepburn seinem Musenmodel Maria Carla Bosconi weichen. Erfrischend wie die freche Italienerin sind auch seine eng anliegenden Mohairkleider oder bestickten Bustier-Roben.

Jean-Paul Gaultiers Couture sucht im Überlebenskampf ihr Heil im Osten: Bleiche, aber trinkfeste Eisprinzessinnen tragen rumänische Blusen zu engen schwarzen, grünen und tiefroten Samtkleidern und locken in weiten, mit bunten Steinen bestickten Röcken nach Samarkand.

Karl Lagerfeld predigt

Christian Lacroix verbreitet seit der Übernahme seiner Modemarke durch die Falic-Brüder mitreißende Energie. Diesmal zieht es seine stolzen Verführerinnen im Schneegestöber zu Zaren und Derwischen, Zigeunern und Gauchos.

Auf dem Weg in die erträumten Paläste lassen sie ihre farbenfrohen, wolkigen Musselinkleider am Boden schleifen, spielen mit durchsichtigen Reizen und schützen ihre tiefen Dekolletés mit vergoldeten Brustharnischen vor aufdringlichen Blicken.

Karl Lagerfeld predigt bei Chanel vor allem das Motto: oben streng, unten ausufernd. 50 Hofdamen steigen in schwarzen Capes und Lackmänteln auf ein kreisförmiges Podest. Die feingliedrigen Geschöpfe recken ihre aristokratischen Hälse und erstarren für einen Augenblick, um langsam die schwarzen Hüllen fallen zu lassen.

Darunter tragen sie rosa Tweedkostüme im Geiste der Coco Chanel, aber auch enge Lederhosen über luftigen Röcken. Durch raffinierte Effekte auf ihren bodenlangen, gelb-schwarzen Kleidern täuschen sie Wespentaillen oder Regenbögen vor. Auf der Suche nach neuen Perspektiven gibt sich Kaiser Karl als gewitzter Enthüllungskünstler.

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