Linksautonome:Warum in Berlin Autos brennen

Feuer PKW Friedrichshain In der Nacht von Freitag auf Samstag werden in Berlin Friedrichshain mindes

In der Nacht auf den 5. März wurden in Friedrichshain wieder drei Autos in Brand gesetzt

(Foto: imago/Christian Mang)

Wöchentlich rückt die Polizei in die Rigaer Straße aus, das Zentrum der Berliner Linksautonomen. An diesem Ort zeigt sich, wie die Gentrifizierung Berlin spaltet.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Die Gentrifizierung öffnet die Tür zu einer Altbauwohnung im Berliner Stadtteil Friedrichshain. "So leben die bösen Reichen", sagt Birgit Kirschbaum und lacht: drei Zimmer, unsaniert, Risse im Putz. Seit zwölf Jahren wohnt Kirschbaum, die eigentlich anders heißt, in diesem Viertel. Die Wohnung ist längst zu klein für vier Leute. Kirschbaum und ihr Mann suchten daher eine neue Unterkunft in dem Kiez, in dem ihre Kinder in die Kita und zur Schule gehen. Als die beiden zur Miete nichts fanden, kratzten sie die Ersparnisse zusammen, ließen sich ihr Erbe auszahlen und traten einer Baugruppe bei. Damit fing der Ärger an.

Denn das Grundstück, auf dem gerade die neue Wohnung der Kirschbaums entsteht, liegt in der Rigaer Straße. Und die gilt als das Zentrum der linksautonomen Szene in Berlin: feministische und antirassistische Hausprojekte in ehemals besetzten Häusern, Punk-Kneipen, Kioske und natürlich Graffiti an den Wänden: "Stop Gentrification!" Gentrifizierung, dafür stehen für viele Bewohner hier Leute wie die Kirschbaums, "die bösen Reichen" in den Neubauten. Die bekamen die Ablehnung nicht nur über provokante Schriftzüge an den Fassaden zu spüren. Unbekannte brachen nachts in ihre Baustelle ein, zerkratzten die Fensterscheiben der halb fertigen Wohnungen und besprühten sie mit Farbe.

Polizeieinsatz in der Rigaer Straße in Berlin

Ein Polizeieinsatz in der Rigaer Straße in Berlin.

(Foto: dpa)

"Willkommen im Gefahrengebiet"

In einer Nacht flogen in einen anderen Wohnblock der Anlage, in dem bereits Menschen wohnten, sogar Geschosse an ein hell erleuchtetes Kinderzimmerfenster. Bis heute sieht man dort die Einschlaglöcher, die Besitzer der Wohnung haben sie weiß umringelt und daneben geschrieben: "Hier wohnt ein Kind." Beinahe wöchentlich brennen in der Straße Autos. Die Polizei hat den Kiez als "kriminalitätsbelasteten Ort" eingestuft, was bedeutet: Sie kann anlasslos Passanten kontrollieren. "Willkommen im Gefahrengebiet", steht an Fassaden der Häuser. An anderen hängen Protestplakate gegen die Polizei.

Die Auseinandersetzungen, die sich Polizei und Anwohner liefern, werden immer heftiger. Höhepunkt war ein Einsatz am 13. Januar, bei dem 550 Polizisten in die Rigaer Straße 94, eines der Hausprojekte, eindrangen. Kurz zuvor war der Polizei zufolge ein Streifenbeamter auf der Rigaer Straße angegriffen worden - eine Darstellung, der die Einwohner widersprachen.

Über diesen Einsatz ärgern sich Lucas, 29, Nicole, 35, und Klara, 25, heute noch. Die drei, die nur ihren Vornamen nennen wollen, leben in linken Hausprojekten - Lucas in der "Rigaer 94", Klara in der queer-feministischen "Liebig 34" und Nicole in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte. Die drei glauben, dass Hausprojekte und andere weniger finanzkräftige Bewohner vergrault werden sollen. Wenn nötig, mit staatlicher Gewalt. "Die Polizei tritt in ganz Berlin sehr respektlos auf", sagt Nicole. Die Kontrollen in Friedrichshain hätten sich nach einem Straßenfest im vergangenen Jahr massiv verstärkt. Die Vermutung der drei Linken: "Die Polizei will nicht, dass sich der Kiez vernetzt."

