Luxus und Elend in Mumbai:Das schlechte Gewissen frühstückt mit

Luxus in Mumbai: Dafür stehen die von Terroristen zeitweise eingenommenen Hotels Taj Mahal und Oberoi. Das Elend ist nur wenige Meter fern.

Mirja Kuckuk

Bunte Bilder sind die Menschen aus Bollywood gewohnt, tanzende Liebende in wallenden Kleidern. Kitsch as kitsch can. Die Filme dauern jedes Mal schier endlos. Als wollte Mumbai, der Sitz der berühmten Filmstudios, allen weismachen, das Leben sei ganz einfach - schön.

Taj Mahal Palace; mmk

Anachronismus zum Frühstück: Im Garten des Taj Mahal Palace speist es sich wie zu Kolonialzeiten.

(Foto: Foto: mmk)

In diesen Tagen kommen andere Bilder aus Mumbai, Bilder voll Blut und Zerstörung. Der Terror hat die indische Film- und Finanzmetropole getroffen und zwar dort, wo der Kapitalismus am größten ist: in den Luxustempeln der Stadt.

Wer einmal das Glück gehabt hat, im Taj Mahal Palace "abzusteigen", wird ein Gefühl nicht mehr los: das des Privilegs.

Der Palast wurde 1903 eröffnet, ein C-förmiges Schloss im viktorianischen Stil für die Reichen und Schönen dieser Welt. Jacky Kennedy Onassis, Mick Jagger, die Beatles und Bill Clinton haben hier logiert. 46 Suiten und 565 Zimmer bietet das Haus, das günstigste Zimmer - im benachbarten, neugebauten Tower des Hotels - kostet 250 Euro pro Nacht.

Ins Herz des Tourismus Die Vorlagen für den alten Prunkbau stammen von indischen Architekten, realisiert hat ihn der Brite W. A. Chambers. Allein seine Lage erfüllt den Traum von Tausendundeiner Nacht: Der Gast blickt auf das Gateway of India, das verwunschen anmutende Tor im Arabischen Meer, Wahrzeichen der Stadt seit 1924.

Taubenschwärme ziehen ihre Runden, Luftballonverkäufer stehen auf dem herrschaftlichen Vorplatz. Boote laden zum Trip um das Gate ein - von dort sieht das Taj Mahal Palace noch mächtiger aus. Von dort sollen auch die Terroristen gekommen sein, die das Luxushotel wie eine Festung eingenommen haben.

Dort, wo normalerweise buntes Treiben herrscht und Touristen der Prunk der Stadt vor Augen geführt wird, herrscht nun Chaos. Soldaten haben sich vor dem Hotel verschanzt und kämpfen gegen die mörderischen Besetzer. Es hat in den vergangenen zwei Tagen weit mehr als hundert Tote gegeben bei den schlimmsten terroristischen Anschlägen, die Mumbai je erlebt hat.

Der Hauptbahnhof, das Café Leopold, das Hotel Oberoi, das Taj Mahal sind Orte, zu denen Touristen, Reiche aus dem Westen, gern geschickt werden. Dort ist es schön, sauber, aufgeräumt. Im Fünf-Sterne-Haus The Oberoi trifft man sich zum Lunch mit Seeblick. Es gibt französische Austern und japanischen Sashimi.

Im Café Leopold geht es bodenständiger, aber ebenfalls sehr europäisch zu. Backpacker treffen sich bei Snacks und Bier. Und den Bahnhof, die ehemalige Victoria Station, sollte man als Reisender unbedingt gesehen haben! Menschenmassen zwängen sich in die Züge und hängen mitunter an den Türen; rund drei Millionen Passagiere sind täglich in Mumbais Regionalbahnen unterwegs.

An diesen Orten nun haben die Terroristen zugeschlagen. Ihr Ziel waren die Wohlhabenden, die Gewinner des Globalismus, getroffen aber haben sie auch die Armen. Das schöne Mumbai ist auf einmal ein Platz des Schreckens.

