Mafia-Morde von Duisburg:Klagen und Schweigen

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Archaische Rituale, Blutfehden - und Schweigen: In der kalabrischen Ortschaft San Luca herrschen die Gesetze der 'Ndrangheta. Vor vier Jahren eskalierte der Machtkampf lokaler Clans, seine Ausläufer reichten bis nach Deutschland. Sechs Italiener wurden in Duisburg ermordet, nun soll in Italien das Urteil fallen. Eine Spurensuche in dem Ort, in dem nicht einmal der Pfarrer über die Mafia reden will.

Andrea Bachstein, San Luca

"Wahrheit und Gerechtigkeit", fordert sie für sich und ihren Sohn. Auch von Ehre spricht Antonia Giorgi Marmo. Etwas schlicht, hart und älter als ihre 60 Jahre wirkt die schwarzgekleidete Frau, die entschlossen hantiert mit diesen großen Begriffen. Von Ehre haben manche aber ihre eigene Auffassung hier in Kalabrien. Das ist ein Grund, warum Antonia Giorgis Sohn Marco tot ist. Ihre Wahrheit über ihn wiederum, deckt sich nicht mit anderen Erkenntnissen. Auch in dem Ort, wo Marco Marmo beerdigt ist, stellen sich Fragen nach Schein und Sein. So wie es dargestellt wird, sagen sie hier, sei San Luca in Wahrheit nicht.

Eine italienische Fehde, die bis nach Deutschland reichte: Am 15. August 2007 starben im Duisburger Restaurant Da Bruno sechs Männer im Kugelhagel der 'Ndrangheta. (Foto: dpa)

Das Dorf im Aspromonte-Gebirge ist auch außerhalb Kalabriens verrufen, spätestens seit dem 15. August 2007. Da wurden im 2000 Kilometer entfernten Duisburg sechs Männer getötet, unter ihnen Marco Marmo. Die 'Ndrangheta-Morde im Restaurant Da Bruno waren Teil der 20-jährigen Fehde von Clans aus San Luca, den Nirta-Strangio und den Pelle-Vottari. Als Haupttäter gilt der 32-jährige Giovanni Strangio. In den kommenden Tagen verkündet das Schwurgericht des Küstenstädtchens Locrì die Urteile. Es geht im "Fehden-Prozess" nicht nur um Duisburg. Lebenslang für Giovanni Strangio und acht der 14 Angeklagten fordert der Leitende Staatsanwalt Nicola Gratteri, einer der bekanntesten Mafia-Bekämpfer Italiens.

Die sechs in Duisburg waren nur die vorläufig Letzten im Machtkampf zweier Clans, in dem es auch um eine Art Vergeltung ging, die in ihrem Ehrenkodex eigentlich tabu ist: die Tötung einer Frau. Die Schwester des Hauptverdächtigen war an Weihnachten 2006 in San Luca erschossen worden. Versehentlich, der Hinterhalt galt ihrem Mann. Die Rache für Maria Strangios Tod hat Deutschland damit konfrontiert, wie präsent auch hier die 'Ndrangheta ist, eine weltweit operierende Mafia, die 44 Milliarden Euro im Jahr umsetzt, vor allem mit Drogen. Das Geld wäscht sie in Lokalen, Scheinfirmen und auf den Finanzmärkten.

So modern sie agiert, ihre Basis bleiben Orte wie San Luca. Vor zwei Generationen waren die Menschen hier noch Hirten. "Es geht in San Luca zu wie vor 100 Jahren", sagt Major Ciro Miglio, ein hoher Carabiniere-Offizier. Die Staatsmacht agiere hier in "uns seit je feindlicher Umgebung". Archaische Rituale mit angebrannten Heiligenbildchen und Blutfehden pflegt die 'Ndrangheta hier, sie hat sie auch nach Duisburg exportiert. Seither sei es relativ ruhig in San Luca, sagt Major Miglio. "Die vielen Festnahmen und der Prozess haben die Fehden zum Stillstand gebracht."

Als Fremder im Dorf nicht aufzufallen ist unmöglich. Die Blicke der Männer vor den Bars signalisieren, dass man hier keinen Schritt unbeobachtet macht. Ihre Frauen sind zu Hause, unterwegs sieht man kaum eine, schon gar nicht in Bars. Auch auf den Mopeds sitzen nur Jungs. Sie kurven ständig über die Dorfstraßen, alle ohne Helm. Es ist schwierig, über Duisburg und die Clans zu reden. Der Pfarrer mag vor dem Urteil nichts sagen, und der Bürgermeister geht nicht mehr ans Telefon. Wortkarg werden bei dem Thema auch die anderen. Dabei erzählen die Männer sonst gern. Von der schönen Umgebung im Aspromonte, dem See und dem Heiligtum der Madonna von Polsi. Vor allem reden die Männer von Deutschland, wo die meisten gearbeitet haben. Früher noch mehr, 1000 Männer von 4000 Einwohnern waren es in den achtziger Jahren.

