Mode:Vier Dreiecke, ein paar Schnüre und viel Aufregung

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Er raubt Männern den Verstand und lässt Frauen im Frühling abspecken: Der Bikini. Vor 60 Jahren präsentierte Louis Réard seine Erfindung - beinahe wäre der Zweiteiler unter einem anderen Namen berühmt geworden.

Matthias Kolb

1946 wetteiferten zwei Franzosen darum, wer als erstes einen zweiteiligen Badeanzug für Frauen auf den Markt bringen würde. Bereits im Frühjahr hatte der Designer Jacques Heim einen Entwurf mit dem Namen "Atome" vorgestellt, doch das Modell war sehr dezent, denn der in der Pariser Gesellschaft etablierte Heim wollte die Regeln des Anstands nicht zu sehr verletzen.

Micheline Bernardini präsentiert den Ur-Bikini in einem Pariser Schwimmbad - man beachte die Streichholzschachtel in ihrer rechten Hand (Foto: Foto: AFP)

Ganz anders ging Louis Réard vor: Der Ingenieur inszenierte die Präsentation seiner Erfindung als Medien-Event. Wenige Tage zuvor, am 1. Juli 1946, hatten die Amerikaner zu Testzwecken eine Atombombe über dem Bikini-Atoll im Pazifik abgeworfen. Réard wünschte sich ähnlich starke Reaktionen und übernahm den für westliche Ohren exotischen Namen, der eigentlich "Land der vielen Kokosnüsse" bedeutet.

Revue-Girl als Modell

Am 5. Juli 1946 veranstaltete er eine Modenschau samt Miss-Wahl im Pariser Schwimmbad "Molitor", doch nur eine Frau stand im Mittelpunkt: Micheline Bernardini präsentierte den begeisterten Fotografen den Ur-Bikini. Réard hatte herausgefunden, dass kein professionelles Model bereit war, seine Kreation öffentlich vorzuführen - Micheline Bernardini arbeitete als Striptease-Girl in einem Pariser Cabaret. Bernardini zog einen Bikini immer wieder durch einen Ehering und verstaute ihn in einer Streichholzschachtel, um dessen Winzigkeit zu veranschaulichen.

Wie besessen Monsieur Réard von einem breiten Medienecho war, verdeutlicht die Tatsache, dass die winzigen Stoffstücke mit Zeitungsausschnitten bedruckt waren. Die ersten Reaktionen waren denn auch enorm. Ein Reporter von L'Aurore schrieb: "Der originellste Badeanzug hieß Bikini. Es ist übrigens nicht sein Name, der seinen Charme ausmacht".

Die Europa-Redaktion der New York Herald Tribune war von diesem Thema so angetan, dass es in allen Ressorts thematisiert wurde: Büro-Chef John O'Reilly lobte den "kleinsten Badeanzug der Welt - Westtexas inbegriffen", und der Atomenergieexperte schrieb von der "explosiven Wirkung der Erfindung". Auch die Sport- und Unterhaltungsredaktion war voll des Lobes, doch das fachkundigste Urteil kam - wen wundert's - von der Moderedakteurin Lucie Noel: "Wow!"

Diese Details präsentiert die Journalistin Beate Berger in ihrem 2004 erschienenen Buch "Bikini. Eine Enthüllungsgeschichte", das die Geschichte des "zweiteiligen Badeanzugs für weibliche Personen" (so die Definition im Duden) als Sitten- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts erzählt.

Prüde Fünfziger

Denn obwohl Réard seine Kreation aus "vier Dreiecken und eine paar Schnüren" am 18. Juli 1946 als Patent 19.341 in Paris schützen ließ, kam der Erfolg erst mehrere Jahre später. Gerade in Amerika gab es große Widerstände (das Life-Magazin sah 1949 "nichts als Ärger mit Bikini"), und sogar in Rio de Janeiro wurde ein "Anti-Bikini-Verein" gegründet.

