Missbrauch in der katholischen Kirche:"Die Aufarbeitung ist erst am Anfang"

Reine Symbolik oder wichtige Geste? Papst Franziskus lädt Missbrauchsopfer in den Vatikan ein. Wie zäh allerdings die Reformbemühungen innerhalb der Kirche verlaufen, zeigt ein Blick auf die vergangenen Monate.

Als am 13. März 2013 aus Jorge Bergoglio Papst Franziskus wurde, waren die Erwartungen der Gläubigen an diesen schüchtern lächelnden Mann enorm. Besonders groß waren die Hoffnungen derjenigen, die in den vergangenen Jahrzehnten in kirchlichen Institutionen zu Opfern geworden waren.

In den Jahren vor Franziskus' Pontifikat war die Kirche von etlichen Missbrauchsskandalen weltweit in ihren Grundfesten erschüttert worden. Vorgänger Benedikt XVI. entließ 2011 und 2012 etwa 400 Priester wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch. Doch Opferorganisationen beklagten direkt nach dem Amtsantritt des neuen Papstes, dass die katholische Kirche nach wie vor zu wenig tue, um die jahrzehntelange Politik der Vertuschung zu beenden. Eine Reform jener Strukturen, die Missbrauchsfälle begünstigen, Auseinandersetzung und Versöhnung mit den Opfern, verbesserte Prävention: Franziskus stand von Anfang an vor großen Herausforderungen.

Mehrfach hat der Papst seitdem sexuelle Gewalt gegen Kinder aufs Schärfste verurteilt. Zuletzt kündigte Franziskus an, demnächst mit Missbrauchsopfern zusammentreffen zu wollen. Bei einer Pressekonferenz auf der Rückreise aus dem Nahen Osten versprach der Papst jetzt ein entschiedenes Vorgehen der Kirche gegen Täter. Der Missbrauch Schutzbedürftiger sei "ein Sakrileg" und vergleichbar mit einer "satanischen Messe".

Es sind deutliche Worte, die der Pontifex im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen in der Kirche ausspricht. Franziskus ist erkennbar bemüht, Reformen voranzutreiben und die Aufarbeitung zu intensivieren, doch wie zäh dieser Prozess verläuft, zeigt ein Blick auf die vergangenen Monate:

Am 5. Dezember stimmte der Papst einem Vorschlag des Kardinalsrats zu, jenes achtköpfigen Beratergremiums, das er bereits einen Monat nach seiner Amtseinführung berufen hatte. Der Vorschlag der Kardinäle sah die Einrichtung einer Kommission zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor und war federführend von Kardinal Seán Patrick O'Malley erarbeitet worden.

Kardinal O'Malley ist für den Papst eine entscheidende Figur bei der Aufarbeitung. Der Erzbischof von Boston ist mit der Missbrauchsthematik vertraut. 2003 übernahm der franziskanische Ordensgeistliche ein Bistum, das gerade vom bis dahin größten Missbrauchsskandal der katholischen Kirche in den USA erschüttert worden war. In Folge der preisgekrönten Enthüllungen des Boston Globe über die systematische Vertuschung von sexuellem Missbrauch durch geistliche Würdenträger sahen sich damals, kurz nach der Jahrtausendwende, 150 Priester der Erzdiözese Missbrauchsvorwürfen ausgesetzt, mehr als 500 Opfer hatten Anträge auf Entschädigung gestellt und die Spenden der Bostoner Kirchgänger waren um 50 Prozent eingebrochen.

O'Malley machte sich in der Folge einen Namen als Aufklärer und Kämpfer gegen die Strukturen in der Kirche, die den Missbrauch begünstigen. Nicht nur in Boston, sondern in ganz USA. Nun wollte er diese Expertise auch an der Spitze der Weltkirche einsetzen.