Die Metropole hatte schon immer ein zweites Gesicht: Mehr als die Hälfte der 13 Millionen Einwohner leben in Slums. Die Augen vor dieser Armut kann niemand verschließen, auch nicht, wer weit über allem den Lunch im Luxushotel genießt. Die Armenviertel ragen mitten hinein in die wichtigste Hafenstadt des Subkontinents.

Auf der nächsten Seite: Armut, die sich nicht leugnen lässt.

Das schlechte Gewissen frühstückt mit

Nicht zu leugnende Armut Entlang der sechsspurigen Straßen, die über den schmalen Küstenstreifen führen, haben die Mittellosen ihre Verschläge gebaut. Wäsche in knalligen Farben hängt zum Trocknen an den Leitplanken der Stadtautobahn. Der Vorbeifahrende fragt sich, wie die Menschen es schaffen, in all dem Elend und Schmutz mit scheinbar makellosem Hemd dazustehen.

Die Luft in der Stadt ist kaum zum Atmen. Zu der hohen Luftfeuchtigkeit und Hitze kommen die Abgase: Motorisierte Rikschas, Autos aus Zeiten weit vor serienmäßigen Katalysatoren und scheppernde rote Busse verstopfen hupend die Straßen.

Die Stadt hat ein ernstes Umweltproblem. Die gesamte Mumbai-Region zählt rund 20 Millionen Einwohner, die wenigsten Haushalte verfügen über einen Wasseranschluss geschweige denn eine geregelte Kanalisation. Besonders schlimm ist es zu Monsunzeiten, wenn die Baracken unter Wasser stehen und sich Infektionskrankheiten ausbreiten können. Das Elend entlädt sich in zum Teil mafia-ähnlichen Bandenkriegen.

Das Manhattan des Subkontinents

Mumbai wird zugleich das Manhattan Indiens genannt. Die Mieten in den schicken Wohn- und Ausgehvierteln Malabar Hill, Bandra und Juhu Beach im Nordwesten der Stadt sind mittlerweile höher als in New York City.

Die "Upper middle class" und die Superreichen holen sich mit extravaganten Cocktailbars und Restaurants auf Dachterrassen das SoHo-Feeling aus London und New York in die Stadt. Sie kaufen Luxusmarken in modernen Shopping Malls und in exquisiten Boutiquen, deren Designer persönlich für die Bollywoodstars schneidern.

Reisende mit Geld finden sich am anderen Ende der Stadt ein, am Südzipfel der Insel Salsette: dort, wo der Taj Mahal Palace steht. British English hört man in der Lobby am häufigsten, aber auch Amerikanisch und Französisch. Auf einen Gast scheinen gleich fünf Angestellte zu kommen - allesamt indischer Herkunft.

Gefrühstückt wird im prächtigen Garten des Hotels, mit Blick auf den Pool. Unweigerlich fühlt man sich in die Kolonialzeit zurückversetzt. Schwarz bedient weiß. Ein sperrig wirkender Anachronismus inmitten der nicht zu leugnenden Armut der Megacity.

Zweifelsfrei findet hier der zartbesaitete Europäer eine Oase der Ruhe und endlich Luft zum Atmen im Moloch Mumbai. Beim Gin in der Piano Bar entspannt der Herr, die Dame hat die Wahl zwischen Chanel und Bulgari in den hauseigenen Boutiquen.

Dennoch lassen sich bei Croissants und Earl Grey unter Palmen die Bilder der Stadt nicht löschen. Das schlechte Gewissen frühstückt mit. Draußen vor der Tür sind die Gepäckträger in gestärkten weißen Roben damit beschäftigt, Rollkoffer aus aller Welt in die Halle zu karren - und zugleich die ausgemergelten Mädchen mit Babys in den Armen zu verscheuchen, die den Gästen bittend die Hand entgegenstrecken.

Die Anschläge auf den Reichtum Mumbais und seiner Besucher sind ein menschenverachtender Akt. Und der Traum von Tausendundeiner Nacht ist spätestens jetzt zerplatzt.

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