Mexiko:Frosch mit der Maske

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Zumindest als Halloween-Maske ist "El Chapo" in Mexiko sehr präsent. 2000 Latexmasken mit seinem Konterfei wurden schon verkauft. (Foto: Tony Rivera/AP)

Und wieder einmal gelingt Drogenboss "El Chapo" die Flucht. Setzen die mexikanischen Behörden wirklich alles daran, den Verbrecher zu finden? Zumindest als Latexmaske ist er im Land allgegenwärtig.

Von Boris Herrmann

Der meistgesuchte Drogenboss der Welt ist ganz leicht zu finden. Es gibt ihn überall, als T-Shirt-Aufdruck, Schlüsselanhänger und Kaffeetassenmotiv. In Mexiko und vor allem in seiner Heimatregion Sinaloa ist Joaquín Guzmán Loera, 58, genannt "El Chapo" (der Kurze), eben nicht nur ein flüchtiger Schwerverbrecher, sondern auch ein Popstar. Und jetzt, da Halloween ansteht, wird er zum großen Gruselhelden. Man habe bereits 2000 Guzmán-Masken verkauft, teilte ein Kostümhersteller mit. Vermutlich wird es nicht einfacher, den echten Chapo zu finden, wenn demnächst halb Mexiko voller Chapos ist.

Seit jenem 11. Juli 2015, als Guzmán Loera aus dem Hochsicherheitsgefängnis Altiplano entkam, wird in Mexiko jeder Stein umgedreht, um den Anführer des Sinaloa-Kartells möglichst schnell wieder einzufangen. Und vor wenigen Tagen hätten sie ihn beinahe erwischt. Beim beherzten Zugriffsversuch von Marineinfanteristen und Fallschirmjägern musste "El Chapo" überstürzt flüchten und verletzte sich dabei. Er hat es gerade noch einmal geschafft, aber die Schlinge zieht sich zu. Das ist zumindest die offizielle Version.

Man kann diese Geschichte auch so erzählen: Die mexikanischen Behörden haben aus US-Geheimdienstkreisen offenbar detaillierte Hinweise erhalten, wo sich der weltweit gesuchte Drogenboss mit seinem engsten Zirkel verschanzt hat - nämlich in seiner Heimat, auf einer Ranch in der Sierra Madre. Diese Hinweise stammen dem Vernehmen nach aus wochenlangen Ermittlungen der US-Anti-Drogen-Behörde DEA, vor allem aus abgehörten Telefonaten. Die Mexikaner mussten den Mann im Grunde nur noch festnehmen - und das ging wieder einmal schief. Viele fragen sich nun, ob das wirklich nur Pech gewesen sein kann.

Das mexikanische Nachrichtenmagazin Proceso zitiert eine nicht namentlich genannte Quelle der DEA mit dem Satz: "Es gab eine Verzögerung von mehreren Stunden zwischen dem Zeitpunkt, als wir die Information zur Verfügung stellten und dem Beginn der Operation." Die mexikanischen Marines seien schlichtweg zu spät gekommen. Guzmán und seine Leibwächter seien da schon ins Dickicht geflohen.

Diese Version der Geschichte erhärtet freilich den Verdacht, dass entscheidende Stellen des mexikanischen Staates an einer Festnahme des Drogenbosses nicht sehr interessiert sind. Womöglich, weil er in Freiheit nicht so viel Schaden anrichten kann wie als Gefangener. Schon als er im Juli (angeblich durch einen selbstgebuddelten Tunnel) aus dem Hochsicherheitstrakt spazierte, hat ihn keiner aufgehalten. Inzwischen musste Mexiko dem Drängen der Amerikaner nachgeben, Guzmán im Fall einer Festnahme an die USA auszuliefern. Doch niemand weiß besser als "El Chapo", welche Politiker und Militärs in Mexiko in den Drogenhandel verstrickt sind. Als Kronzeuge wäre er eine Zeitbombe für diesen Staat.

Es ist bezeichnend, dass Mexikos Behörden die misslungene Festnahme fast zwei Wochen lang geheim hielten und erst nach US-Medienberichten öffentlich bestätigten. Bezeichnend ist auch, dass der Anführer eines weltweit operierenden Kokain-Imperiums sich ausgerechnet in seiner Heimat versteckt. In Sinaloa, wo sie ihn "El Señor", den Herrn, nennen, wo sich die Leute an Halloween "El Chapo"-Masken aufziehen und die Marines gerne mal einen Tick zu spät kommen, dort fühlt er sich wohl am sichersten.

© SZ vom 19.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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