Massaker von Newtown:Amerika am Wendepunkt

Die USA diskutieren nach dem Massaker von Newtown über das Waffenrecht - ähnlich wie bei vorangegangenen Amokläufen. Etwas ist diesmal aber anders: Präsident Obama könnte jetzt bereit sein, Stellung zu beziehen. Und sei es allein deshalb, weil er in seiner zweiten und letzten Amtszeit die Propaganda der Waffenlobby nicht mehr fürchten muss.

Ein Kommentar von Nikolaus Piper

Es mag zynisch klingen, aber nach jedem Massaker, nach jedem Amoklauf in Amerika läuft dasselbe Ritual ab: Liberale fordern strengere Waffengesetze, Konservative verteidigen das Recht, Waffen zu tragen mit dem schlagenden Argument, es seien nicht Waffen, die töten, sondern Menschen. Und Beobachter aus dem europäischen Ausland fragen sich fassungslos: Was muss noch passieren, damit Amerika endlich aufwacht und etwas gegen den Wahnsinn unternimmt?

Es könnte allerdings sein, dass der Amoklauf an der Schule in Connecticut mit seinen 28 Toten ein Wendepunkt in der amerikanischen Waffendebatte wird. Sicher ist das keinesfalls, zu viel ist schon geredet worden, zu lange sind die Waffengegner schon in der Defensive. Aber etwas ist diesmal anders: Präsident Barack Obama, der der Waffendebatte bisher immer ausgewichen ist, könnte jetzt bereit sein, Stellung zu beziehen. Und sei es allein deshalb, weil er in seiner zweiten und letzten Amtszeit die Propaganda der Waffenlobby nicht mehr fürchten muss.

Supporters of gun control outside the White House

Eine Frau protestiert vor dem Weißen Haus, "Waffenkontrolle. Schütz unsere Kinder" steht auf dem Plakat.

(Foto: dpa)

Seine kurze Ansprache zu Connecticut, in der er sichtlich mit den Tränen kämpfen musste, hat die Nation berührt und, wenigstens für ein paar Augenblicke, geeint. Obama forderte "sinnvolle Aktionen" gegen die Waffengewalt in dem Land. Jetzt steht der Präsident unter erheblichem Druck, den Worten Taten folgen zu lassen, nicht nur durch seine Anhänger auf der Linken, sondern auch durch Politiker der Mitte wie New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg. "Wir müssen sofort handeln", sagte Bloomberg

Strenge Gesetze mit eindeutigen Lücken

Es wäre eine historische Chance für Obama. Noch ist nicht absehbar, wo eine politische Mehrheit für strengere Waffengesetze herkommen könnte, aber bisher gibt es ja nicht einmal ein konkretes Programm, um das gestritten werden könnte. Gäbe es ein solches, wäre dies ein riesiger Fortschritt. Der Amoklauf in der Schule von Newtown hat eines gezeigt: Amerika muss auf nationaler Ebene die Waffengewalt eindämmen.

Die Grenzen zwischen Bundesstaaten sind bedeutungslos für Gewehre, wenn sie denn einmal gekauft sind. Der Staat Connecticut hat vergleichsweise strenge Waffengesetze, aber auch die haben eindeutige Lücken. Für einige Waffen hilft nur ein klares Verbot. Der Mörder von Newtown hat offenbar halbautomatische Waffen benutzt. Niemand braucht so etwas, wenn er sich vor Verbrechern schützen oder auf die Jagd gehen will. Der Missbrauch liegt schon im Kauf so einer Waffe.

Kein Politiker kann versprechen, dass es keine Massaker mehr geben wird, wenn strengere Gesetze einmal beschlossen sind. Es gibt längst zu viele Waffen auf der Welt, und absoluten Schutz vor dem Bösen wird es niemals geben. Selbst nach sinnvollen Reformen wird Amerika ein Land mit mehr Waffen bleiben, als Europäer sich dies vorstellen können. Möglich ist es aber, dem Anstieg der Waffengewalt, der wachsenden Angst der Eltern und der grassierenden Kultur des Waffengebrauchs etwas entgegenzusetzen.

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