Missbrauch:Aussage gegen Bill Cosby: "Ich wollte nur, dass es aufhört"

  • Andrea Constand ist die wichtigste Zeugin im Prozess gegen den US-amerikanischen Komiker Bill Cosby.
  • Der 79-Jährige soll etwa 60 Frauen sexuell missbraucht haben.
  • Da die meisten Anschuldigungen verjährt sind, ist der Strafprozess in Norristown, in dem Constands Fall verhandelt wird, das einzige Verfahren, das Cosby hinter Gitter bringen könnte.

Von Jürgen Schmieder, Norristown

Ihre wichtigste Zeugin präsentiert die Staatsanwaltschaft im Strafprozess gegen Bill Cosby völlig überraschend schon am zweiten Verhandlungstag: Es ist Andrea Constand - eine jener Frauen, die dem Schauspieler vorwirft, sie betäubt und danach sexuell missbraucht zu haben. Ein teils bizarres Schauspiel ist das, vorgeführt allein für die zwölf Geschworenen. Die müssen überzeugt werden. Dafür hat die Staatsanwaltschaft ihre wichtigste Zeugin früher als erwartet in den Zeugenstand gerufen.

Die Staatsanwaltschaft wird es schwer haben in diesem lang erwarteten Prozess. Etwa 60 Frauen werfen Cosby vor, von ihm betäubt und sexuell missbraucht worden zu sein. Dieser Prozess mit Andrea Constand als Hauptzeugin ist aber womöglich der einzige, der Cosby ins Gefängnis bringen könnte. Viele andere Fälle sind verjährt oder zu vage für eine Anklage. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.

Doch auch im Fall Constand gibt es nur wenige Indizien, die Cosby in Bedrängnis bringen können. Seine Aussage aus dem Jahr 2005 gehört dazu. In einem Zivilverfahren, das Constand damals gegen Cosby gewann, gab dieser zu, ihr das Schlafmittel Methaqualon verabreicht und sie danach ohne explizite Erlaubnis berührt zu haben. Er habe sich die Pillen damals besorgt, um mit jungen Frauen zu schlafen, gestand er. Auch auf dieser Aussage baut die Staatsanwaltschaft jetzt das Strafverfahren gegen Cosby auf.

Constands Geschichte mit Cosby beginnt 2002. Sie ist damals 30 Jahre alt und leitet als Sportmanagerin das Frauen-Basketball-Programm an der Temple University in Philadelphia. Während eines Basketballspiels habe sie Cosby auch kennengelernt, sagt Constand aus. Cosby war bis 1992 viele Jahre Star der Sendung "Die Cosby Show" und eine Instanz in den USA. Er war der berühmteste Absolvent der Temple-Uni und ein einflussreicher Förderer. Constand berichtet, wie er sie zu Partys, Vorführungen und privaten Abendessen eingeladen habe: "Er war für mich ein Freund, ein Vertrauter, ein Mentor."

Cosby wollte anscheinend mehr. "Bei einem Abendessen hat er sich neben mich gesetzt", sagt Constand aus. "Ich habe gespürt, wie er versucht hat, meine Hose zu öffnen. Ich habe mich nach vorne gelehnt, um ihn zu stoppen."

Staatsanwältin Kristen Feden lässt Constand Zeit, sich zu erklären. Manchmal bremst sie gar das Tempo. Spannungsaufbau für die Geschworenen. Erst nach etwa einer Stunde spricht sie jene Begebenheit an, die Cosby ins Gefängnis bringen könnte. Cosby, der die Befragung zuvor regungslos verfolgt hat, stützt jetzt seinen Kopf auf seine Hände.

Constand berichtet: Ein Abend im Januar 2004. Cosby hat die Zeugin in sein Haus in Elkins Park, einem Vorort von Philadelphia, eingeladen. Irgendwann "ging er nach oben, kam zurück und öffnete seine Hand. Darin waren drei Pillen", sagt Constand. "Er sagte zu mir: 'Die helfen dir, dich zu entspannen. Das sind deine Freunde.' Ich habe ihm vertraut, also habe ich die Pillen geschluckt."

"Als ich aufgestanden bin, haben sich meine Beine wie Gummi angefühlt"

Cosby habe ihr eingeredet, Wein zu trinken. "Nach einigen Minuten habe ich bemerkt, dass ich meine Worte verschlucke. Ich habe Herrn Cosby gesagt, dass ich ihn kaum erkenne und doppelt sehe", sagt Constand. "Als ich aufgestanden bin, haben sich meine Beine wie Gummi angefühlt - da habe ich Panik bekommen. Herr Cosby hat meinen Arm genommen und mich zu einer Couch geführt. Er hat gesagt: 'Leg dich hin, du musst dich ausruhen.' Ich habe mich hingelegt."

