Lawinenunglück am Mount Everest:Arbeitsunfall unter Extrembedingungen

Lawinenunglück am Mount Everest: Einsatzkräfte retten einen Überlebenden nach dem Abgang einer Lawine, in der mindestens zwölf Menschen starben.

Einsatzkräfte retten einen Überlebenden nach dem Abgang einer Lawine, in der mindestens zwölf Menschen starben.

(Foto: AFP)

Sie schleppen Gepäck, installieren Leitern und Brücken: Für etwa zehn Euro am Tag leisten einheimische Bergführer am Mount Everest existenzielle Arbeiten. Das jüngste Lawinenunglück belegt das auf tragische Weise. Jetzt wurde das 13. Todesopfer geborgen.

Von Titus Arnu

Die tödliche Gefahr wartet schon direkt hinter dem Basislager. Wer auf der Südroute den Gipfel des Mount Everest erreichen will, muss durch den Khumbu-Eisbruch. Eine gruselige Gegend: Haushohe Eisblöcke, sogenannte Séracs, türmen sich dort zu bizarren Gebilden, dazwischen gähnen breite Gletscherspalten, die so tief sind, dass man den Boden nicht sieht. Auf zweieinhalb Kilometer Länge und über 600 Höhenmeter müssen instabile Eispfeiler, Spalten und Abbrüche überwunden werden. Um sich zu akklimatisieren, wechseln Hochträger, Guides und Expeditionsteilnehmer vor dem weiteren Aufstieg mehrmals zwischen dem Base Camp auf 5300 Meter und Camp 1 auf knapp 6000 Meter hin und her - und müssen dabei jedesmal durch den gefürchteten Gletscherbruch auf- und absteigen.

Bis zu 500 Sherpas arbeiten vor dem Start der Hauptsaison am Mount Everest

Um diese Route für Nicht-Profis überhaupt begehbar zu machen, wird im April im Khumbu-Eisfall emsig gearbeitet. Bevor die Saison am höchsten Berg der Welt beginnt, präparieren einheimische Bergführer und ihre Helfer die Strecke - sie installieren Leitern und Brücken, mit denen man Spalten und Eiswände überwinden kann, sie befestigen Fixseile, an denen sich die Kletter-Touristen dann zur Sicherheit einhängen. Dies muss jedes Jahr neu gemacht werden, weil immer wieder Séracs in sich zusammenstürzen und den bisherigen Weg versperren. Bis zu 500 Sherpas arbeiten vor dem Start der Everest-Hauptsaison im Mai am Berg.

Am Morgen des Karfreitags ist oberhalb des Basislagers, im so genannten Popcorn-Feld auf 5800 Meter, eine Lawine abgegangen und hat eine größere Gruppe von Sherpas verschüttet, die dabei waren, Vorbereitungen für Expeditionen zu treffen. Etliche Menschen starben. Bisher wurden 13 Männer tot geborgen, drei werden noch vermisst. "Es ist ausgeschlossen, dass wir die vier vermissten Männer lebend finden", sagte ein Sprecher des Tourismusministeriums in Kathmandu am Samstag. Die Vermissten seien bereits länger als 24 Stunden im Schnee eingeschlossen. Sieben Männer konnten lebend gerettet werden. Die einheimischen Arbeiter waren auf dem Weg zum Camp 1 in knapp 6000 Meter Höhe, um dort für fünf Expeditionen Zelte aufzubauen und Essen einzulagern.

Das Unglück wirft ein Licht auf die Probleme, die durch den Achttausender-Tourismus entstehen. Während Profis das Höhenbergsteigen am liebsten im Alpinstil betreiben (ohne Fremdhilfe, ohne Fixseile und ohne Sauerstoff), ist die Mehrzahl der Expeditionsteilnehmer am Everest und anderen Achttausendern auf die Hilfe von Sherpas existenziell angewiesen. "Die meisten dieser Bergtouristen wollen auf der Normalroute über eine Art Piste auf den Hauptgipfel," sagt Reinhold Messner der SZ. "Dass es jetzt ausgerechnet jene Leute trifft, die für die Sicherheit der ausländischen Bergsteiger sorgen, ist tragisch." Messner legt Wert auf die richtige Einordnung des Unglücks: "Das ist eben gerade kein Beweis für den Leichtsinn von Bergsteigern, sondern ein Arbeitsunfall."

