Medien:Ein bisschen Spaß muss sein

Harald Schmidt nach einem halben Jahr "Harald Schmidt": Eine voreilige Bilanz über den ARD-Heimkehrer.

Von Willi Winkler

Eine rätselhafte Krankheit muss das sein: Millionen werden davon befallen, und die Folgen sind verheerend. Nennen wir das Syndrom, in Ermangelung eines griechisch-lateinischen Hybrides, vorläufig Augäpfel-Erschlaffung.

Schmidt, dpa

Aus der Schmuddelecke zum Gott - und nun?

(Foto: Foto: dpa)

Die Anzeichen sind zunächst harmlos: Ermüdung, Erschöpfung, Überdruss, Missfallenskundgebungen. Wutausbrüche folgen, Verwünschungen, bald ein Aufstampfen mit den Hacken: "Ich kann den Kerl nicht mehr sehen!" Die Krankheit befällt fast ausschließlich TV-Zuschauer.

1998 wurde der verdiente Kanzler des Volkes, auch Dr. Helmut Kohl genannt, Opfer dieser Krankheit. Niemand konnte ihn mehr sehen, nicht mal die Brüder und Schwestern im Osten, denen er so begeistert das Blaue vom Himmel heruntergelogen hatte. Sieben Jahre später ist der nämliche Effekt beim derzeitigen Kanzler des Volkes zu beobachten: Keiner kann den armen Schröder mehr sehen.

Und jetzt Harald Schmidt. Wenn die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Recht haben sollte, dann hat Schmidt, kaum dass er aus der Kreativpause zurück und zur ARD gestoßen ist, seine Bedeutung eingebüßt.

"Es ist nicht mehr dasselbe"

"Subversiv ist an seinen Sendungen nichts mehr, kann es auch nicht sein. Selbst wenn er das gleiche macht wie vor zwei, drei Jahren bei Sat1 - es ist nicht mehr dasselbe."

Von der immer wieder gern gelesenen Tautologie abgesehen, dass das Gleiche nicht Dasselbe ist, gälte es zu untersuchen, worin die Bedeutung von Schmidt lag, liegt oder auch liegen könnte.

Zur Erinnerung: In sieben Jahren harter Fron hat sich Harald Schmidt in der Schmuddelecke von Sat1 nach oben, nach vorne oder doch unter die Schreibtischlampe des Feuilletons gearbeitet.

Dann war er plötzlich weg und Gott. Und Gott war tot. Selbstmord quasi. Ein mindestens nietzscheanisches Jammern und Klagen wehte Ende 2003 durchs Land, und die gleichen Zeitungen, die ihm eben vorgeworfen hatten, er gehe zu leichtfertig mit der demografischen Kurve um, er pirouettiere gar auf der brüchigen Bevölkerungspyramide, wo man sich doch Sorgen um Volk & Vaterland & Rente zu machen habe, die gleichen (oder dieselben?) Zeitungen weinten um ihn, als hätte man Redakteuren das Dienstauto aberkannt.

Die Nachfolgerin Anke Engelke war nicht ganz so göttlich, aber dafür umso schneller weg. Jetzt ist Harald Schmidt ein halbes Jahr wieder da, und das Maulen will kein Ende nehmen. Gut, die Zeit, das ist ihre Natur, eilt im Sauseschritt, aber das ist schon eine sonderbare Beschleunigung: 16 Jahre Kohl - 7 Jahre Schröder - und ein halbes Jahr Schmidt?

Mit einer Sendung vor Weihnachten 2004 begann Harald Schmidt bei der ARD. Wenn er nächste Woche in den Urlaub geht, ist er wieder sechs Monate im Dienst - können einem da schon die Augäpfel erschlaffen? Oder steckt beim einst so gewogenen Feuilleton ein finstrer "Wunsch nach Vernichtung" dahinter, wie Schmidt schon selber mutmaßte?

Nochmal die Vorgeschichte: Geduldig hat er eine persona kreiert, die mal mehr, mal weniger identisch war mit dem Schauspieler und Kabarettisten Harald Schmidt.

Ein bisschen Spaß muss sein

Es bedurfte sehr vieler Polenwitze, ungezählter unterirdischer Zoten, es bedurfte eines verlässlich einschichtigen B- und C-Personals von Dieter Bohlen bis Susan Stahnke, es brauchte schließlich ein fernsehmüdes, augäpfelschlaffes Feuilleton, das nach jahrelangem Schimpfen über diesen mitternächtlichen Kasper endlich bereit war, sich vom Moderator diese Exempel eines Furcht erregenden Geschmacks Abend für Abend reinreichen, durchwatschen und wieder fortschicken zu lassen.

