Mode:Spitzen aus dem Hinterzimmer

Modedesignerin in Gaza

"Es gibt Leute, die erfolgreiche Frauen hassen." Nermin Demyati in ihrem Modegeschäft in Gaza-Stadt.

(Foto: Stefanie Järkel/dpa)

Nermin Demyati ist Modedesignerin im Gazastreifen - und wird dafür beschimpft.

Von Peter Münch, Gaza-Stadt

Kerzengerade sitzt Nermin Demyati am Kassentisch und beantwortet mit freundlichem Lächeln die Fragen der vier Kundinnen, die an diesem Morgen den Weg in ihren Laden gefunden haben. Es geht um Schnitte und um Stoffe, die in kleinen Probefetzen in einer Kiste verstaut sind, auf der die Freiheitsstatue abgebildet ist. Wer zu Nermin Demyati kommt, sucht etwas Besonderes. Bei ihr nämlich gibt es Mode für Mutige.

Eigentlich ist es ja ganz einfach mit der Mode im Gazastreifen: Bei der von den islamistischen Hamas-Herrschern erwünschten Kleiderordnung ist die Frau außerhalb der eigenen vier Wände mit einer bodenlangen Abaya stets gut angezogen. Den Kopf verhüllt sie mit Schleier oder Niqab. Das neue Schwarz ist hier höchstens mal Dunkelbraun. Doch natürlich gibt es auch in Gaza viele Frauen, die der uniformierten Tristesse überdrüssig sind. Sie setzen Akzente mit einer lilafarbenen Handtasche, sie tragen rosa Turnschuhe oder ein Kopftuch mit buntem Blumenmuster. Und sie finden Einzelstücke, die herausstechen, bei "Voile Moda", dem Laden von Nermin Demyati.

"Voile Moda", "Schleiermode" also. Eine kurzberockte Revolution hat auch die Modeschöpferin Demyati nicht im Sinn. Sie selbst trägt ein blaues Kopftuch zum dezent gestreiften langen Mantel. "Ich will nicht die Traditionen ändern", sagt sie, "ich will, dass die traditionelle Kleidung besser aussieht." Sie soll "stylish" sein - und das fängt bei den Farben an und führt zu Spitzen und Stickereien. Als Vorbild nennt sie "britische Designs" sowie den libanesischen Modeschöpfer Elie Saab. Dessen Roben trägt die Prominenz, in einem Saab-Kleid hat zum Beispiel Halle Berry ihren Oscar entgegengenommen. Neben seinem Hauptsitz in Beirut verfügt er noch über Ateliers in Mailand und Paris.

Davon kann Nermin Demyati nur träumen, und gewiss tut sie dies ausführlich. Nur zu gern möchte sie hinaus in die Welt. "Ich bin glücklich mit dem, was ich bis jetzt geschafft habe", sagt sie. "Aber ein Kurs bei einer berühmten Modefirma wäre toll, um weiter meinen Weg und meinen Stil zu finden." Doch aus dem von Israel und Ägypten abgeriegelten Gazastreifen führt kaum ein Weg nach draußen. Die einzige Reise ihres Lebens hat die 30-Jährige bislang nach Kairo unternommen. Zur Mode kam sie aus Leidenschaft, aber auf Umwegen: Nach einem Studium der Geschichte und Archäologie belegte sie bei einer christlichen Frauenvereinigung in Gaza einen einjährigen Kurs. Danach machte sie sich selbständig - und verärgerte damit zunächst einmal ihre Eltern. Die hielten die Mode-Profession für wenig ehrbar, von einer "Schande" sprachen sie sogar. Heute hat sich wenigstens diese Front beruhigt. "Je erfolgreicher ich werde, desto mehr Unterstützung bekomme ich", meint Nermin Demyati.

Ein schmaler Grat ist es trotzdem, auf dem sie sich bewegt. Auf Facebook erreichen sie Beschimpfungen. "Es gibt Leute, die erfolgreiche Frauen hassen", erklärt sie. In Werbevideos für ihr Geschäft, die auch auf Youtube abrufbar sind, muss sie peinlichst darauf achten, alles zu vermeiden, was als anzüglich gelten könnte. Der Einfachheit halber werden deshalb die Frauen, die ihre Kleider vorführen, in den Videos meist nur bis zum Hals gezeigt. Und eine Modenschau, auf der sie ihre erste Kollektion in Gaza hatte zeigen wollen, wurde ihr selbstverständlich auch verboten.

Überrascht hat sie das nicht, aber angestachelt zu einer kreativen Lösung. Sie lud potenzielle Kundinnen zu einem Treffen bei einer Frauenvereinigung ein, und zwischen den Gästen spazierten ihre Freundinnen in den von ihr entworfenen Kleidern umher. Vor einem Jahr eröffnete dann ihr Laden, in dessen Hinterzimmer inzwischen sechs Näherinnen arbeiten. Die Stoffe bezieht sie aus der Türkei oder aus China. Im Gazastreifen gibt es keine Textilfabrik mehr. Die Preise für ihre Stücke liegen zwischen 100 und 500 Schekel, umgerechnet knapp 25 bis 125 Euro. "Mehr kann man hier nicht verlangen", sagt sie.

Die Morgenkundschaft hat unterdessen das Sortiment gesichtet. Die vier jungen Frauen haben sich beraten lassen, haben getuschelt und gekichert. Dann haben sie sich die Kopftücher ordentlich zurechtgezupft - und sind ohne Einkauf weitergezogen.

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