In den fünfziger Jahren wurde das Frauenbild wieder traditioneller: Die Frauen, die in den Kriegsjahren in Industrie und Landwirtschaft gearbeitet und das zerstörte Europa aufgebaut hatten, wurden wieder an den Herd gedrängt und als "Super-Hausfrau" dargestellt. Der Elle-Strandknigge stellte das Bikini-Tragen ebenso an den Pranger wie das Einkaufen im Badeanzug oder das Ausdrücken von Pickeln am Strand.

Das wichtigste Modemagazin Vogue ignorierte den Bikini bis 1951, um dann festzuhalten, dass "alle unsere Leserinnen den berüchtigten Bikini ablehnen". Weibliche Rundungen waren beliebt in der Zeit des Wirtschaftswunders, und die Damen trugen Einteiler, die wegen der "damaligen Busenfixiertheit" die Rundungen betonten. Bikinis galten als verrucht und sollten totgeschwiegen werden.

Doch Ende der Fünfziger wurden auf einmal in den USA immer mehr Bikinis verkauft. Die Zahl der privaten Swimming-Pools war stark angestiegen und im heimischen Garten wurde man nicht begafft und konnte sich in Ruhe bräunen.

Durchbruch mit Ursula Andress

1962 bejubelte die Fachpostille Freundin die Rückkehr des Bikini und im gleichen Jahr begann der Siegeszug des schicken Zweiteilers.

Im ersten James Bond-Film "Dr. No" tauchte Ursula Andress als Honey Rider aus den Meeresfluten auf: Braun gebrannt, selbstsicher und nur mit einem elfenbeinfarbenen Bikini bekleidet, an dessen weißen Koppelgürtel ein Dolch hängt. 2003, noch mehr als 40 Jahre später, wählten die Zuschauer des britischen TV-Senders Channel Four diesen Auftritt zum "erotischsten Filmmoment aller Zeiten".

Laut Bikini-Expertin Berger war der erste Bond-Bikini nicht ungewöhnlich sexy geschnitten, sondern "ein ziemlich sportliches Baumwollteil, das weder die Oberweite noch die Gesäßregion sonderlich exponierte". Aber nach den prüden Fünfzigern war dieser Auftritt für viele Männer ein Erweckungserlebnis.

Noch heute ist das Andress-Modell der meistkopierte Bikini - und das Original wurde 2001 für mehr als 40.000 britische Pfund versteigert.

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Die Sprengkraft des Andress-Bikini wurde deutlich, als 40 Jahre später das neue Bond-Girl Halle Berry in einem La Perla-Bikini aus den Fluten stieg - das Modell war eine eindeutige textile Reverenz an die Schweizerin Ursula Andress, doch als Aufreger taugte er nicht mehr.

Die Urmutter aller Bond-Girls: Die Schweizerin Ursula Andress als Honey Rider (Foto: Foto: dpa)

Deutlich größer war der Skandal, als das 17-jährige Fotomodell Ilonka 1965 im Bikini über den Münchner Viktualienmarkt lief: Eine Hausfrau rief die Polizei, die das Mädchen mit aufs Revier nahm - später verurteilte ein Richter Ilonka dazu, drei Wochenenden lang die Böden in Altersheimen zu schrubben.

Doch solche Reaktionen konnten den Siegeszug ebenso wenig aufhalten wie die Bestimmung in der Satzung des Passauer Schwimmbads, deren Paragraph 7, Absatz 3 bis 1971 folgende Bestimmung enthielt: "Das Tragen der so genannten Bikini-Badeanzüge ist verboten." Die Bikini-Mode wurde immer farbiger und die in den Fünfzigern noch teuren Modelle aus Kunststoffen wie Nylon, Perlon oder Lycra immer erschwinglicher.

1964 erschien auch die erste Ausgabe der "Swimsuit Issue" des US-Magazins Sports Illustrated: Jedes Jahr präsentieren darin Supermodels wie Heidi Klum, Naomi Campbell oder Tyra Banks die neue Bademode - auf Revue-Mädchen ist man nicht mehr angewiesen. 2003 gingen mehr als 50 Millionen Exemplare über die Ladentische: Jeder dritte männliche Amerikaner kaufte das Heft.

