Missbrauch bei Freiburg:"Es ist zwingend notwendig, dass sich die deutsche Rechtsordnung weiterentwickelt"

Cyber-Cops beim LKA Bayern

Bei der gängigen Rechtslage tun sich Ermittler im Bereich Kinderpornografie schwer.

(Foto: picture alliance / dpa)

Im Breisgauer Missbrauchsfall beginnt heute der erste Prozess. Cyber-Ermittler Georg Ungefuk über die Schwierigkeiten, Verdächtige online zu finden.

Interview von Max Sprick

Mitte Januar wurde ein beispielloser Fall von Kindesmissbrauch bekannt: In Staufen nahe Freiburg sollen eine Mutter und ihr Lebensgefährte den eigenen Sohn, inzwischen neun Jahre alt, missbraucht und ihn für Missbrauchstaten gegen Geld im Internet angeboten haben. Acht Beschuldigte sitzen seitdem in Untersuchungshaft, heute wird dem ersten von ihnen vor dem Freiburger Landgericht der Prozess gemacht. Ein 41 Jahre alter Mann, dem nun unter anderem schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen werden. Ermittelt worden waren die Verdächtigen inklusive des hauptbeschuldigten Pärchens von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) der hessischen Generalstaatsanwaltschaft - Deutschlands modernste Spezialeinheit im Kampf gegen die Kriminalität im Netz. Im Interview am Morgen spricht ZIT-Oberstaatsanwalt Georg Ungefuk über die Schwierigkeiten, die er und seine Kollegen bei ihrer tagtäglichen Suche im Darknet lösen müssen.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

SZ: Herr Ungefuk, Sie haben mal gesagt, die deutsche Rechtsordnung sei "einfach nicht auf dem Stand von Crime 2.0". Nun beginnt der Prozess gegen den ersten Verdächtigen im Staufener Missbrauchsfall, einem Fall, der unvorstellbar grauenhaft war, dessen Hauptverdächtige aber innerhalb von sieben Tagen nach einem anonymen Hinweis ermittelt wurden. Sind also immerhin die deutschen Ermittlungsbehörden auf dem neuesten Stand?

Georg Ungefuk: Man kann sagen, dass der Gesetzgeber permanent dabei ist, das Strafprozessrecht anzupassen - einerseits. Andererseits besteht weiterhin ein hoher gesetzgeberischer Bedarf. Die technologischen Möglichkeiten für Kriminelle steigen, das Umfeld für uns Ermittler wird dadurch schwieriger. Außer der Cyber-Kriminalität gibt es kein anderes Kriminalitätsfeld, wo so viel Dynamik und ständiger Anpassungsbedarf herrschen. Aus unserer Sicht ist es zwingend notwendig, dass sich die deutsche Rechtsordnung weiterentwickelt.

In welchen Bereichen?

Da müsste ich nun sehr weit ausholen. Ein Beispiel: Das Posten sogenannter, gefakter Kinderpornografie. In die meisten Kinderporno-Foren kommt nur rein, wer selbst entsprechendes Material postet. Das verbietet die deutsche Rechtsprechung, obwohl es die wichtigste Maßnahme für uns wäre, um Zugang zu abgeschotteten Bereichen des Internets zu bekommen. Und obwohl es technisch kein Problem ist, kinderpornografisches Material herzustellen, dem kein Missbrauch zu Grunde liegt. Wir können täuschend echte, wirklichkeitsgetreue Fotos schaffen und posten, um so in die entsprechenden Foren zu kommen - dürfen wir aber nicht. Das hessische Justizministerium befasst sich aktuell im Rahmen einer digitalen Agenda mit einigen Vorschlägen aus unserer Ermittlungs-Praxis.

Schlag gegen Kinderpornografie-Plattform

Oberstaatsanwalt Georg Ungefuk

(Foto: dpa)

Im Ausland dürfen Ermittler solches Material posten.

