Leben mit dem Rauchverbot:Die große Entwöhnung

Welche Folgen haben die neuen Nichtraucher-Bestimmungen für die Gesellschaft? Und wer profitiert vom Verbot? Ein erster Praxistest

Hören jetzt mehr Leute zu rauchen auf?

Rauchverbot
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Jede Zigarette steht auf der Kippe. Raucher überlegen jetzt zweimal, bevor sie sich in die Kälte rausstellen oder in abgelegene Räucherkammern wandern. Im Büro der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Sabine Bätzing, geht man davon aus, dass nun weniger gequalmt wird und dies ein Anstoß zum kompletten Aufhören ist.

Statistiken, die das belegen, gibt es aus Deutschland allerdings noch nicht. In den USA, Italien oder Irland ist der Rückgang jedoch nachgewiesen, wie Martina Pötschke-Langer, die Leiterin der Krebsprävention im Deutschen Krebsforschungszentrum, sagt.

In Ländern mit rauchfreien Arbeitsplätzen werden demnach pro Kopf und Tag durchschnittlich drei Zigaretten weniger geraucht. Krankenkassen und Hilfseinrichtung in Deutschland berichten von zunehmendem Interesse an Entwöhnungskursen.

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Die große Entwöhnung

Darf ich nirgends mehr rauchen?

Rauchverbot, dpa
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Jedes Bundesland hat seine eigenen Ausnahmen. In Berlin darf nach wie vor in Museen, Kliniken und Gefängnissen geraucht werden, dafür nicht in Gaststätten.

Das ist in Rheinland-Pfalz noch bis zum 15. Februar erlaubt, in Thüringen noch bis zum 1. Juli. In Sachsen und im Saarland darf an Unis gequalmt werden. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es eine Ausnahme für Einkaufszentren, in Baden-Württemberg kann man sich am Flughafen eine Zigarette anstecken.

Eine für Raucher wichtige Ausnahme jedoch fehlt: In den Bierzelten auf dem Oktoberfest darf nicht geraucht werden. Noch.

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Baut das Rauchverbot Hemmungen ab?

Es war selten so einfach, jemanden kennenzulernen: Wer in einer Bar sieht, dass ein paarungsfähiges Wesen nach draußen zum Rauchen verschwindet, der geht einfach mit. Beim Rauchen anbandeln - Fans von neuenglischen Abkürzungen haben schnell den Begriff "Smirting" erfunden und behaupten, dass die Zigarette davor noch besser schmecke als die Zigarette danach.

Wie viele Paare fürs Leben oder einen One-Smirt-Stand gefunden haben, ist nicht bekannt. Das sollten die Zuschauer des Nichtraucher-Kinos wissen. Sie wählen einen Platz in der Nähe des Eingangs. Dort sehen sie einen Gratis-Pantomime-Liebesfilm: Raucher beim Smirten.

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Wer profitiert vom Rauchverbot?

"Extrem gut" laufen etwa die Geschäfte des Münchner Unternehmers Michael Maresch, der elektronische Zugangssysteme für Banken entwickelt. Nun stapeln sich bei ihm Aufträge von Wirten, die eine Gesetzeslücke nutzen und ihr Lokal zum Raucherclub erklären.

Zutritt erhält nur, wer seine Clubkarte ins Lesegerät an der Tür schiebt. Einen "spürbaren Anstieg" seit Januar verzeichnet die Firma Solarlux aus dem niedersächsischen Bissendorf.

Vor allem Trennwände aus Glas und Alu fänden bei Kneipiers Anklang, die Raucherräume einrichten müssten. "Wirte im Wartestand" erlebt dagegen Michael Schulz von Schulz Heizpilze in Berlin. Weil immer wieder ein Verbot diskutiert würde, mieteten zwar immer mehr Wirte die Wärmer, beim Kauf aber zögerten sie.

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Helmut Schmidt

Prominenter Raucher: Helmut Schmidt

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Gelten für Promis andere Gesetze?

