Madrid:Der Sheriff und seine Gangsterbande

Machtmissbrauch, Erpressung, Vergewaltigung, Zuhälterei: Wie der Polizeichef jahrzehntelang die spanische Stadt Coslada terrorisieren konnte.

Javier Cáceres

Coslada, im Mai - Die Barbesitzerin mag ihren Namen noch immer nicht in der Zeitung sehen. Obwohl in den Blättern der Stadt nun schon seit Tagen steht, dass Coslada wieder sicher sei. "Wie befreit." Und obwohl sie sagt, dass ihre Papiere jetzt endlich in Ordnung seien.

Madrid: Der Polizeichef der M adrider Vorstadt Coslada, Gines Jimenez, bei seiner Verhaftung Anfang Mai.

Der Polizeichef der M adrider Vorstadt Coslada, Gines Jimenez, bei seiner Verhaftung Anfang Mai.

(Foto: Foto: dpa)

"Sieh, hier", sagt die Frau und steigt von ihrem Schemel hinter der Theke herab und greift über der Registrierkasse nach einer vergilbten Klarsichthülle. Lange habe sie sich um dieses Dokument bemüht, plötzlich habe sie es bekommen, und damit die Erneuerung der Zulassung dieses muffigen Raums am Rande von Coslada, als "Bar de Copas", als Schenke für maximal 54 Gäste. Und obwohl also alles bester amtlicher Ordnung ist, soll man sie nur M. nennen. So groß ist noch die Angst vor dem Mann, den sie "el Sheriff" nennen.

"El Sheriff", das ist Ginés Jiménez Buendía, er war 22 Jahre lang der Chef der örtlichen Polizei. Ein angesehener Mann. Die Medien hofierten ihn, weil er wusste, welche Geschichten gute Einschaltquoten bringen könnten; im staatlichen Sender Telemadrid diskutierte Jiménez oft mit Richtern und Anwälten über Verbrechensbekämpfung. Und zweimal wurde er zum Vorsitzenden des nationalen Verbandes der Polizeichefs gewählt. Doch seit dem 8. Mai ist sein Renommee dahin. An diesem Tag tauchte eine Einheit der Kriminalpolizei vor dem vierstöckigen Gebäude der lokalen Polizei auf, sperrte die Avenida de la Constitución ab und nahm den Laden auseinander.

Ein Anwalt in Angst

Knapp 30 Wachmänner wurden festgenommen, gegen ein Dutzend erging Haftbefehl. Die Vorwürfe lauten: Machtmissbrauch, Erpressung, illegaler Waffenbesitz, Vergewaltigung und Zuhälterei. "Cos(lad)a Nostra", titelte eine Lokalzeitung voller Bitternis und Ungläubigkeit.

Coslada, das ist eine Schlafstadt vor den Toren Madrids, mit überschaubar hohen Mietskasernen und 82000 Einwohnern. Die ganze Stadt soll Jiménez terrorisiert haben, als Kopf einer Schlägerbande in Uniform, die sich "Bloque" nannte, Block. Sie soll im großen Stil gezecht und gehurt, erpresst und geprügelt haben. Natürlich teilt sich die Stadt jetzt in jene, die von Jiménez' Machenschaften nichts mitbekommen haben wollen, und jene, die alles schon immer wussten.

Doch Terror, wirklichen Terror scheint die Bande nur dort ausgeübt zu haben, wo sich niemand zu wehren traute, am Rande der Stadt, der auch ein wenig der Rand der Gesellschaft ist. Hier etwa, bei der Barbesitzerin M. in der Siedlung, wo die Straßen nach lateinamerikanischen Nationen benannt sind und die Mädchen aus ebendiesen Ländern am Tresen auf Kundschaft warten. Auf abgewetzten Kunstlederhockern und in Minikleidern, die zu billig sind und zu eng.

Jiménez selbst hat mir nie etwas getan", sagt M., wohl aber seine Männer vom Bloque. Doch diese schieben nun vor dem Untersuchungsrichter alles auf Jiménez. M. weiß nur, wie das funktionierte, was sie als Terror empfand: Die Alkoholkontrollen am Ausgang der Bar, die ihr die Kundschaft verleideten. Oder die Geschichte mit den drei rumänischen Frauen, die ihr gleich suspekt gewesen seien, als sie nach Arbeit fragten. Dann seien "die Kerle von Jiménez" aufgetaucht und hätten ihr Geldstrafen aufgedrückt, 6000 Euro pro Illegaler. Erst nachdem nun der Polizeichef und seine Bande festgenommen wurden, habe sie sich getraut, am Gericht nachzufragen und dabei erfahren, dass nichts gegen sie vorliege. "Die wollten das Geld in die eigene Tasche wirtschaften."

Nicht nur die Barbesitzerin M. traut sich nun heraus; 30 weitere Gastronomen erstatteten Anzeigen gegen Jiménez und seine Kohorte, weil sie bei ihnen aufgetaucht seien und mit Strafen gedroht hätten, wenn sie nicht gratis verköstigt würden, mit teurem Essen, bestem Wein und Chivas Regal. In den Medien haben Illegale über Misshandlungen berichtet und über unrechtmäßige Beschlagnahmungen von Ausweisen.

Frühere Beamte schilderten, sie hätten sich bis nach Santa Cruz auf Teneriffa versetzen lassen, zweieinhalb Flugstunden entfernt, nur um nicht mehr von der Polizisten-Bande gemobbt zu werden. Als Kripo-Beamte die Spinde der Verhafteten durchsuchten, fanden sie nicht nur Koksbriefe, sondern auch Krebsmedikamente und Anabolika zum Muskelaufbau. Und von alledem will nie jemand etwas gesehen, gehört, gewusst haben? In mehr als 20 Jahren nicht?

Im Stadtrat von Coslada schießen die Politiker aller Parteien nun aufeinander, Postkommunisten, Sozialisten, Unabhängige, Konservative - alle haben in den vergangenen Jahren mal den Bürgermeister gestellt und schieben sich deshalb die Verantwortung für den Skandal gegenseitig zu. Schon 2003 wurde Jiménez wegen kleinerer Vergehen mit einer Disziplinarstrafe belegt, zehn Monate lang sollte er sein Amt ohne Sold ruhen lassen. Das Urteil aber wurde nie vollzogen. Jiménez jedenfalls hält sich nach wie vor für unschuldig, sein Anwalt hat das gesagt, ehe er das Mandat niederlegte - weil er um seine Familie in Coslada fürchtete.

120 Lokalpolizisten gibt es jetzt noch in Coslada, und ihre Arbeit ist in diesen Tagen noch schwieriger als sonst. Auf der Straße wird ihnen das nachgezischt, was Jiménez gelten soll: Verwünschungen, Beschimpfungen, Unterstellungen. Die Gemeinde hat einen Psychologen engagiert, der schon beim Terroranschlag vom 11. März 2004 zum Einsatz kam. Für die Beamten, nicht für die Barbesitzerin M. und ihre Mädchen, deren zornige Geschichten verstummen, als das Sonnenlicht durch den Türspalt fällt und der erste Kunde des Abends das Lokal betritt.

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