Viele Berliner fürchten Verdrängung und steigende Mieten

Rigaer Straße

Geschosse trafen dieses Kinderzimmer in der Rigaer Straße in Berlin.

(Foto: Hannah Beitzer)

Ähnliches lasse sich im Rest von Berlin beobachten. "Es ist eine politische Strategie, investitionsstarke Menschen und Unternehmen in die Kieze zu locken. Der Rest der Leute ist dabei egal", sagt Lucas. "Gefahrengebiete entstehen heute überall dort, wo die Umgebung und die Leute nicht in das Bild einer sauberen Stadt passen", ergänzt Klara. Sei es nun in der Rigaer Straße, am Görlitzer Park, wo die Stadt einen langen, vergeblichen Kampf gegen Drogendealer führt, oder in der Ohlauer Straße im Stadtteil Kreuzberg, wo Flüchtlinge eine Schule besetzt halten.

Mit einem haben Karla, Nicole und Lucas zweifellos recht: Berlin ist in den vergangenen Jahren teurer geworden und schicker, die Mieten steigen, die Immobilienpreise ebenfalls. Der Wohnraum innerhalb des S-Bahn-Rings wird knapp. In die Innenstadt-Kieze ziehen immer mehr Menschen wie Familie Kirschbaum: mit doppeltem Einkommen, kreativen, aber ordentlich bezahlten Jobs und dem Wunsch nach einer ruhigen Wohnung für die Familie. Mit ihnen kommen Investoren, Cafés, Restaurants, Feinkostläden.

Für die linke Szene in Berlin geht es nicht mehr darum, Räume in Besitz zu nehmen. Sondern sich in den einmal in Besitz genommenen Räumen zu halten. Um sie herum werden Brachflächen bebaut, Häuser saniert und verkauft. Echte besetzte Häuser gibt es längst nicht mehr in Berlin, die linken Projekte haben inzwischen alle Mietverträge. Aus den Hausbesetzern von einst sind Hausverteidiger geworden.

Wie Nachbarn zwischen die Fronten geraten

"Hier bestehen aber Strukturen, die sich gegen Gentrifizierung wehren", sagt Klara. Wie einflussreich diese Strukturen in der Breite noch sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Berliner Verfassungsschutz attestiert der linken Szene Nachwuchsprobleme, konservative Politiker interpretieren die gestiegene Zahl der Anschläge als Versuch, der eigenen Bedeutungslosigkeit entgegenzuwirken. Die drei aus den Hausprojekten denken hingegen, dass der Kampf gegen die Gentrifizierung und die ständigen Polizeikontrollen den Kiez um die Rigaer Straße zusammengeschweißt haben.

In einer Kita direkt gegenüber der Rigaer 94 zum Beispiel seien Mitarbeiter und Eltern nach einem Elternabend kontrolliert worden, erzählt Klara. Die Erzieher gaben eine Pressemitteilung heraus: "Diese Maßnahmen haben nichts mit Verhältnismäßigkeit zu tun, sondern sind reine Schikane gegen alle, die sich in der Rigaer Straße aufhalten", steht darin.

Gegen eine "Gesinnungspolizei"

Von "Schikane" spricht auch der Kioskbesitzer, dessen Kunden ständig kontrolliert werden, oder die Nachbarin, die beobachtet hat, wie die Polizei eine junge Frau festhielt, die laut schreiend um sich trat. Sie findet zwar brennende Autos keine adäquate Art, die politische Meinung auszudrücken: "Aber wenn ich mich entscheiden muss, dann stehe ich eindeutig auf der Seite der Hausprojekte." Viele Nachbarn betonen deren soziale Funktion: Die Bewohner helfen Flüchtlingen und Obdachlosen, engagieren sich gegen rechts.