Wie es zu dem Drama im Popcorn-Feld kam, ist noch ungeklärt. Das Gebiet heißt so, weil es von weitem aussieht wie eine Schüssel voller Eisblöcke, die an Popcorn erinnern. Möglicherweise lag die neue Route zu nah an der Everest-Westschulter, von dort brechen immer wieder große Eisblöcke ab. Nach Angaben lokaler Medien hatte es in den vergangenen Tagen im Everest-Gebiet heftig geschneit. Fast 100 Träger, Bergführer und Helfer sitzen nun oberhalb des Lawinenabgangs fest und können erst mal nicht absteigen.

Folgenschwerstes Unglück seit 60 Jahren

Seit der Everest im Jahr 1953 zum ersten Mal von Edmund Hillary und Tenzing Norgay bestiegen wurde, starben dort mehr als 200 Menschen - durch Höhenkrankheit, Lawinen, Erfrieren, Abstürze, Erschöpfung. Das Lawinen-Drama vom Karfreitag ist das bislang folgenschwerste Unglück. Vorher galt das Jahr 1996 als Katastrophen-Saison, als auf beiden Seiten des Everest zwölf Menschen ihr Leben ließen, weil sie von plötzlichen Stürmen überrascht wurden. In Jon Krakauers Bestseller "In eisige Höhen" ist das dramatische Ende einer dieser Expeditionen beschrieben.

Dieses Mal traf es ersten Erkenntnissen zufolge keine ausländischen Bergsteiger, sondern jene Menschen, die am Everest mit extrem harter Arbeit den Lebensunterhalt für ihre Familien verdienen. Der Everest hat für den Tourismus in Nepal eine enorme Bedeutung. Im Jahr 2013 generierten die Einnahmen aus den Expeditionsgebühren am höchsten Berg der Erde insgesamt 274 Millionen Rupien (gut zwei Millionen Euro), mehr als das Fünfzehnfache des Nachbarbergs Lhotse, der bei den Einnahmen an zweiter Stelle liegt. Eine kommerzielle Everest-Expedition kostet zwischen 15 000 und 65 000 Euro, je nachdem, wie gut ausgerüstet und betreut man werden will, es kommt auch darauf an, wie viel teuren Sauerstoff man verwendet. Auch der DAV Summit Club, die kommerzielle Tochterfirma des Deutschen Alpenvereins, bietet für 2015 eine Everest-Expedition an - die 60-tägige Reise kostet 38 490 Euro. Allein die Genehmigungen machen fast die Hälfte des Gesamtpreises aus.

"Wenn man den Berg in seinem ursprünglichen Zustand ließe, gäbe es solche Unglücke nicht."

Die Sherpas wollen mitverdienen, wenn auch oft nicht besonders viel bei ihnen ankommt. Ein Träger verdient etwa zehn Euro am Tag - und schleppt dafür bis zu 40 Kilogramm Gepäck und Ausrüstung. Die einheimischen Träger, Bergführer, Köche und Helfer (von Westlern übrigens pauschal "Sherpas" genannt, obwohl Sherpa eigentlich der Name eines Volksstammes und ein häufiger Nachname ist) machten einen extrem gefährlichen, oft zu schlecht bezahlten Job, sagt Ang Tshering, Präsident der Nepal Mountaineering Association: "Hunderte Bergsteiger verlassen sich auf die Seile und Leitern, die diese Männer gelegt haben. Ohne deren Hilfe könnten sie den Mount Everest nicht besteigen."

Der Andrang auf den Everest wird voraussichtlich auch nach Unglücken wie diesem nicht nachlassen. Schon jetzt warten im Basislager zahlreiche Bergsteiger aus aller Welt auf den Aufstieg. Nach Angaben der Himalaya Times erhielten in diesem Jahr 334 Bergsteiger in 31 Teams die Erlaubnis, auf das Dach der Welt zu klettern - fast alle davon werden die von den Sherpas präparierten Routen nützen. Ohne diese Hilfe sähe es am Everest anders aus. "Wenn man den Berg in seinem ursprünglichen Zustand ließe und man ihn nicht jedes Jahr mit Leitern und Fixseilen herrichten würde", sagt Reinhold Messner, "dann gäbe es solche Unglücke auch nicht."

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