Nun ja, zumindest nehmen sich einige bekannte Raucher die Freiheit, ihr Laster in aller Öffentlichkeit zu zelebrieren. Dass der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt weiterhin einen Aschenbecher bekommt, ganz gleich, ob er im Restaurant oder im Fernsehstudio sitzt, geht ja noch als einsame Ausnahme durch.

Gut haben es da alle rauchenden Schauspieler, auf den Theaterbühnen der Republik gelten weiter eigene Gesetze - der Qualm gilt als Kunstfreiheit. Hamburgs Innensenator Udo Nagel hat dagegen sein Büro als Raucherzimmer deklarieren lasen.

Und die Lobbyisten in eigener Sache wollen es einfach nicht lassen: Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass hat gerade das Rauchverbot in den ICE-Zügen als akutes Gesundheitsrisiko bezeichnet - ständig sei er deshalb auf der Flucht, und der neue deutsche Puritanismus führe nur dazu, dass die Leute an den Straßenrand gedrängt würden und einen Schnupfen bekämen.

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Umsatzeinbußen durch Rauchverbot?

Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts CHD Expert verzeichneten 43Prozent aller Gaststätten nach Einführung des Rauchverbots zurückgehende Gästezahlen. Betroffen sind vor allem klassische Eckkneipen.

Zwei Drittel aller Wirte klagten hier über ausbleibende Gäste. Sechs Prozent der Gaststätten konnten neue Gäste hinzugewinnen, vor allem Familien und Frauen, die sich lieber in rauchfreier Umgebung aufhalten. In diesem Zusammenhang kommt es auch zu einer Veränderung des Trinkverhaltens: 40 Prozent der Wirte gaben an, dass der Verkauf alkoholischer Getränke zurückging.

Dafür stieg der Konsum von Wasser und Säften an. Nach Aussagen des Gaststättenverbands mussten trotz allem noch keine Betriebe nur aufgrund des Rauchverbots schließen.

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(Foto: Foto: ddp)

Werden aus Kneipen nun Raucherclubs?

Viele Wirte sehen die Umwandlung ihrer Gaststätte in einen Raucherclub als die beste Möglichkeit, das Rauchverbot zu umgehen. Dafür müssen sie alle formalen Voraussetzungen für eine Vereinsgründung erfüllen. Faktisch heißt das, dass die Mitgliedschaft dauerhaft sein muss.

Wer also sein Lokal in einen Raucherclub verwandelt, verliert die gesamte Laufkundschaft. Bis jetzt haben sich schon einige Wirte eintragen lassen. Dabei treten durchaus positive Effekte auf: Die Münchner Kneipe "Albatros" etwa spendet den Jahresbeitrag von zwei Euro pro Person an SOS-Kinderdörfer. Auch die Berliner Wirtin Barbara Palm hat ihre "Heide 11" in einen Raucherclub umgewandelt. Dabei sieht sie den Raucherclub durchaus als Chance, auf die richtige Zusammensetzung ihrer Kundschaft zu achten.

"Wir prüfen jeden Neuantrag genau. Die meisten unserer Gäste sind um die 50, die würden sich sehr gestört fühlen, wenn plötzlich die Turnschuh-Fraktion anrückt." In München werden bereits die Adressen der Raucherclubs auf der Website www.raucherclub-muc.de gesammelt.

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Nikotinpflaster, OH
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Kleben jetzt alle Nikotinpflaster?

Wie stark der Verkauf von Rauchentwöhnungsprodukten gestiegen ist, dazu hat der Bundesverband Deutscher Apotheker noch keine Zahlen. Dass die Nachfrage aber sicher zunehmen wird, prognostiziert das Marktforschungsunternehmen Insight Health.

Stieg der Umsatz mit Raucherentwöhnungsprodukten demzufolge 2007 um fast ein Drittel auf 32,4 Millionen Euro, rechnen die Analysten durch das Rauchverbot in diesem Jahr mit mehr als 40 Millionen Euro. "Deutliche Signale" aus dem Markt verzeichnet auch Pharmahersteller Novartis, der Entwöhnungsprodukte unter der Marke Nicotinell anbietet. Erfahrungen aus Italien und Spanien zeigten dabei, dass eher 24-Stunden-Pflaster denn Tabletten für Gelegenheitsraucher boomen würden.

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