Auch Mark Schöffler seufzt, wenn er auf die verzwickte Situation im Kiez angesprochen wird. "Es kann wirklich nicht sein, dass die Polizei mit ihren Einsätzen die ganze Nachbarschaft drangsaliert", sagt er. Anwohner seien genervt von den ständigen Kontrollen und schockiert, dass Teenager aus dem Kiez eingekesselt würden, nur weil sie schwarze Klamotten tragen. "Durch die ständigen Provokationen werden die Leute hier zusätzlich radikalisiert", sagt Schöffler. Was die Hausdurchsuchung am 13. Januar angeht, steht er auf Seiten der Bewohner, die ihre Grundrechte verletzt sehen.

Schöffler kam vor mehr als 20 Jahren selbst als Hausbesetzer hierher, hat inzwischen mit anderen das ehemals von ihnen besetzte Haus gekauft. Er kennt also den Kiez und die linke Szene gut - was ihn allerdings nicht daran hindert, sie in einem Punkt deutlich zu kritisieren. "Ich finde es einfach falsch, wie sich manche als Gesinnungspolizei aufspielen und bestimmen wollen, wer im Kiez leben darf." Gewalt lehne er grundsätzlich ab.

Zwischen den Fronten

Schöfflers Familie ist im Kampf um die Rigaer Straße einmal unfreiwillig zwischen die Fronten geraten. Im September 2015 jagten seinen Schilderungen zufolge einige Vermummte Bauarbeiter durch die Straße, weil einer von ihnen ein T-Shirt der Nazi-Marke Thor Steinar trug. Die Bauarbeiter verbarrikadierten sich im Durchgang von Schöfflers Haus, als gerade seine sechsjährige Tochter von der Schule nach Hause kam. Schöffler hörte das verängstigte Kind schreien, das mit den Bauarbeitern im Hof festsaß, während die Autonomen Steine durch die Scheiben warfen. Die Familie erstattete Anzeige, ohne Erfolg.

Als Schöffler die Situation bei einer Anwohnerversammlung ansprach, hörte er von einigen aus den Hausprojekten nur: So etwas passiere eben, man müsse Nazis jagen, genauso wie "Bullenschweine". "Alles, um was es bei der Anwohnerversammlung ging, war eine Vernetzung gegen die Polizei", sagt Schöffler. "Ich will mich aber nicht gegen etwas vernetzen. Sondern für etwas, nämlich einen lebenswerten Kiez für alle - ganz egal, ob sie in einem Hausprojekt wohnen oder in einer Eigentumswohnung." Dazu gehöre auch, dass seine Tochter ohne Angst alleine von der Schule nach Hause gehen kann.

Die Rigaer Straße im "Wahlkampftheater"

Der lokale Konflikt findet ein aufgeregtes Echo in der Landespolitik, als "Wahlkampftheater" bezeichnen das viele in der Rigaer Straße. Die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann bezeichnete die Rigaer spöttisch als "Truppenübungsplatz" von Innensenator Frank Henkel (CDU). Henkel spricht von einem "rechtsfreien Raum", von "Straßenterror". Der Abgeordnete Christopher Lauer (früher bei den Piraten) hingegen will dem Innensenator nachweisen, dass der Einsatz am 13. Januar unverhältnismäßig war und das Eindringen in die Rigaer Straße 94 die Grundrechte der Bewohner verletzte.

Die sparen auf ihrer Verkündungsplattform "indymedia" nicht mit harscher Kritik an den "Bullenschweinen", Henkel und anderen Gegnern. Die Staatsanwaltschaft ermittelte sogar wegen einer Morddrohung gegen den Innensenator.