"Was ist dann passiert?", fragt die Staatsanwältin. Constand braucht einige Zeit, bis sie antworten kann. Sie ist nervös, den Tränen nahe. Dann fasst sie sich: "Ich habe gespürt, wie Herr Cosby meine Brüste berührt hat. Ich habe gespürt, wie er mit seinem Finger in meine Vagina eingedrungen ist und ihn darin bewegt hat. Er hat meine Hand zu seinem Penis geführt und ihn damit gerieben." Sie habe dem weder zugestimmt noch sich wehren können: "Ich konnte nicht kämpfen. Ich war wie paralysiert. Ich wollte nur, dass es aufhört." Dann sei sie ohnmächtig geworden. Oder eingeschlafen. Genau kann sie sich nicht erinnern.

Als sie früh am nächsten Morgen aufwachte, sei sie verwirrt gewesen und habe sich gedemütigt gefühlt: "Ich wollte einfach nur nach Hause gehen." Sie trifft Cosby im Haus. Es kommt zu einer wortarmen Verabschiedung. "All right", soll Cosby nur gesagt haben. Dann sei sie gegangen.

Cosby senkt seinen Kopf. Eine Minute lang verharrt er in dieser Position, dann flüstert er seinem Verteidiger Brian McMonagle etwas ins Ohr.

Staatsanwältin Feden überlässt es nicht Cosbys Verteidigern, die heiklen Nachfragen zu stellen. Etwa die, warum sich Constand gleich am nächsten Abend mit Cosby zum Abendessen getroffen hat? "Ich wollte von ihm wissen, was er mir gegeben hat", sagt sie. Darum sei sie seiner Einladung gefolgt. "Er hat gesagt: 'Du hattest einen Orgasmus, oder?' Ich war konsterniert." Was das aber für Pillen waren, habe er ihr nicht gesagt.

Und warum hat sie auch danach noch telefonischen Kontakt zu Cosby gehabt? Nach dem vermeintlichen Missbrauch soll sie ihn 53-mal angerufen haben, sagen Cosbys Anwälte. Constand: "Ich weiß nicht, wie oft wir miteinander telefoniert haben - es ging jedoch von diesem Zeitpunkt eher um berufliche Dinge als um mich. Ich habe ihn angerufen, weil er Informationen zur Basketball-Mannschaft haben wollte." Sie habe Ende März 2004 die Temple University verlassen und sei zurück nach Kanada zu ihren Eltern gezogen.

Warum hat sie erst ein Jahr nach der vermeintlichen Tat mit jemandem darüber gesprochen? "Ich hatte einen Albtraum, in dem Herr Cosby in mein Bewusstsein zurückgekehrt ist - ich hatte es verdrängt. Ich habe es meiner Mutter erzählt und ihr gesagt, dass ich fürchte, dass Herr Cosby das auch anderen Frauen antut."

Warum hat sie Cosby angerufen? "Meine Mutter hat ihn angerufen, er hat zurückgerufen. Ich habe ihm genau gesagt, woran ich mich erinnere und was er mir angetan hat." Auf die Frage nach Cosbys Reaktion sagt sie: "Wir haben darüber geredet, dann hat er sich bei mir und meiner Mutter entschuldigt. Er hat noch einmal betont, dass er gedacht habe, dass ich einen Orgasmus gehabt hätte." Danach betont sie nochmals, sie habe niemals eingewilligt, dass Cosby sie derart intim berühre.

Jetzt übernehmen Cosbys Verteidiger in dem Kreuzverhör die Befragung. Sein Anwalt McMonagle hatte vor dem Prozess angekündigt, Constand als ehemalige Geliebte von Cosby darstellen zu wollen, die aus Geldgier und Rachsucht die Wahrheit verdrehe. McMonagle aber überlässt die Befragung zunächst seiner Kollegin Angela Agrusa.

Constand ist gut vorbereitet. Sie beantwortet die teils hochgradig suggestiven Fragen gelassen, hin und wieder lächelt sie. Auf den Vorwurf etwa, dass sie von der Beziehung zu Cosby persönlich profitiert habe, sagte sie: "Mein Hauptaugenmerk lag darauf, dass die Basketball-Abteilung profitiert." Auf die Behauptung, dass sie vor der fraglichen Nacht bereits sexuellen Kontakt mit Cosby gehabt hätte, sagt sie schlicht: "Nein." Sie bleibt auch standhaft, als Agrusa insistiert, es sei doch wohl ein sexueller Kontakt, wenn Cosby, wie vor dem besagten Abend geschehen, einmal seinen Arm um ihre Hüfte gelegt habe. Constand: "Es war ein Annäherungsversuch."

Cosby verfolgt die Antworten Constands regungslos. An diesem Mittwoch wird der Prozess mit der Befragung Constands durch Staatsanwaltschaft und Verteidigung fortgesetzt.

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