Drogensucht:Besser Hilfe statt Strafe

Berliner Ambulanz ´Patrida"

Ein Blick in einen Applikationsraum in der Praxis "Patrida", in welchem sich Heroinsüchtige selbst spritzen können. 2013 eröffnete die Berliner Ambulanz - bis heute ist sie die einzige der Stadt.

(Foto: dpa; Bearbeitung SZ)

Das deutsche Recht ist, wenn es um die Süchtigen geht, ziemlich eindeutig: Strafe muss sein. 6000 Menschen sind in Haft, obwohl sie niemandem etwas getan haben - außer sich selbst.

Kommentar von Ronen Steinke

Strafe muss sein? Klar. Strafe muss sein, das haben die Polizisten des Bundeskriminalamts wieder unausgesprochen vorausgesetzt, als sie an diesem Mittwoch in Wiesbaden ihr jährliches "Lagebild Rauschgiftkriminalität" der versammelten Presse vorstellten. Strafe muss sein, und Fahndungen, Razzien, ja, Gefängnis dann auch.

Das ist die heutige Grundhaltung in Deutschland zumindest gegenüber einigen Drogen. Es ist der Grund, weshalb der "Kampf" gegen solche Drogen enorme Ressourcen von Polizei und Justiz verschlingt, und weshalb - viel wichtiger - heute mehr als 6000 Menschen in deutschen Gefängnissen sitzen, die gegen niemanden Gewalt verübt, aber mit Drogen hantiert haben. Das sind mehr als zehn Prozent aller Strafgefangenen im Land.

Man muss daran erinnern: Es geht um Leute, die keinen anderen, nur den eigenen Körper schädigen. Der Staat bestraft sie mittlerweile etwas verschämt, indem er den eigentlichen Konsum nicht mehr unter Strafe stellt, sondern "nur" das ganze Drumherum, das zum Konsum nötig ist. Verschämt ist er zu Recht: Solange die Konsumenten andere in Ruhe lassen, geschieht kein Unrecht, das einer Strafe würdig wäre. Diese Sicht müsste für das Selbstverständnis eines liberalen Staats eigentlich grundlegend sein, das Bundesverfassungsgericht hat das ganze Drogenstrafrecht deshalb nur mit äußersten Bauchschmerzen akzeptiert.

Es gehe letztlich um die "Volksgesundheit", haben die Karlsruher Richter in ihrer Cannabis-Entscheidung 1994 argumentiert. Volksgesundheit, das ist kein Rechtsgut von Individuen, zu dessen Schutz das Strafrecht in einer Demokratie üblicherweise allein dienen darf. Sondern, im Gegenteil, ein Rechtsgut, das man gegen Individuen in Stellung bringt. Man kennt diesen ungewöhnlichen Gedanken sonst nur vom Militär: von den Soldaten nämlich, die einst wegen "Wehrkraftzersetzung" bestraft werden konnten, wenn sie sich selbst verletzten (heute heißt der Straftatbestand, trotz Freiwilligenarmee, "Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung"). Schuldet der Bürger es der Gemeinschaft also, gesund zu bleiben - so wie der Soldat seinem Befehlshaber?

6000 Menschen sind in Haft - obwohl sie niemandem etwas getan haben, außer sich selbst

Der massive Konsum von Drogen zerstört Leben, ähnlich wie das exzessive Glücksspiel. Es ist richtig, wenn sich der Staat da fürsorglich zeigt, kein Gemeinwesen sollte dem gleichgültig gegenüberstehen, kein Gemeinwesen braucht sich auch mit Hilfe zurückzuhalten. Aber das heißt, sich erst recht zu fragen, ob der Einsatz von Polizei und Justiz Süchtigen hilft oder ob er ihr Elend noch verschlimmert. Kommt ein Kranker, den man einsperrt, weg vom Stoff? Oder bleibt er erst recht dabei, weil die Stigmatisierung und Desozialisierung dort ein Leben auf der schiefen Bahn zementieren?

Vor allem Bayerns Justiz gibt sich hart. Heroinabhängige, die ins Gefängnis kommen, werden oft vom Zugang zu einer Substitutionsbehandlung abgeschnitten. Deshalb hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesrepublik 2016 wegen Verstoßes gegen das Verbot von unmenschlicher oder erniedrigender Strafe verurteilt. Es gäbe zwar Ärzte, auch in Bayern, die wüssten, wie man das angeht, das Therapieren, so wie bei einem Glücksspielsüchtigen auch. Aber sie dringen nicht durch. Ergebnis: Kranke werden kränker. Begründung: Strafe muss sein.

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