Kinderehen:Menschenrechtlerin: Ehen mit Kindern unter 14 Jahren sind Kindesmissbrauch

In Deutschland gibt es immer mehr Kinderehen. Diese pauschal aufzulösen, könne jedoch schlimme Folgen für die Minderjährigen haben, sagt Expertin Petra Follmar-Otto.

Interview von Ulrike Heidenreich

Laut den Vereinten Nationen leben weltweit 700 Millionen Mädchen in Ehen, die sie vor ihrem 18. Lebensjahr eingehen mussten. Etwa 1500 verheiratete Minderjährige gibt es laut Bundesinnenministerium in Deutschland, Tendenz steigend, vor allem wegen des Flüchtlingszuzugs. Bund und Länder beraten derzeit über den Schutz vor Kinder- und Zwangsehen. Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für Menschenrechte fordert, Kinderehen nicht grundsätzlich für nichtig zu erklären.

SZ: Immer mehr Mädchen werden als Kinder verheiratet, teils bereits im Alter von zehn Jahren. Das sind schockierende Zahlen. Und da fordert Ihr Institut, Kinderehen nicht generell für unwirksam zu erklären. Das richtige Signal?

Petra Follmar-Otto: Natürlich teilen wir das menschenrechtliche Ziel, weltweit eine Ehemündigkeit erst ab 18 Jahren zu erreichen. Der Anstieg in manchen Weltregionen ist tatsächlich dramatisch. Vor allem bei syrischen Mädchen. Vor dem Krieg lag die Quote bei Minderjährigen-Ehen bei unter 15 Prozent, mittlerweile liegt sie bei 50 Prozent. Vor allem in den Flüchtlingslagern in den Anrainerstaaten. Das hat sehr viel zu tun mit Not und Verzweiflung.

Kinderehen: Petra Follmar-Otto ist Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa am Deutschen Institut für Menschenrechte. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Folterprävention und den Formen moderner Sklaverei.

Petra Follmar-Otto ist Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa am Deutschen Institut für Menschenrechte. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Folterprävention und den Formen moderner Sklaverei.

(Foto: OH)

Die Hauptmotivation der syrischen Eltern ist es ja, ihre Mädchen so vor Missbrauch in den Lagern oder auf der weiteren Flucht zu schützen.

Das ist ein Riesenproblem, dem wir uns stellen müssen, wenn sie dann in Deutschland angekommen sind. Die pauschale Forderung nach Unwirksamkeit dieser Ehen in Deutschland ist die falsche Konsequenz. Sie kann im Einzelfall zu problematischen Situationen für Minderjährige führen.

Von welchem Alter der Kinder an sollten diese Ehen anders betrachtet werden?

Natürlich müssen im Einklang mit deutschem Strafrecht Ehen von Kindern unter 14 Jahren grundsätzlich aufgehoben werden, das fällt unter Kindesmissbrauch. In der Praxis geht es uns insbesondere um die Altersgruppe von 16 bis 18 Jahren. Etwa zwei Drittel der in Deutschland registrierten Minderjährigen-Ehen unter Flüchtlingen fallen darunter. Würden diese Ehen generell für unwirksam erklärt, würde das bedeuten, dass sie nie bestanden haben. Damit gingen alle Rechte verloren, die sich aus einer Ehe ergeben. Die Minderjährigen hätten keine Unterhaltsansprüche, Kinder würden als illegitim angesehen. Damit wären die verheirateten Minderjährigen und die Kinder ins soziale Abseits gedrängt und eine Rückkehr in die Heimatländer könnte unmöglich werden.

Heißt das, man muss diese Ehen hier tolerieren, um die Kinderbräute später in ihrer Heimat zu schützen?

Nein, es ist nötig, im Einzelfall zu sehen, was für das Mädchen das Richtige ist. Das führt sicher in vielen Fällen zur Ehe-Aufhebung. Berücksichtigt werden muss aber auch, wie der Wille des Mädchens ist. Dieser Aspekt fällt auch unter Kindeswohl. Da gibt es Fälle, in denen das Mädchen ganz klar zum Ausdruck bringt: Das ist mein Ehemann, ich will mit ihm leben.

Die Kinder sind doch oft unter Druck. Lassen sich in einer Einzelfallprüfung denn tatsächlich Indizien auf Zwangsverheiratung feststellen?

Auf jeden Fall. Es gibt verfahrensrechtliche Beistände, die überprüfen, ob Mädchen unter dem Druck ihres Ehemanns stehen. Grundsätzlich gilt aber, dass die Jugendhilfe gestärkt werden muss. Deren Zuständigkeit muss klargestellt werden, und Mitarbeiter müssen sensibilisiert werden. Es muss mit den Betroffenen und nicht über die Betroffenen gesprochen werden - das fehlt in der Diskussion in Deutschland.

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