Missbrauchsskandal:Ex-Lehrer: "Ich habe nur geschlagen"

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Immer mehr Opfer melden sich - doch die Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg haben wohl keine strafrechtlichen Konsequenzen. Ein Beschuldigter erklärt sich.

Im Skandal um sexuellen Missbrach im katholischen Jesuitenorden melden sich immer mehr Opfer zu Wort - doch für die mutmaßlichen Täter es wohl kaum strafrechtliche Konsequenzen geben. Die Missbrauchsfälle an der katholischen Elite-Schule in den 70er und 80er Jahren liegen zu lange zurück. "Die Taten sind verjährt", sagte ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft.

Immer mehr Opfer sexuellen Missbrauchs melden sich zu Wort. 20 Fälle werden inzwischen von der Staatsanwaltschaft geprüft. (Foto: Foto: dpa)

Seinen Angaben zufolge werden derzeit rund 20 Fälle, die sich am Canisius-Kolleg ereignet haben sollen, geprüft. Doch die Rechtslage ist äußerst kompliziert. Die Verjährungsfrist für diese Form sexuellen Missbrauchs betrage zehn Jahre vom 18. Geburtstag des Opfers an und sei somit abgelaufen, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Auch etwaige Vorwürfe gegen den Jesuiten-Orden wie die Tatbestände der Strafvereitelung oder der unterlassenen Hilfeleistung seien bereits verjährt.

"Ein Freispruch wäre noch schlimmer"

Anwältin Ursula Raue, die vom Jesuitenorden mit der Untersuchung der Berliner Fälle beauftragt wurde, verwies ebenfalls auf die schwierige rechtliche Lage. "Es werden immer mehr", sagt sie zu den vielen neuen Zeugen. Eine strafrechtliche Aufarbeitung nach so langer Zeit sei alleine schon wegen der Beweise problematisch, sagte sie. "Wenn ein Verfahren dann mit Freispruch enden würde, wäre es noch schlimmer."

Zwei frühere Patres des Berliner Kollegs sollen sich über Jahre an Schülern vergangen haben. Ein dritter Pater, der Anfang der 70er Jahre auch in Berlin unterrichtete, gestand sexuelle Übergriffe auf Jugendliche in Hannover. Inzwischen wurden auch Missbrauchsfälle in anderen kirchlichen Einrichtungen bekannt. Bundesweit sollen nach einem Bericht des Spiegel fast 100 Mitarbeiter der katholischen Kirche in den vergangenen 15 Jahren unter Verdacht geraten sein.

Ex-Lehrer: "Durch Schläge misshandelt"

Der beschuldigte Ex-Lehrer des Berliner Canisius-Kollegs, Wolfgang S., streitet den Missbrauch von Kindern ab. Einem Bericht der Tageszeitung (taz) zufolge, räumt er nur ein, Kinder geschlagen zu haben. Zu sexuellen Übergriffen sei es nicht gekommen. S. wird vorgeworfen, sich an Minderjährigen an Schulen in Berlin, Hamburg und St. Blasien im Schwarzwald vergangen zu haben.

"Es ist richtig, dass ich in den vergangenen Jahren meiner Lehrtätigkeit Minderjährige, die mir anvertraut und in gewisser Weise von mir abhängig waren, unter Missbrauch meiner pädagogischen und kirchlichen Autoritätsstellung teilweise mit beträchtlicher Härte durch Schläge misshandelt habe", erklärt S. in der taz.

Allerdings habe er zu keiner Zeit und an keinem Ort mit Kindern und Jugendlichen "Sexualkontakt im Sinne von Genitalberührung, Penetration, Vergewaltigung, Exhibitionismus oder Voyeurismus" gehabt, betont der ehemalige Priester, der heute in Chile lebt. Er sei "weder homosexuell noch pädophil veranlagt".

Der Sprecher der deutschen Jesuitenprovinz, Thomas Busch, sagt der taz, es habe bei S. "nach derzeitigem Kenntnisstand keine Hinweise sexueller Übergriffe" gegeben.

Unterdessen brechen immer mehr Opfer ihr Schweigen. Inzwischen hätten sich in Berlin bislang mehr als 30 Betroffene bei ihr gemeldet, sagte Anwältin Raue. "Ich nehme mir Zeit, um den Opfern zuzuhören oder ihre Mails zu beantworten. Es ist ganz wichtig, dass sie anders als damals ernst genommen werden."

Unterricht beginnt wieder

An dem Elite-Kolleg hat am Montag der Unterricht nach den Winterferien wieder begonnen - unter starken Sicherheitsvorkehrungen. Sicherheitskräfte versperrten Schaulustigen und Journalisten den Eingang zum Schulgelände. "Heute wurde deutlich, dass die Schüler zum ganz normalen Schulablauf zurückkehren möchten", sagte Gabriele Hüdepohl von der Schulleitung.

"Keine Mentalität des Wegsehens"

Unterdessen hat sich auch Papst Benedikt XVI. zum Thema Missbrauch geäußert - allerdings ohne direkt auf den Skandal an den deutschen Jesuitenschulen Bezug zu nehmen. Einige Mitglieder der Kirche hätten "in verschiedenen Fällen" die Würde und Rechte von Minderjährigen verletzt, sagte Benedikt XVI. bei einer Tagung des päpstlichen Rats für die Familie im Vatikan. Dies sei "ein Verhalten, bei dem die Kirche nicht versäumt und auch in Zukunft nicht versäumen wird, es zu missbilligen und es zu verurteilen".

Der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, rief indes zu Offenheit beim Umgang mit Missbrauchsvorwürfen auf. "Es darf keine Mentalität des Wegsehens geben", sagte Glück. "Je offener und konsequenter die Kirche damit umgeht, umso eher kann sie vertrauensstiftend wirken."

Das Mitgefühl für die Menschen müsse im Mittelpunkt stehen, "denn sie haben durch das Fehlverhalten einzelner, vielleicht auch durch das Schweigen oder Wegsehen anderer großes Leid erlebt." Betroffene sollten sich an Vertrauenspersonen wenden. Dies sei der erste Schritt zur Aufklärung von Fehlverhalten.

Es dürfe keine falsch verstandene Solidarität mit einer Institution oder einem Kollegen geben. Die Kirche dürfe aber nicht unter "Generalverdacht" gestellt werden, sagte der Präsident der Laienorganisation der deutschen Katholiken.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/jja/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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