Modekette "Primark":"Natürlich asozial"

In Bangladesch schwindet die Hoffnung, in den Trümmern des eingestürzten Geschäftshauses Menschen noch lebend zu finden. Die irische Firma "Primark" lässt dort produzieren. Was sagen die Kunden? Besuch in einer Filiale.

Von Charlotte Theile und Benedikt Warmbrunn, Berlin

Am Ende verlassen sie den Laden mit Papiertüten. Die Tüten sind altpapierfarben, wer sie trägt, das soll wohl die Botschaft sein, denkt an die Umwelt, daran, dass er nicht alleine auf dieser Erde ist, daran, dass jeder Einzelne anfangen kann, bewusst zu konsumieren. Es ist eine verlogene Botschaft. Auf den Papiertüten steht: Primark. In ihnen stecken Produkte, die wie wenige andere von fehlendem Bewusstsein für billigen Massenkonsum und dessen Voraussetzungen zeugen.

Montagvormittag, die Primark-Filiale in Berlin-Steglitz. Es gibt hier an Klamotten fast alles. Bezahlt werden muss dafür fast nichts; Sneakers für neun Euro, Kleider für sieben Euro, Bikinis ab vier Euro, Oberteile ab zwei Euro. Durch die engen Gänge wuseln die Menschen wie Ameisen über einen Buffettisch. Studenten, Mütter mit Töchtern, Rentner, Anzugträger, Jogginghosenträgerinnen, Minirockträgerinnen, Dicke, Dünne, Große, Kleine. Durch die engen Gänge wuseln: wir alle.

Am Stand mit Shorts für elf Euro steht Benjamin, zum Beispiel. Der 27-Jährige ist zusammen mit seiner Freundin Elli, 21, für eine Woche von Dresden nach Berlin gefahren. Benjamin ist das erste Mal bei Primark, in der Hand hält er ein Tragenetz, in das problemlos eine Waschmaschinenfüllung passen würde. Benjamin, Sozialversicherungsfachmann, ist hier aus dem gleichen Grund wie alle: "weil es so günstig ist". Stolz ist er darauf nicht. "Der Mensch kann nie genug bekommen, er will von allem ganz viel, und je billiger es ist, umso mehr kann er haben."

Dass Benjamin so moralisch spricht, über sich, über uns, liegt auch daran, dass in der vergangenen Woche deutlich wurde, welche Konsequenzen sein Konsum hat.

Die aggressive Strategie von Primark

In Savar in Bangladesch ist in der vergangenen Woche ein achtstöckiges Gebäude eingestürzt. Mindestens 382 Menschen starben, mehr als 1000 wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Die Hoffnung der Rettungskräfte, in den Trümmern noch Überlebende zu finden, schwindet. Mehr als 3000 Menschen hatten im "Rana Plaza" Kleidung für insgesamt fünf Firmen zusammengenäht. Sie hatten vor dem Unglück bereits Risse in der Betonwand gesehen. Sie hatten darum gebeten, nicht mehr in dieses Gebäude gehen zu müssen. Sie waren doch wieder hineingeschickt worden. Die Arbeit musste weitergehen.

Die Firmen, die dort viel und billig herstellen lassen, liefern auch nach Deutschland. Mango, Benetton sollen in Savar produziert haben. Und Primark; das Unternehmen hat es bereits zugegeben.

Der irische Einzelhändler Primark fährt eine der aggressivsten Strategien, die es auf dem umkämpften Textilmarkt gibt. 2011 eröffnete der Konzern seine erste Filiale in Deutschland, inzwischen stehen zehn der insgesamt 257 Primark-Filialen hier. Jede Eröffnung, ob in Frankfurt, Essen oder Berlin, bietet ein ähnliches Bild: Gibt es einen Primark in der Fußgängerzone, bilden sich vor der Tür lange Schlangen. H&M, Zara oder New Yorker stehen plötzlich leer. Primark ist billiger.