Die linke Szene und die brennenden Autos

Was aber sagen die Bewohner der Hausprojekte zur Eskalation? Wie stehen sie zu brennenden Autos? "In der linken Szene gibt es sehr unterschiedliche Ansichten darüber, ob das sinnvoll ist", sagt Lucas, "man kann sicher darüber streiten, ob ein einzelnes Auto das richtige Ziel ist, ob das Anzünden zu einem Erfolg führt." Zweifellos aber seien brennende Autos zu einem Symbol für den Kampf gegen die Gentrifizierung geworden.

Dabei seien es keineswegs immer in linken Strukturen engagierte Menschen, die Autos anzündeten - denn die könnten sich gegebenenfalls auch anders einbringen. "Gerade bei vielen Menschen, die nicht politisch organisiert sind, hat sich viel Frust über die Gentrifizierung angesammelt, der sich dann in Aggression entlädt", sagt Lucas. Das zeige sich auch häufig in Gesprächen mit Anwohnern. Die stünden brennenden Autos unkritischer gegenüber als manche aus der linken Szene.

Die Polizei schätzt das ähnlich ein: In Berlin wurden 2014 ingesamt 242 Brände gelegt und 408 Autos zerstört. In 53 Fällen geht die Polizei von einem dezidiert politischen Hintergrund aus. Anhaltspunkt dafür ist zum Beispiel, wenn ein Bekennerschreiben auf einer der linken Seiten auftaucht. Berlins bekanntester Autoanzünder jedoch, der im Jahr 2011 im Alleingang 120 Autos zerstörte, war ein 21-jähriger Arbeitsloser, der Frust und Liebeskummer als Motive angab. Nach den Bränden in der Rigaer Straße gab es zwar Bekennerschreiben, aber nicht zu allen Vorfällen.

Schüren die Linken Vorurteile?

Birgit Kirschbaum hält die Bewohner der Hausprojekte jedoch keineswegs für ungefährlich. "Wenn eine Aktion schlecht ankommt, heißt es immer: Wir waren das nicht", sagt sie. "Das ist aber zu simpel." Schließlich schüre die linksradikale Szene gezielt den Hass auf die vermeintlichen Gentrifizierer. Kirschbaum findet es traurig, "dass die Bewohner der Hausprojekte den neuen Nachbarn in der Straße mit so vielen Vorurteilen begegnen, ohne sie überhaupt zu kennen." Die Baugruppe lud deshalb die Nachbarschaft zur Grundsteinlegung ein. "Da kamen dann auch ein paar Nachwuchsautonome, machten sich einen Spaß daraus, Gläser zu zerdeppern, und rissen blöde Sprüche."

Das ärgert sie besonders: "Dass ich mir von Mittzwanzigern, die hier gerade ihre wilde Jugend erleben, vorwerfen lassen muss, in den Kiez einzudringen und ihn kaputtzumachen." Dabei lebe sie wie viele aus der Baugemeinschaft schon lange in diesem Viertel. Die Baugruppe bezahlt inzwischen einen privaten Wachschutz an der Baustelle. "Es ist eigentlich irre, dass ich mir jetzt mitten in Berlin Gedanken mache, ob die Kinderzimmer wirklich zur Straße raus gehen können oder ob das zu gefährlich ist", sagt Kirschbaum.

Mark Schöffler hingegen will den Kontakt zu den Hausprojekten weiter suchen, zur nächsten Anwohnerversammlung gehen. Wie er sich eine Lösung des Konflikts vorstellt? "Der Staat müsste Hausprojekte fördern und am Leben erhalten, aber gleichzeitig die Gewalt austrocknen." Das ist ein schwieriger Spagat. Schöffler aber ist sich sicher, dass die Polizei noch andere, bessere Methoden hat als die, die sie zurzeit anwendet. Immerhin: Seine Tochter hat den Vorfall vom September inzwischen verkraftet. Vergangene Woche ging sie zum ersten Mal wieder alleine von der Schule nach Hause.

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