Landgericht Aachen:Ehepaar tötet Mann - weil es ihn für pädophil hält

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  • In Aachen stehen ein Ehepaar und ein Mann wegen gemeinschaftlichen Mordes eines 29-Jährigen vor Gericht.
  • Die Angeklagten hielten ihr Opfer laut Anklage für einen Pädophilen, der ihre Tochter bei Facebook angeschrieben haben soll.
  • Sie stammen der Staatsanwaltschaft zufolge aus einem Milieu, das Jagd auf Menschen macht, die unter Pädophilie-Verdacht stehen.

Von Kristiana Ludwig, Aachen

Zu viert lotsten sie ihr Opfer spätabends auf einen Feldweg. Eine Frau war der Lockvogel, freizügig bekleidet, mit Schlagring bewaffnet. Ein Mann stand als Wache hinter einem Baum, und das Ehepaar wartete in der Dunkelheit. Die beiden hatten ein Messer dabei. Ihr Opfer sollte später hier verbluten.

Im vergangenen August sollen das Paar und ihr Helfer - der Mann, der Wache stand - einen 29 Jahre alten Mann getötet haben. Seit Dienstag stehen die drei in Aachen wegen gemeinschaftlichen Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge vor Gericht. Zusätzlich müssen sich zwei Tathelfer wegen Beihilfe zur lebensgefährlichen Körperverletzung verantworten: Neben dem Lockvogel ein Mann, der während der Tat die Kinder des Paares gehütet hat.

"Rachemord", schrieben im letzten Sommer die Zeitungen. Bloß Rache wofür?

Ein Milieu von Menschen, die "Pädophile jagen"

Laut Anklage hatte das Ehepaar geraume Zeit, bevor es sich seinem späteren Opfer näherte, Anzeige gegen Unbekannt gestellt. Ein Mann habe ihre zwölfjährige Tochter aufgefordert, ihm Nacktbilder zu schicken. Das Mädchen hatte mit Erlaubnis der Eltern ein Facebook-Profil angelegt und ihr Alter dort mit 22 angegeben. Die Mutter, sagt der Staatsanwalt im Landgericht, habe das selbst so eingerichtet - damit die Tochter "ohne elterliche Kontrolle frei im Internet kommunizieren konnte". In dem Ermittlungsverfahren wurde der Mann, der die Bilder wollte, nie gefunden. Also seien die Eltern selbst tätig geworden.

Der 29 Jahre alte Mann, der in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeitete, hatte das falsche Profil der Zwölfjährigen per Facebook ebenfalls angeschrieben, laut Staatsanwaltschaft mit wenigen Worten: "Wie geht's dir?" und "Guten Abend". Geantwortet habe das Mädchen nicht, auf weiteren Kontakt verzichtete er. Dennoch habe der Vater in einem Forum im Netz, in dem er sich gegen Kindesmissbrauch aussprach, den Namen seines späteren Opfers genannt - und ihn dort als Pädophilen gekennzeichnet.

Man habe es hier mit einem Milieu von Menschen zu tun, die "Pädophile jagen", sagt der Anwalt der Schwester des Opfers, die in Aachen Nebenklägerin ist. Dieses Milieu, sagt Heike Radvan von der Amadeu-Antonius-Stiftung, sei nicht selten von Neonazis durchsetzt, die mit Slogans wie "Todesstrafe für Kinderschänder" seit etwa sechs Jahren Stimmung machten. Die Angeklagten, heißt es in der Anklageschrift, mordeten aus Hass auf Menschen, die unter Pädophilie-Verdacht stehen, und auch aus Verachtung für Lernbehinderte.

Der Ehemann, 39 Jahre alt, Schnäuzer, Landschaftsbauer, habe damals einen Kollegen um Hilfe gebeten. Dieser sammelt, wie er vor Gericht angab, Messer und Schusswaffen. Seit vielen Jahren sei er im Schützenverein aktiv. Er habe die Waffen besorgen sollen. Das Paar bat außerdem ihre Nachbarin darum, dem jungen Mann per Facebook Avancen zu machen. Sie verabredete sich schließlich mit ihm auf der einsamen Straße und lockte ihn so in eine Falle.

Der Staatsanwalt beschreibt, wie das Ehepaar dem jungen Mann nach dem ersten Schlag zunächst das Handy abgenommen hätte, um im Telefonspeicher nach Bildern der Tochter zu suchen. Obwohl sie nichts dergleichen fanden, stachen sie anschließend auf ihn ein, sieben Stiche trafen den Oberkörper. Als die vier Angreifer gingen, lebte der Mann noch.

Die Kinder leben jetzt in einem Heim

Zu der Tat will sich am ersten Prozesstag keiner der fünf Angeklagten äußern. Frau und Mann ließen jeweils Lebensläufe von ihren Anwälten verlesen. 15 Jahre alt sei die Frau gewesen, als sie ihren Mann kennenlernte, mit 17 war sie schwanger. Ihren Hauptschulabschluss holte sie nach, dann arbeitete sie an einer Tankstelle, so wie ihre Mutter. 2013 wurde sie arbeitslos. Seit der Geburt ihrer Tochter habe sie Marihuana geraucht, Amphetamine genommen und Alkohol getrunken. Sie ist blass, 31 Jahre alt, trägt eine weiße Bluse und offenes Haar. Sie habe sich überfordert gefühlt von den Kindern und von ihrem Mann, der sie oft bedroht habe. "Du bist schlimmer als ein Pädophiler", habe er einmal zu ihr gesagt.

Am Tag der Tat will die Frau viel getrunken haben, unter anderem eine halbe Flasche Holunderlikör. Auch der Arbeitskollege des Mannes erzählt von Drogen, der Ehemann hingegen will nichts konsumiert haben. Ob sie Hobbys habe, wird die Frau gefragt. "Meine Kinder waren mein Hobby", sagt sie und beginnt zu weinen. Die Zwölfjährige und ihr Bruder leben nun in einem Heim. Die Eltern sind seit mehr als einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Das Landgericht hat Prozess-Termine bis Mitte Mai festgelegt.

© SZ vom 10.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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