Kuscheliges Ambiente des Vertrauten

Vom Griff an den Brillensteg über das Glas reinen deutschen Wassers bis zur Kapelle von Helmut Zerlett musste ein kuscheliges Ambiente des Vertrauten geschaffen werden.

Daneben wurde eine Stammbesetzung aufgebaut, variiert, mit Biografien versehen, verstoßen oder wieder entdeckt. Die beste Entdeckung war Manuel Andrack, ursprünglich der zum Aufpassen zugesellte Produzent, der sich zum Stichwortlieferanten mit angenehm biederem Eigenleben (Bier, Fußball, Familie, Wandern) verbesserte.

Die zwei Chinesen aus dem Lokal von nebenan halfen mit Konfuzius aus, die dicken Kinder von Landau mit körpereigenem Fett, Üzgür sorgte dafür, dass unsere türkischen Mitbürger nicht diskriminiert wurden, und hin und wieder wurden Minderheiten beleidigt: allein erziehende Mütter, Bundeswehr, Pfarrgemeindechormitglieder, gern auch Personen erwiesener Durchschnittlichkeit, Menschen wie du und du und natürlich ich.

Bis auf Andrack fehlt das alles in der neuen, schlankeren ARD-Version, die dafür ohne Werbe-Pausen und ohne TV-Kleindarsteller (vulgo: "Gäste") auskommt. Das ist unbedingt ein Fortschritt - allerdings fehlt das Ensemble. Schmidt verzichtet ohne Not auf das Wohnzimmergefühl.

Die Augäpfel-Erschlaffung befällt zuzeiten auch Schmidt, was bei drei, vier Stunden Fernsehen täglich, zu denen er sich bekennt, auch kein Wunder ist. Der Papst gab ihm wenig, der Niedergang der Regierung noch weniger.

Seine Kommentierung der Begegnung Deutschland-Australien am Mittwoch war dafür umso besser. Weder Beckmann noch Netzer kämen je auf die Idee, sich eine "Maredo-Bestie" zu wünschen, einen Spieler mit der "Fähigkeit, die Zähne in den Feind zu hauen" und bei der Gelegenheit Michael Jackson wegen seiner sexuellen Orientierung gleich noch für eine Volksmusiksendung zu empfehlen.

Im wieder kurrenten Snobismus rühmt man sich der Fernsehabstinenz, macht womöglich den Apparat dafür verantwortlich, dass es nur diese ostwestliche Ying-Yang-Mischung aus Gerhard Merkel und Angela Schröder gibt - und wieder nichts zu beißen.

Dazwischen, in der garantiert verantwortungsfreien Zone zwischen den Strömungsbildern des Wetterberichts und einer tief in die Nacht verdrängten Dokumentation über ganz schlimme Dinge, erlaubt sich das staatstragende, gebührenbezahlte Fernsehen diese zwar unbedingt staatserhaltenden, aber wenigstens komplett verantwortungsbefreiten 30 Minuten, in denen an guten Tagen Adolf Hitler so eindringlich vor dem Rechtsradikalismus warnt, dass es selbst Bild gruselt.

Harald Schmidt ist mal schlecht, mal gut und öfter brillant, als er es im Privatsender Sat1 je sein konnte. Nur: Es sind zu wenige Auftritte. Wenn er zwei Mal pro Woche sendet und manchen Termin noch an den Scheibenwischer oder für ein Sportereignis hergeben muss, kann er sein Instrumentarium nicht in gewohnter Weise aufbauen, kann dem Zuschauer nicht das Gefühl geben, es sei wenigstens einer verlässlich unkonstruktiv.

Nein, stimmt ja, Harald Schmidt stellt sich nicht den Lebensfragen der Nation. Er begrübelt weder Europa noch Globalisierung. Er macht den grämlichen Ton der hysterischen Klageweiber überwiegend männlichen Geschlechts in manchen Leidmedien nicht mit und schöpft seinen Spaß lieber beim Fußball als aus der silbermetallic-farbenen Tonne, von der aus Schröder Niederlage um Fiasko eingestehen muss.

Es ist schon schlimm: Der Mann macht sich über alles lustig. Komischerweise will er nicht Bundespräsident oder Kulturminister werden; nicht mal der Job des FDP-Generalsekretärs scheint ihn zu reizen. Wenigstens einer, der noch seinen Witz beisammen hat.

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