Im Ausland, beispielsweise in Großbritannien und Australien, gehen die Befugnisse von verdeckten Ermittlern deutlich weiter, da sind Maßnahmen wie diese kein Problem, wenn sie von einem Richter angeordnet wären.

Könnten Sie nicht ausländische Ermittler bitten, Material zu posten, um dadurch Zugang und Kontakte zu bekommen?

Schwierig. Eine ausländische Behörde kommt eigentlich nur dann ins Spiel, wenn sie selbst Interesse an den Ermittlungen hat oder versucht, einen ausländischen Verdächtigen zu identifizieren. Die Kollegen haben insoweit keinerlei Verpflichtungen, uns zu helfen. Ob so ein Gesuch also klappen würde, ist völlig ungewiss. Ganz generell aber hat sich die internationale Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren stark verbessert, im Cyberbereich hat sich sehr viel getan. Zumindest, was Behörden angeht. Bei ausländischen Firmen tun wir uns oft schwer.

Inwiefern?

Wenn wir beispielweise feststellen, dass über einen Anbieter aus dem Ausland mittels E-Mails, Messenger- oder Cloud-Diensten Kinderpornos verbreitet werden. Der Anbieter kann sich an deutsche Kunden richten, hat aber seinen Firmensitz im Ausland. Dann können wir auch mit richterlichem Beschluss nach Nutzerdaten fragen, können uns aber nicht auf das Marktort-Prinzip berufen. Sehr oft heißt es dann, wir sollen uns doch bitte an die Muttergesellschaft im Ausland wenden, wo die Daten gespeichert seien. Das zu tun, bringt meist gar nichts. Bis die Muttergesellschaft reagiert, hat der Nutzer seinen Account gewechselt oder ist nicht mehr aktiv.

Was könnte man dagegen tun?

Das ist eine Frage, die nur der Gesetzgeber beantworten kann.

Hilft Ihnen eine erfolgreiche Ermittlung wie die im Fall des Staufener Missbrauchs, um Druck auszuüben und Forderungen zu stellen?

Nein. Im Fall des Staufener Missbrauchs hat ja alles schnell funktioniert. Die Fälle, die uns helfen, auf unsere Bedürfnisse und Forderungen aufmerksam zu machen, sind die Fälle, in denen wir nicht weiterkommen. Wenn wir ganz konkret sagen können: An diesem oder jenen Punkt hakt es in Deutschland. Dann versuchen wir auch, bestimmte Probleme an die Öffentlichkeit zu bringen.

Vor zwei Jahren, als Sie auf die rückständige deutsche Rechtsordnung aufmerksam machten, waren Sie bei der ZIT fünf Ermittler. Reicht das, um der steigenden Cyberkriminalität gerecht zu werden?

Inzwischen sind wir mehr. Zum 1. Mai werden beim ZIT insgesamt zehn Staatsanwälte arbeiten, wir sollen auch langfristig weiter aufgestockt werden. Man darf aber nicht verkennen: Wir sind eine Landesdienststelle, schwerpunktmäßig eigentlich für Hessen zuständig. Auf Bundesebene übernehmen wir nur die Fälle, in denen der Tatort erst mal unbekannt ist. Wenn es um die Bekämpfung von Internetkriminalität geht, sind alle Bundesländer gefordert. Gerade, weil dieser Deliktsbereich wie kein anderer international geprägt ist. Im Internet kommunizieren pädophile Täter von Australien bis Kanada und begehen gemeinsam Straftaten. Hinzu kommt der technische Fortschritt: Wann immer eine neue Errungenschaft aufkommt, machen sich Kriminelle diese zu Nutze. Wie im Darknet: Das Tor-Netzwerk war eigentlich lediglich dazu gedacht, Kommunikation zu anonymisieren. Jetzt nutzen es Kriminelle für Straftaten, wie die Verbreitung von Kinderpornografie.

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