Heftige Kritik von Vereinten Nationen

Doch nach der Ankündigung vom Dezember geschah zunächst nichts. Ehe O'Malleys Kommission Form annahm, musste der Vatikan im Februar zunächst massive Kritik hinnehmen: Die katholische Kirche verletze die UN-Kinderrechtskonvention, schrieben die Vereinten Nationen. Der Vatikan habe nicht genug getan, um Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche zu unterbinden. Man müsse angesichts Tausender Missbrauchsfälle endlich handeln, forderte das UN-Kinderschutz-Komitee in einem Bericht. Aus Rom hieß es, man verbitte sich eine Einmischung in die katholische Lehre.

Von der päpstlichen Kinderschutzkommission war nichts zu hören. Erst sechs Wochen später, am 22. März, nahm das Gremium Gestalt an: Neben O'Malley wurden zwei weitere Geistliche und vier Laien in die Kommission berufen. Für Aufsehen sorgte die Benennung von Marie Collins. Die Irin wurde in den Sechzigerjahren von einem Priester missbraucht und ist eine der Stimmen, die am lautesten eine konsequente Aufarbeitung der Missbrauchsfälle einfordern. In der Kommission ebenfalls vertreten ist der Jesuit und Psychologe Hans Zollner, der als einer der führenden kirchlichen Fachleute beim Thema Missbrauch gilt. Der Zeit sagte er im März, man könne Missbrauch nicht völlig verhindern, "aber alles daran setzen, ihn soweit wie möglich zu reduzieren." Die neue Kommission habe "nicht die Macht, den Missbrauch zu unterbinden. Aber sie kann den Bischöfen weltweit sagen, dass und wie sie handeln müssen", so Zollner.

Vor wenigen Wochen dann, am 2. Mai, trat das Gremium zu seiner ersten Sitzung zusammen. "Nach Ansicht vieler Menschen ist der Missbrauchsskandal ein amerikanisches Problem, ein irisches oder ein deutsches", sagte O'Malley im Anschluss. "Die Kirche muss sich überall auf der Welt dem Problem stellen. Da wird so vieles geleugnet. Die Kirche muss antworten und die Kirche für Kinder sicher machen." Keine Woche später tagten die Vereinten Nationen im Vatikan, dort fand eine Anhörung des UN-Ausschusses gegen Folter statt. Der anschließend verfasste Bericht wiederholte in vielen Punkten die Vorwürfe der Kinderrechtskommission - lobte aber auch Reformbemühungen durch die Kirche, explizit die Einrichtung der Kommission.

"Wichtige Geste" oder "wunderschöne Bilder"?

Kommt die Aufarbeitung durch den Vatikan also nun endlich in Gang, zumal mit Franziskus' jüngster Einladung an die Opfer? Oder stimmt es, was der UN-Ausschuss gegen Folter den Verantwortlichen vorhielt, dass nämlich "die Null-Toleranz-Beteuerungen nicht immer effektiv in Handlungen übersetzt" werden?

Matthias Katsch vom Opferverband "Eckiger Tisch" begrüßt, dass Franziskus den "Dialog mit den Opfern" suche. Dass er sich, anders als seinerzeit Benedikt XVI., nicht im Stillen mit Opfern treffe, sondern das geplante gemeinsame Gebet öffentlich mache, sei eine "wichtige Geste". Norbert Denef, Vorsitzender des Opferverbandes "netzwerkB", sagt, solche Treffen produzierten immer "wunderschöne Bilder". Für gläubige Missbrauchsopfer könne das ein wichtiges Ereignis sein, sagt er, nur: "Wo bleiben diejenigen, die mit Beten nichts mehr zu tun haben?", fragt Denef. Auch Katsch fordert über das gemeinsame Gebet hinaus einen "Dialog auf Augenhöhe". "Ich bin gespannt, inwieweit der zustande kommt." Die Kirche müsse "in ihrem eigenen Laden aufräumen".

Klar ist: Die Unordnung, derer die Kirche Herr werden muss, ist enorm, und an vielen Stellen wohl noch gar nicht entdeckt. Klar ist auch - wie Katsch es formuliert: "Die Aufarbeitung ist erst am Anfang."

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