Michael Jackson:Der tiefe Sturz des Kindmenschen

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Dem "King of Pop" wird vorgeworfen, einen zwölfjährigen Jungen mit ins Bett genommen und "unzüchtige und lüsterne" Dinge mit ihm getrieben zu haben. Die neueste Affäre des Popidols halten Experten für existenzgefährdend: "Er ist am Ende".

(SZ vom 22.11.2003) - Ja, sogar Peter Pan ist seinen Häschern einmal in die Hände gefallen, dem üblen Kapitän Hook und seiner Piratenbande. Sie banden ihm die Hände auf den Rücken und pieksten ihn mit ihren Säbelspitzen die Planke hinauf, die über die Reling hinausragte ins Meer mit seinen gefräßigen Untieren.

Aber Peter ist entkommen, davongeflogen ist er, und es waren seine Freunde, die ihm halfen, die Jungens aus Neverneverland. Auch Michael Jackson haben sie die Hände auf dem Rücken gefesselt, und als er über die Schwelle des Polizeigefängnisses von Santa Barbara treten soll, streckt er die Arme steif nach hinten weg, als ob er die Handschellen abstreifen und hinüberfliegen wollte in sein Neverland, dort wo seine Ranch und sein Refugium sind.

Quittung für drei Millionen Dollar

Aber Märchen gibt es nicht im richtigen Leben, und deshalb haben sie Jacko, den alterslosen Prinzen des Pop, erkennungsdienstlich behandelt, wie das so hässlich heißt. Sie haben ihn fotografiert und seine Fingerabdrücke genommen, sie haben ihm die Vorwürfe vorgetragen und eine Quittung ausgestellt für die drei Millionen Dollar, die er als Kaution hinterlegen musste.

Dann durfte er nach Hause gehen nach Neverland, aber frei ist er noch lange nicht: Am 9. Januar wird er dem Richter vorgeführt, der ihm die Anklage vorlesen wird. Dann muss er sich verteidigen gegen die "große Lüge", wie sein Anwalt Mark Geragos das nennt: Dass er einen zwölfjährigen Jungen mit ins Bett genommen und "unzüchtige und lüsterne" Dinge mit ihm getrieben habe. Der Paragraf 288 (a) des kalifornischen Strafgesetzbuches bleibt, wie es scheint, auch nach seiner Reform einem alttestamentarischen Sprachduktus treu.

Mit Anwälten und mit der Justiz kennt der 45-jährige Entertainer sich aus. Millionen von Dollar hat er in den vergangenen Jahren für Hunderte von Rechtsstreitigkeiten ausgegeben. Da ist der seit langem schwelende Streit mit seinen Geschäftspartnern von der Sony Music Group, da sind Schadensersatzklagen, weil er Konzerte hat platzen lassen, und da war der alte Vorwurf, als er schon einmal, vor fast genau zehn Jahren, in den Verdacht geriet, kleine Jungen miss-braucht zu haben, die er eingeladen hat-te in sein Märchenreich. Damals hat auch der künstlerische und geschäftliche Abstieg des Show-Stars begonnen. Von seinem Album Invincible wurden nur zwei Millionen Stück abgesetzt - eine jämmerliche Zahl, verglichen mit der Erfolgs-CD Thriller, die allein in den USA 25 Millionen mal verkauft wurde.

"Der letzte Nagel in seinem Sarg"

Ernst war die Lage also schon lange, aber noch nie so schwarz wie jetzt. "Er ist am Ende", konstatiert Kurt Loder vom Musiksender MTV erbarmungslos. "Es ist sehr traurig, die Leute gaffen ihn nur an. Sie können nicht glauben, was er mit seinem Gesicht angestellt hat, mit seinem Benehmen, dass er Kinder vom Balkon zappeln lässt, mit pubertierenden Jungen die Welt bereist und diesen Dokumentarfilm macht, in dem er sagt, dass er gerne mit Jungens schläft, und dass alles sehr süß ist, nur Milch und Kekse. Aber das, das ist jetzt der letzte Nagel in seinem Sarg."

Wenn man nach der Person sucht, die diesen Nagel in die Kiste hämmert, so stößt man sehr schnell auf Thomas Sneddon. Mit seinem schütteren Haar, dem zerzausten weißen Schnurrbart und der schief sitzenden Brille wirkt er eher wie eine Figur aus einer Erzählung von Mark Twain; aber man sollte sich nicht täuschen: Seit 21 Jahren ist Sneddon Staatsanwalt des Prominentenbezirks von Santa Barbara nördlich von Los Angeles, wo man Bo Derek beim Shopping oder Sean Connery im Restaurant über den Weg laufen kann.

Ruf eines Terriers

In dieser Zeit hat sich Sneddon den Ruf eines Terriers erworben, der nicht loslässt, wenn er sich in einen Fall verbissen hat. "Wenn es um Rechtsfragen geht, ist er sehr schwarz und weiß", urteilte seine Stellvertreterin Joyce Dudley. "Man steht entweder auf der einen Seite oder auf der anderen."

Sneddon hatte schon 1993 die Anklage gegen Jackson vorbereitet, bevor der Sänger mit einer Millionensumme die Vorwürfe der Kindesmisshandlung aus der Welt schaffte und anschließend den Staatsanwalt in einem Song als "Dom Sheldon, den kalten Mann" verspottete.

Der Ankläger streitet zwar ab, dass er den Star seitdem mit einer Vendetta verfolgt, aber alte Bekannte haben Zweifel: "Wenn er einmal glaubt, dass jemand schuldig ist und davonkam, dann vergisst er das nicht", meinte der pensionierte Richter James Slater, der oft mit Sneddon im Gericht zu tun hatte. Außerdem müsste der Staatsanwalt ein Heiliger sein, wenn ihn der Vorwurf der Kindesmisshandlung persönlich unberührt ließe: Sneddon hat selbst neun Kinder.

In einer ähnlich großen Familie ist auch Michael Jackson groß geworden, und sein älterer Bruder Jermaine hat erst jetzt wieder trotzig behauptet, dass sie "eine unglaubliche, eine wunderbare Kindheit" gehabt hätten.

Michael, der sich mit Kindern und mit Spielsachen umgibt, sieht das wohl anders und in seinem melancholischen Song Childhood hat er das auch ausgedrückt: "Bevor ihr über mich urteilt, versucht mich zu lieben, blickt in eure Herzen und fragt dann: Habt ihr meine Kindheit gesehen? Ich suche nach dem Wunder meiner Jugend, wie Piraten in abenteuerlichen Träumen."

© Von Wolfgang Koydl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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