Liebesgeschichte (10):Schicksalhaftes Treffen

Die 15-jährige Angelica sitzt 1964 mit ihren Eltern in einem Café in Ostberlin - hier begnet sie dem Iraner Mostafa und muss kurz daraufhin aus der geteilten Stadt fliehen.

Von Martin Zips

Ein Iraner in Ostberlin? Das findet die junge Angelica schon sehr ungewöhnlich. Mit seinem kaffeebraunen VW 1500 kommt Mostafa damals, am 6. September 1964, die Karl-Marx-Allee entlanggefahren. Als Tourist möchte der in Persien geborene Mann ein paar Freunde besuchen und sich die geteilte Stadt ansehen. Eigentlich studiert Mostafa Staatswissenschaften. An der Universität in Graz.

"Als er das Café Moskau betrat", erinnert sich Angelica, "da wusste ich sofort: Dieser Mann wird mein Leben verändern." Doch Angelica ist erst 15, ins Café ist sie mit ihren Eltern gegangen, zu deren Hochzeitstag. Mostafa nähert sich ihrem Tisch, bietet Angelicas Eltern Zigaretten an, setzt sich und bringt sich als Fahrer für eine gemeinsame Stadtrundfahrt ins Gespräch. Die Reise endet in einem beliebten Ausflugslokal des Arbeiter-und-Bauern-Staates, etwas außerhalb der Stadt.

Wenn Angelica heute über diese Zeit redet, so spürt man noch immer ihre große Liebe. In einem Nebenraum des Ausflugslokals küsst Mostafa Angelica - auf die Schulter. "Er sagte, dass man dies in Persien mit Frauen, die man sehr verehre, so mache." Von nun an sind die beiden ein Paar. Und keiner in Angelicas Familie nimmt Anstoß daran. Mostafa bleibt, die beiden unternehmen viel mit Mostafas bestem Kumpel Kiu und dessen Freundin Heidi. Es dauert nicht lange, da sind Angelica und Heidi schwanger. "Wegen meiner Beziehung zu einem Ausländer musste ich Ausbildung und Gymnasium abbrechen." Heiraten dürfen die beiden Paare nicht. Die DDR-Behörden erlauben es nicht. "Da wollten wir nur noch raus."

Gemeinsam wagen die Familien die Flucht. Die iranischen Männer verstecken ihre ostdeutschen Freundinnen und die beiden Babys in einem Lieferwagen unter Teppichen. Alle haben Todesangst. Doch die Grenzpolizisten merken nichts, und die beiden Paare gelangen in den Westen.

Sie heiraten. Mostafa und Angelica ziehen nach Österreich, wo Mostafa sein Studium mit der Promotion beendet. Heidi und Kiu ziehen - nach einigen Jahren in Iran - nach Deutschland. Die Jugend vergeht, man bleibt in Kontakt.

Liebesgeschichte (10): Hier begann die deutsch-iranische Liebesgeschichte im Jahr 1964: Café Moskau in der Ost-Berliner Stalinallee.

Hier begann die deutsch-iranische Liebesgeschichte im Jahr 1964: Café Moskau in der Ost-Berliner Stalinallee.

(Foto: Gerhard Leber/imago)

Dann kommt der Tod. Erst stirbt Heidi. Dann Mostafa - nach fast 37 Ehejahren. Übrig bleiben Kiu und Angelica. Eines Tages steht Kiu mit einem Strauß dunkel-violetter Orchideen bei Angelica vor der Tür. Heute leben die beiden zusammen. Angelica, 66, und Kiu, 77, verbringen ihre Zeit am liebsten im Wohnzimmer ihrer Münchner Wohnung und schauen Western-Filme. Am Anfang, sagt Angelica, sei es nicht Liebe, sondern Trauer gewesen, die sie miteinander verband. "Aber es wurde Liebe. Und heute wir sind jeden Tag dankbar für dieses Geschenk."

Jedes Paar hat seine Geschichte, ob verheiratet oder nicht, ob jung oder alt, ob hetero- oder homosexuell. In dieser Reihe erzählt das SZ-Panorama die Liebesgeschichten seiner Leser. Schreiben Sie eine E-Mail an liebesgeschichte@sz.de oder einen Brief an Süddeutsche Zeitung, Panorama, Hultschiner Straße 8, 81677 München. Wir sind gespannt.

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