Literatur in britischen Gefängnissen:Protest gegen Paket-Verbot

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Drogen, Pornos, Waffen - all das soll nicht mehr in britischen Gefängnissen landen. Deshalb hat die Regierung Verwandten und Bekannten verboten, Häftlingen Pakete zu schicken. Das Problem: So kommen sie kaum noch an Bücher und Zeitschriften.

Von Benjamin Romberg

Ein Weetabix soll den Ernst der Lage verdeutlichen. Aufgeweicht in Milch ist der Vollkorn-Weizen-Riegel ein beliebtes Frühstück, vor allem in englischsprachigen Ländern. Der richtige Stoff für den Start in den Tag. Höhlt man ihn aus, kann man in so einem Weetabix aber auch ganz anderen Stoff verstecken. Drogen nämlich. Das wusste der britische Justizminister Chris Grayling zu berichten, als er sich vor einigen Wochen gezwungen sah, die Maßnahmen seiner Regierung in einem Brief zu verteidigen. Was war geschehen?

Vergangenen November gab das Justizministerium eine Richtlinie heraus, die Insassen britischer Gefängnisse untersagt, Pakete von Verwandten oder Bekannten zu erhalten - ganz gleich, welchen Inhalts. So will die Regierung verhindern, dass Häftlingen Drogen, pornographisches Material oder Waffen geschickt werden. Das Problem: So verhindert die Regierung auch, dass Häftlingen Bücher, Zeitschriften oder solch banale Dinge wie ein Paar selbstgestrickte Socken von der Oma erhalten.

Vor allem die Tatsache, dass dadurch der Zugang zu Lektüre hinter Gittern sehr viel schwieriger geworden ist, löste heftige Proteste aus. Justizminister Grayling verteidigte seine Politik: Für die Angestellten in den Gefängnissen sei es unmöglich, alle Pakete auf verbotene Gegenstände zu prüfen. Zumal die Absender sehr erfinderisch seien, wie das Beispiel mit dem Weetabix zeigen soll. Doch Graylings Argumentation überzeugte offenbar nicht.

Insassin klagt gegen Verbot

Nun könnte die Sache erstmals vor Gericht landen. Eine Insassin will gegen das Verbot klagen. Die Frau müsse eine lebenslange Haftstrafe absitzen, was ihr ohne Zugang zu Büchern unerträglich erscheine, schreibt die BBC-Journalistin Emily Maitlis. Sie hat mit den Anwälten gesprochen, die gerade die nötigen Unterlagen zusammenstellen. "Wenn sie das gewinnen, könnte das die gesamte Richtlinie kippen", sagt Maitlis.

Allerdings, so argumentiert die britische Regierung, sei die Frist von drei Monaten bereits abgelaufen, binnen denen das neue Gesetz angefochten werden könne. Die Anwälte der Frau halten dagegen: Die Maßnahmen seien zwar bereits im November beschlossen, aber erst später umgesetzt worden. So sei etwa die Klägerin erst seit zwei Wochen von dem Verbot betroffen. Der Fall soll in den kommenden Tagen einem Richter vorgelegt werden, der dann entscheiden muss, ob es zum Prozess kommt.

"Reinste Folter"

Unterstützung erhalten die britischen Häftlinge von internationalen Autoren, Künstlern und Menschrechtsaktivisten, die sich in Briefen an die Öffentlichkeit gewandt haben. Sie sprechen aus eigener Erfahrung.

So schreibt etwa das frühere Pussy-Riot-Mitglied Nadeschda Andrejewna Tolokonnikowa laut Guardian: "Bücher stellen für dich die ganze Welt dar, wenn du im Gefängnis sitzt." 21 Monate saß Tolokonnikowa in Haft, weil sie mit ihrer Band Pussy Riot Protestaktionen gegen die russische Regierung veranstaltet hatte. "Nur wenn man Bücher hat", schreibt sie, "weiß man, dass jeder Tag, den man hinter Gittern verbringt, nicht vollkommen umsonst gewesen ist".

Der nigerianische Journalist Kunle Ajibade saß dreieinhalb Jahre in einem Gefängnis ein, das noch zu Kolonialzeiten erbaut wurde. "Ich war an einem Ort gefangen, an dem es nach verrottetem Fleisch, Exkrementen und Rattenpisse roch", sagt er. Er habe selbst erlebt, welch therapeutische Wirkung Literatur in einer solchen Situation haben könne. "Warum sollte jemand, der sich auch nur einigermaßen für Menschlichkeit einsetzt, das einem Gefangenen wegnehmen wollen?", fragt er. Und die weißrussische Journalistin Iryna Kahlip spricht in einem Protestbrief von "reinster Folter". Sie war wegen Kritik am Regime in ihrem Heimatland zwei Jahre in Haft. Im Gefängnis, sagt sie, brauche man Bücher "wie die Luft zum Atmen".

Regierung will Lesen fördern

Die britische Regierung will keinesfalls den Eindruck erwecken, sie wolle den Häftlingen diese Luft nehmen. Die Verantwortlichen betonen deshalb, dass die Insassen ja immer noch Zugang zur Gefängnisbibliothek hätten. Außerdem könnten sie sich von ihrem eigenen Geld Bücher kaufen und zum Beispiel im Internet bestellen.

Und Justizminister Grayling stellte in seinem Brief klar: Er fördere sogar das Lesen in Gefängnissen. So habe er einem Vorschlag zugestimmt, der Insassinnen in Frauengefängnissen zur Lektüre animieren soll. Er sieht vor, dass in den Büchereien dort nun auch das Werk einer gewissen E. L. James verfügbar sein soll. Der Titel: "Fifty Shades of Grey".

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