Flops: Monokini und Trikini

Kein Wunder, dass immer wieder Designer versuchten, das erfolgreiche Modell weiter zu entwicken bzw. zu radikalisieren. 1964 präsentierte der Designer Rudi Gernreich den Monokini.

Dieser bestand aus "einem bis zum Rippenbogen reichenden Unterteil, das von zwei auf der entblößten Brust getragenen Trägern gehalten wurde". Zumeist wurde der barbusige Auftritt schnell von Polizisten beendet und der Verkaufserfolg war gering. Der aus Wien stammende Designer Gernreich, dessen großes Ziel es war, dem Körper so viel Freiheit wie möglich zu schenken, war seiner Zeit zu weit voraus - die Oben-Ohne-Welle kam erst in den Siebzigern.

Der Trikini hingegen bestand aus einem Unterteil und zwei Schalen, die über die Brustwarzen geklebt wurden - zum Schwimmen kaum geeignet, aber als Aufreger bestens geeignet. Louis Réard stellte in den Sechzigern noch mal das Modell des Sexykini vor - doch die Idee des Altmeisters verpuffte.

Fachfrau Berger glaubt, dass der Durchbruch des Bikini in den Sechziger Jahren mit der gesellschaftlichen Entwicklung - Einführung der Anti-Baby-Pille, Studentenunruhen - erklärt werden kann. Er wurde ebenso wie der Minirock zu einem Symbol für eine moderne, aufgeklärte Weltsicht.

Exportschlager Tanga

Die größte Innovation kam Anfang der Siebziger Jahre aus Brasilien, wo der Rio-Bikini entwickelt wurde: Ähnlich wie der Ur-Bikini besteht er aus vier Dreiecken, die nur mit schmalen Bändern zusammen gehalten werden. Das Besondere ist das Unterteil, dessen Hinterteil so schmal sein kann, das es zwischen den Pobacken verschwindet - der "Zahnseiden-Tanga" ist geboren und hat seinen Siegeszug um die Welt angetreten.

In den Siebziger Jahren begann die Zeit der Oben-Ohne-Welle, in der vor allem Häkel-Bikinis beliebt waren. In den Achtzigern kam der Bikini in Neonfarben zurück: Die Powerfrauen präsentierten darin ihre im Fitnessstudio gestählten Körper.

Nabelschau

Die Neunziger Jahre brachten keine Bikini-Revolution, aber doch einige Innovationen. Der Nabel rückte in den Vordergrund und die moderne Frau zeigte ihren Bauch.

Zwar wurden auch zwischen 1990 und 2000 mehr Einteiler als Zweiteiler verkauft, doch der Bikini profitierte vom Image der Supermodels wie Claudia Schiffer, Christy Turlington oder Linda Evangelista. Es gab laut Beate Berger Modenschauen, bei den die Bikinis den krönenden Abschluss bildeten und nicht mehr die Brautkleider.

Privileg der Jugend

Dass die perfekten Körper den Eindruck vermittelten, nur Schönheit sorge für Aufmerksamkeit und dass frau am meisten ganzjährig auf ihre Figur achten sollte, steht auf einem anderen Blatt. Und dass Bikinis von der Gesellschaft mit jungen Frauen assoziiert werden, musste 2003 auch Uschi Glas erkennen: Sie hatte sich im Alter von 59 Jahren von der Zeitschrift Max im knappen Zweiteiler ablichten lassen - und wurde mit Spott übergossen.

Im 21. Jahrhundert steht der Nabel weiterhin im Mittelpunkt und ein Blick auf die Tribünen der WM-Stadien und in die Boulevardzeitungen beweist, dass der Bikini auch nach sechzig Jahren nichts von seiner Faszination für beide Geschlechter verloren hat.

Louis Réard, der Vater des Bikini, starb 1984. In einem seiner letzten Interviews offenbarte er seine eigene Assoziation: Eine Frau im Bikini sei nicht mehr als ein wunderschön verpacktes Geschenk "Man will das Seidenband abmachen, die Schachtel öffnen und sehen, was drin ist."

Beate Berger: "Bikini. Eine Enthüllungsgeschichte" Mare-Buchverlag 2004, Hamburg 2004, 271 Seiten, 9,90 Euro

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