Medizin:Schatten auf der Lichtgestalt

Der Chefarzt des Wegberger Klinikums galt stets als Dr. Tadellos. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung gegen ihn.

Johannes Nitschmann

Der Chirurg Dr. Arnold Pier gilt als Wegbereiter der schonenden Operationstechniken. Gerne holen TV-Redaktionen den eloquenten Mediziner zu Gesundheitssendungen ins Fernsehstudio.

Operation

Chirurgen bei der Arbeit: Hier wurde kein Zitronensaft eingesetzt.

(Foto: Foto: dpa)

Dort klärt er über die operative Beseitigung von Sodbrennen auf oder über Magenverkleinerungen zur Gewichtsabnahme. Zahlreiche Medizinpatente hat der 51-jährige Chefarzt aus dem rheinischen Wegberg entwickelt.

Seine endoskpische Blinddarmentfernung rühmte das Medizin-Magazin des WDR als "revolutionierende Operationstechnik". Bei zahllosen "TV-Live-Operationen" hat sich der innovative Chirurg auf die Finger schauen lassen. Ein Doktor Tadellos.

Doch jetzt fallen Schatten auf die medizinische Lichtgestalt. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach ermittelt gegen Dr. Pier wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der schweren Körperverletzung. Zudem stehen Vorwürfe des Abrechnungsbetruges im Raum.

In der von dem prominenten Chirurgen geführten Wegberger St. Antonius-Klinik sollen seit Februar vergangenen Jahres insgesamt 13 Patienten im Alter zwischen 44 und 95 Jahren aufgrund von Behandlungsfehlern verstorben sein.

"Mehr als ein Anfangsverdacht"

Vier dieser auffälligen Todesfälle hat die Staatsanwaltschaft bisher gutachterlich untersuchen lassen. In allen vier Fällen erkannte der Gutachter mögliche "Behandlungsfehler". Bei dem Tod einer 78-jährigen Frau und eines 69-jährigen Mannes besteht nach diesem Befund ,,ein kausaler Zusammenhang'' mit offenkundigen Kunstfehlern des Wegberger Chefarztes Dr. Pier.

Nach der OP aufgetretene Blutvergiftungen sollen nicht rechtzeitig erkannt worden sein. Die Ermittlungen stehen derzeit am Anfang. Neun Todesfälle sollen noch untersucht werden. ,,Wir haben mehr als einen Anfangsverdacht'', sagt Staatsanwalt Lothar Gathen. Ob dies zur Anklage führt, ist gegenwärtig offen.

Jedenfalls haben die bisherigen Erkenntnisse der Ermittler die Kölner Bezirksregierung alarmiert. Per Ordnungsverfügung hat die zuständige Fachaufsicht Dr. Pier am vergangenen Freitag vorläufig die weitere Behandlung von Patienten untersagt. ,,Seine Approbation ruht'', erklärt der Sprecher der Bezirksregierung, Dirk Schneemann.

Schatten auf der Lichtgestalt

Auslöser für das Ermittlungsverfahren gegen Dr. Pier ist eine siebenseitige anonyme Strafanzeige, die im Dezember vergangenen Jahres bei der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach eingegangen ist. Darin wird dem ehrgeizigen Chefarzt vorgeworfen, ,,aus reiner Profitgier Menschenleben aufs Spiel'' zu setzen.

"Er operiert willkürlich Patienten, ob sie einen Befund haben oder nicht. Das ist ihm egal", heißt es in der Strafanzeige, die der SZ vorliegt. Anfangs habe Dr. Pier "jedem Patienten die Galle und den Blinddarm entfernt", inzwischen habe er sich "auf künstliche Darmausgänge verlegt".

Dann wird die Anzeige konkret. "Nicht jeder Patient hatte das Glück, diese Eingriffe zu überleben." Insgesamt werden zwölf Todesfälle in der St. Antonius Klinik aus dem Jahre 2006 aufgezählt, denen schwere Behandlungsfehler voraus gegangen sein sollen.

Sekundärinfektionen

Nachdem Dr. Pier im Februar vergangenen Jahres das arg defizitäre 100-Betten-Krankenhaus von der Stadt Wegberg für 25.000 Euro gekauft hatte, soll er dort laut Anzeige dramatisch eingespart haben - an Personal und angeblich auch an Desinfektionsmitteln und Eiweißinfusionen nach Operationen.

Dadurch seien bei Patienten auf der Intensivstation immer wieder "Sekundärinfektionen" aufgetreten, behaupten die Anzeigenerstatter. Operierten Patienten sei ,,der Bauchraum mit frisch gepresstem Zitronensaft ausgespült'' worden. Im OP-Bericht sei der Zitronensaft als Ascorbinsäure gekennzeichnet worden.

Die Staatsanwaltschaft, die im Laufe ihrer Ermittlungen auf einen 13. Todesfall stieß und die Leiche exhumieren ließ, hält mindestens Teile der anonymen Anschuldigungen für "außergewöhnlich detailliert und fundiert". Dies deute darauf hin, dass auch Ärzte dahinter steckten, erklärt Staatsanwalt Gathen.

Zugleich gehe aus der Anzeige hervor, dass in der Wegberger St. Antonius Klinik ,,der Betriebsfrieden erheblich gestört'' sei.

Drohgebärden

Der Anwalt des beschuldigten Chefarztes, Thomas Verheyen, sieht in den Anschuldigungen eine Rufmord-Kampagne des Klinikbetriebsrates. "Da werden kübelweise Müll und Mist ausgeschüttet." Die Machtkämpfe zwischen Dr. Pier und dem Betriebsrat entladen sich in Arbeitsgerichtsverfahren, in hässlichen Intrigen und üblen Kolportagen.

Von Drohgebärden des Chefarztes ist die Rede, der einer Betriebsrätin mit blutendem Skalpell gegenüber gestanden haben soll. Selbst Beziehungen zur Scientology-Sekte werden dem Krankenhaus angedichtet.

Der renommierte Chirurg ist laut seinem Anwalt überzeugt, "die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen entkräften zu können". Der Staatsanwaltschaft habe er bei der Aufklärung der 13 Todesfälle von Anfang an seine Mitarbeit angeboten.

Einen Magdeburger Ordinarius will er für ein Gegengutachten bemühen. "Trotz der Schwere der Vorwürfe" wolle er sich öffentlich dazu derzeit nicht äußern. "Es handelt sich in allen Fällen um komplizierte fachmedizinische Fragen." Vorwürfe des Abrechnungsbetruges und der Geldschneiderei mit Operationen weist Anwalt Verheyen entschieden zurück: "Dr. Pier ist kein Scharlatan."

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