Drei Männer sitzen im Schatten in San Luca in Kalabrien - einer Hochburg der 'Ndrangheta. (Foto: Antonio Taccone/AFP)

Der einzige größere Arbeitgeber hier ist die Forstbehörde. Rocco mit dem grauem Schnauzbart hat bis zur Rente auch dort gearbeitet. Davor baute der freundliche Mann Fernseher in Esslingen, war Vermessungstechniker in Passau. "Wir mussten weg, um Geld für die Familie zu verdienen. Die meisten von uns sind ehrliche Leute", sagt Rocco. "Jetzt gelten wir überall als Verbrecher." Journalisten hätten ein falsches Bild von San Luca erweckt. Die Clans, das seien ja nur zwei, drei Familien.

Dass das halbe Dorf miteinander verwandt ist, was heißt das schon, sagen sie. In abgelegenen Orten ist das so. Pelle gibt es hier viele, Giorgi oder eben Strangio. So heißt der Pfarrer, so heißt der Hauptverdächtige von Duisburg, aber auch ein Opfer vom anderen Clan. "Natürlich gibt es anständige Leute in San Luca", sagt Ferdinando Piccolo aus Bovalino unten an der Küste. Der junge Journalist befasst sich so intensiv mit der 'Ndrangheta und San Luca, dass man ihm Projektile mit der Post geschickt und alle Autoreifen aufgestochen hat. Piccolo beruhigt sich damit, dass ein toter Journalist den 'Ndranghetisti zu viel Ärger einbringen würde. Bis zu 70 Prozent der Leute in San Luca gehörten ins Umfeld der Clans, schätzt er.

Ein Barbesitzer im Dorf sagt: "Aus dem Fernsehen haben wir mehr erfahren als hier. Es läuft doch keiner rum und verkündet, ich habe gerade einen erschossen." Immerhin, Drogen seien in San Luca kein Problem. Vor ihrer Haustüre duldet die 'Ndrangheta offenbar das Zeug nicht, mit dem sie anderswo Milliarden macht. Vom vielen Geld ist in San Luca nichts zu sehen, der Ort macht einen ärmlichen Eindruck. Viele Häuser sind halb verputzt, Stockwerke sind noch nicht fertig. Doch mag der Schein manchmal trügen. Auch das Haus der Eltern des mutmaßlichen Killers von Duisburg macht wenig her. Drinnen, sagen Leute, die dort waren, sei das anders, sogar die Kaffeelöffel seien vergoldet. Die Eltern von Giovanni Strangio stellen sich gern als zu Unrecht verfolgte Bauern dar, aber offenbar stimmt das Bild nicht ganz. Strangios Schwager gilt als Komplize, zwei Schwestern sind wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung bereits anderweitig verurteilt. Eine war bis an die Zähne bewaffnet, als sie flüchten wollte.

Strangio bestreitet die Morde von Duisburg, er hat einen Staranwalt für den Prozess in Locrì engagiert. Die Anklagebänke hinter Sicherheitsglas in dem schlichten Gerichtssaal sind meist leer. Strangio sitzt im Hochsicherheitstrakt des römischen Gefängnisses Rebibbia, andere Beschuldigte im Fehden-Prozess sind ebenfalls weit weg in Haft. Sie herzubringen, wäre zu gefährlich. Das Gericht schaltet sie per Videokonferenz zu.

Zwei Frauen in Schwarz haben jeden Verhandlungstag verfolgt. Eine ist Maria Carlino, eine Dame mit warmherzigem Blick. Ihre Söhne, Marco und Franco Pergola, wurden in Duisburg erschossen, 20 und 22 Jahre alt. Sie waren Köche im Da Bruno. "Sie hatten nichts mit der 'Ndrangheta zu tun", sagt ihre Mutter. "Wir waren immer auf der anderen Seite. Mein Mann war 40 Jahre Polizist." Ihre Familie steht nicht in Verdacht. Aber ihre Söhne müssen zumindest gewusst haben, mit wem sie es zu tun hatten - in der Mordnacht fand im Da Bruno ein Aufnahme-Ritual der 'Ndrangheta statt.

Die zweite Frau in Schwarz ist Antonia Giorgi, Marco Marmos Mutter, die so entschlossen "Wahrheit und Gerechtigkeit" will. Sie hat ein Büchlein verfasst, "der Unschuld meiner Kinder" gewidmet. Ihre Familie schildert sie da als kreuzbrav, vom Schicksal gebeutelt und von der Justiz verfolgt. Ihr Jüngster Marco war demnach nur ein fleißiger Handwerker, der zufällig erschossen wurde. "Er war wegen seiner Arbeit dort." Um zu belegen, wie korrekt er war, zeigt die Mutter seinen Waffenschein.

Aber Marco Marmo soll Waffen für den Clan Pelle-Vottari besorgt haben, dem das Da Bruno gehörte und hatte bereits anderes auf dem Kerbholz. Seine Mutter bestreitet, dass ihr Sohn der Killer war, der 2006 Giovanni Strangios Schwester tötete. Jener Mord ließ die Fehde eskalieren. Mit der 'Ndrangheta hätten sie nichts zu schaffen, sagt Antonia Giorgi. Ihr älterer Sohn sitzt im Knast wegen 'Ndrangheta-Verbindungen, ein Teil ihres Besitzes ist deshalb beschlagnahmt. Doch macht sie etwas, was sich in 'Ndrangheta-Familien nicht gehört: Sie ist Nebenklägerin. 500.000 Euro fordert sie - als Entschädigung für Marcos Tod.

© SZ vom 08.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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