"Vom Unglück will ich lieber nichts hören"

Eine Strategie, die nur zu Lasten der Näherinnen in den Produktionsländern durchzusetzen ist, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Carla Dietrich: "Wer ein T-Shirt für zwei Euro kauft, der muss wissen, dass er damit schlechte Arbeitsbedingungen unterstützt." Arbeitsbedingungen wie in Savar, Bangladesch. 8 Euro im Monat verdient dort eine Näherin im Schnitt. Dabei könnten die Auftraggeber aus dem Ausland leicht mehr bezahlen, sagt Dietrich: "Würde man jeder Näherin 50 Euro mehr im Monat zahlen, würde das zum Beispiel bedeuten, dass ein T-Shirt zwölf Cent mehr kostet." 2,11 statt 1,99 Euro.

Doch im "Rana Plaza" musste alles so billig wie möglich sein. Drei Fabrikchefs, der Hausbesitzer und zwei Ingenieure wurden verhaftet. Demonstranten fordern bereits die Todesstrafe für Hausbesitzer Sohel Rana. Und die Unternehmen aus Europa? Halten sich bedeckt. Nur Primark hat eingeräumt, dass die Näherinnen im zweiten Stock des Gebäudes im Auftrag des Unternehmens beschäftigt gewesen seien. Man sei "geschockt und tief betroffen" hieß es. Mango und Benetton dagegen sprechen von einmaligen Aufträgen, die bereits vor Wochen beendet worden seien.

"Ich vermute, dass die Beweislage gegen Primark einfach erdrückend war" sagt Frauke Banse, Koordinatorin der "Kampagne für Saubere Kleidung", ein Netzwerk, dass sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie einsetzt: "Oft ist es so, dass die Firmen so lange wie möglich abstreiten, um Imageschäden und hohe Entschädigungszahlungen zu vermeiden." Im Fall Primark hofft Banse, dass es nicht bei Betroffenheits-PR bleibt: "Wir fordern die Firma und alle anderen Käufer von Textilien aus Bangladesh auf, endlich das bangladeschische Abkommen zu Brandschutz und Gebäudesicherheit zu unterzeichnen." Von Primark hieß es bislang nur, man arbeite seit Jahren daran, "bestehende Standards für die Branche zu überprüfen". Das solle "auch auf den Zustand von Gebäuden ausgeweitet" werden.

Sprachlose Mitarbeiter

In der Filiale in Berlin-Steglitz sagt Sozialversicherungsfachmann Benjamin, dass der Einsturz "ärgerlich" sei, dass er "hoffentlich wachrüttelt". Damit steht er an diesem Vormittag allerdings alleine da. Am Stand mit Hüten für vier Euro stehen Kaisa, 23, und Noora, 21. Die Austauschstudentinnen aus Lappeenranta sind begeistert von dem Laden, sie waren am Samstag schon hier. Allerdings finden sie auch gut, dass es Primark in Finnland nicht gibt. Wegen des Unglücks? Nein, sagt Kaisa: "Weil sonst alle gleich aussehen." Oder Cindy, 27. Die Bankkauffrau aus Rügen besucht ihre Freundin Anne, 27. Wie bei jedem Besuch sind sie erst einmal "für ein paar Stunden" zu Primark, später geht es zu H&M. Maximal 300 Euro wollen sie ausgeben, das Tragenetz soll am Ende der Tour voll sein. Von dem Unglück in Bangladesch, sagt Cindy, "will ich lieber nichts hören". Sie will unbeschwert einkaufen. Anne sagt: "Die produzieren doch alle da. Nur dass bei den anderen eine Jeans 300 Euro kostet."

Am wenigsten sagen die Mitarbeiter. Sie verweisen auf die Managerin, die Managerin wiederum auf die Deutschland-Zentrale, die schließlich die offizielle Erklärung zuschickt. Nur Alexander, ein 21-jähriger VWL-Student, der gerade Fünf-Euro-T-Shirts sortiert, macht den Mund auf. Er ist Aushilfskraft. Wie er sich fühlt, wenn er an das Unglück denkt? "Natürlich asozial." Er benötige das Geld, zehn Euro die Stunde. Einkaufen, sagt er, würde er bei Primark nie. Er fühlt über ein Top: "Merkt man doch, dass die Qualität scheiße ist." Auf dem Etikett steht, dass es färben und der Stoff brennen kann. "Made in Bangladesh" steht darauf nicht. Nur: "Dublin, Ireland".

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