Missbrauchsvorwürfe:Der Fall eines Hoffnungsträgers

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Alle Ämter aufgegeben, aus der Partei ausgeschlossen: der südkoreanische Politiker Ahn Hee-jung. (Foto: You Hyo-sang/AP)
  • Der südkoreanische Politiker Ahn Hee-jung ist nach Missbrauchsvorwürfen von allen seinen Ämtern zurückgetreten.
  • Seine Sekretärin wirft ihm vor, sie mehrmals vergewaltigt zu haben.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Bis zum Wochenende war Ahn Hee-jung ein Hoffnungsträger der koreanischen Politik. In den Achtzigerjahren half er als Studentenführer, für Südkorea die Demokratie zu erkämpfen. 2002 leitete er die Wahlkampagne des Idealisten Roh Moo-hyun, der überraschend zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Seit 2010 ist der 52-Jährige Gouverneur der Provinz Süd-Chungcheong, Südkoreas wirtschaftlich am schnellsten wachsender Region. Zuvor hatte er sich angewidert von der korrupten Politik distanziert. Viele Koreaner hielten ihn für ihren künftigen Staatspräsidenten.

Am Dienstag in aller Frühe jedoch setzte Ahn auf Facebook einen Post ab, er gebe sofort alle Ämter auf und ziehe sich aus der Öffentlichkeit zurück. Die "Me Too"-Bewegung hat ihn eingeholt. Inzwischen hat die Polizei eine Strafuntersuchung wegen Verdachts auf Vergewaltigung eingeleitet. Die Demokratische Partei von Staatspräsident Moon Jae-in schloss Ahn, einen ihrer prominentesten Politiker, noch am gleichen Tag aus der Partei aus. Parteichefin Choo Mi-ae entschuldigte sich bei der Bevölkerung, sie sei schockiert. Im Juni stehen Lokalwahlen an.

Nach einer Entschuldigung soll er sie nochmal vergewaltigt haben

Seitdem Schauspielerinnen im Februar in den sozialen Medien den großen alten Mann des koreanischen Theaters, Lee Youn-taek, als mutmaßlichen Vergewaltiger entlarvten, ist "Me Too" auch in Südkorea zunehmend ein Thema. Es wurde etwa ein Staatsanwalt zum Rücktritt gezwungen, der eine Kollegin gegen ihren Willen angefasst haben soll. Aber Ahn ist der erste südkoreanische Politiker, der im Zuge dieser weltweiten Bewegung beschuldigt wird. Ausgerechnet er. Regisseur Lee hatte zunächst alles abgestritten, unter Druck sprach er schließlich von "Massagen". Zum Sex aber habe er niemanden gezwungen. Ein sehr ähnliches Procedere bei Ahn. Erst stritt er alles ab, dann räumte er ein, sich nicht korrekt benommen zu haben. Und nun hat er sich bei seiner Sekretärin entschuldigt; Kim Ji-eun hatte in der vergangenen Woche im Fernsehen gesagt, Ahn habe sie seit Juni viermal vergewaltigt. Und sie sei nicht die einzige. Nach der Sendung habe er sie in sein Büro gerufen und sich entschuldigt - sie dann aber noch einmal zum Sex gezwungen, dies sagte die Sekretärin später.

Südkorea ist eine moderne Demokratie, aber auch ein hierarchisches Patriarchat. Am Arbeitsplatz gehe es oft "feudalistisch" zu, schrieb neulich die Tageszeitung Joongang Ilbo. Es herrsche ein Klima des "Befehlens und Gehorchens". "Jene, die an die Macht gelangen, meinen, sie können machen, was sie wollen."

Der Politiker Ahn jedoch gehörte - dies dachten zumindest seine Anhängerinnen bisher - zu jenen, die mit diesen Strukturen aufräumen wollten. Umso schockierter sind sie nun. Die Filmregisseurin Shin Hee-joo bescheinigte Südkorea auf einer Tagung in Seoul eine "Vergewaltigungskultur". Aktivistinnen, die auf Missstände aufmerksam machen, gibt es schon länger. Aber sie wurden ignoriert, mit Strafklagen zum Schweigen gezwungen, verhöhnt und am Arbeitsplatz belästigt. Anzeigen wegen sexueller Gewalt nahm die Justiz bisher kaum ernst.

© SZ vom 08.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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