Laienboxparty in Hamburg:Wo sich Akademiker vermöbeln

Bei der Laienboxparty "Night of the Raging Bulls" darf die Generation Internet auch mal Kiez spielen - manchmal fließt sogar echtes Blut.

Philipp Jedicke

Lucas Licht geht das Ganze betont lässig an. "Ich betreibe schon seit ein paar Jahren Kampfkunst, aber richtig eine kassiert habe ich noch nie", winkt der 24-jährige Kölner ab. Licht steht zwischen Kältesprays und Bierflaschen im Backstage-Raum des Hamburger Clubs Uebel & Gefährlich. Er ist ein kumpelhafter Typ, mit gewinnendem Lächeln und festem Händedruck.

Laienboxparty in Hamburg: Wenn sich Akademiker oder Manager mal so richtig vermöbeln lassen wollen, treffen sie sich auf der "Night of the Raging Bulls" : Lucas "Fast Lane" Licht (li.) kämpft im Hamburger Ring gegen Jan "The Fox Hunter" Mielke.

Wenn sich Akademiker oder Manager mal so richtig vermöbeln lassen wollen, treffen sie sich auf der "Night of the Raging Bulls" : Lucas "Fast Lane" Licht (li.) kämpft im Hamburger Ring gegen Jan "The Fox Hunter" Mielke.

(Foto: Foto: Johannes Post/oh)

Draußen strömt das Publikum in den Club herein, um Licht herum herrscht geschäftiges Treiben: Sein Gegner macht sich warm, letzte Taktik-Anweisungen werden geflüstert. Minuten später, während des Boxkampfes, wird bis auf das Klatschen von Faust auf Haut und das Stöhnen der Kontrahenten kaum ein Laut zu hören sein, und Kämpfern wie Publikum wird schlagartig klar werden, dass es hier eigentlich ums Boxen geht. Um richtiges Boxen.

Lucas Licht ist Student der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und kämpft das erste Mal vor großem Publikum - ganz nah beim Hamburger Kiez, in einem der angesagtesten Clubs der Hansestadt. Untergebracht ist die Bar in einem gewaltigen, schwarz-grauen Bunker am Heiligengeistfeld. Um in ihn hineinzukommen, fährt man Lastenaufzug.

Dresche nach drei Monaten Kurs

Licht und sein 35-jähriger Gegner Jan "The Fox Hunter" Mielke sind zwei von acht Protagonisten einer Veranstaltung namens "Hafenkeilerei", der Hamburger Ausgabe der "Night Of The Raging Bulls", die sich der Kölner Medienwissenschaftler Sönke Andersen und sein Kompagnon, Frank Dahlmann, ausgedacht haben.

Die Idee: Bundesweit treten Box-Laien nach einem dreimonatigen Intensivtraining gegeneinander an. Die Atmosphäre: halbseiden. Der Hintergrund: eine Parodie auf und eine Hommage an den Boxsport zugleich, die sowohl im Internet übertragen wird als auch real stattfindet. Großes Aufblasen und gegenseitiges Angstmachen mit furchterregenden Videotrailern auf der einen Seite, Do-it-yourself-Charme auf der anderen.

Hier entscheidet das Publikum, wer gewinnt. Es setzt sich zusammen aus Studenten, Medienschaffenden und der einen oder anderen realen Kiezgröße. Als Teil einer fiktiven Jury sitzt Schauspieler Hans-Martin Stier neben Laiendarstellern. Realität und Theater, Körperlichkeit und Virtualität greifen nahtlos ineinander.

Dresscode und Kiez-Atmosphäre

Im Detail herrscht unbekümmerte Improvisation: Der Titelverteidiger bekommt an diesem Abend von seinem "Manager" Gleitcreme unter die Augen geschmiert, Vaseline war in der Apotheke aus. Draußen, in den Ecken des Boxrings, stehen statt Hockern Bierkisten für die Kämpfer bereit. "Fight Club" statt Promiboxen, der Faustsport kehrt zurück auf die Straße.

Wo sich Akademiker vermöbeln

Scheinbar entspannt plaudert Licht vor dem Kampf mit seinen Kölner Freunden, die ihn hierher begleitet haben, doch seine Augen verraten die wachsende Anspannung. Seinem Alter Ego, das er sich für den Fight zurechtgelegt hat, ist solche Art der Reflexion fremd: "Fast Lane" ist ein überaus erfolgreicher Rennfahrer, dem im Leben alles gelungen ist und der sich neue Herausforderungen sucht. Er will, wie es Lichts Freund und Manager Marco Gabrecht später bei der Pressekonferenz ausdrückt, einen würdigen Gegner, der bereit ist, ihm "den Makel des Makellosen" zu nehmen.

Das Uebel & Gefährlich hat sich mittlerweile gefüllt. Eine schwäbische Hardrockband namens Kissin' Dynamite tut ihr Bestes, um das etwas hüftsteife Hamburger Publikum aufzuheizen. Bier fließt in Strömen, Hände werden geschüttelt. Der Dresscode passt zur Kiez-Atmosphäre. Frauen tragen knappe Röcke und High Heels, Männer präsentieren sich mit Polyesterhemden und Spiegelsonnenbrillen. Die digitale Bohème schafft sich ihren Kiez nach Wunsch: einen Karneval der Pimps und Luder.

Pünktlich zur Pressekonferenz ist aus Lucas Licht der Überflieger "Fast Lane" geworden. Mit arrogantem Blick taxiert er seinen Gegner, klopft Sprüche, versucht, den Fox Hunter einzuschüchtern. Von Angst keine Spur mehr, das aufgeblasene Alter Ego tut seinen Dienst. Während Lichts Kampf sind die Zwischenrufe aus der Kölner Fan-Ecke verhalten. Das hier ist real, es herrscht Witzpause. Schon bald schießt Blut aus seiner Nase.

In der dritten Runde bekommt er einen harten Schlag auf den Hinterkopf, taumelt zurück, fängt sich im Seil. Die Augen wandern kurz nach oben, er scheint zu fallen, doch er reißt sich zusammen. In Runde zwei kann er sogar noch einen direkten Treffer auf der Nase des Fox Hunter platzieren. Ansonsten kommt Licht kaum durch Mielkes Deckung, sein flinker Gegenspieler weicht aus, trifft oft und hält das Tempo.

Taumel des Unglücks

Bei aller vorangegangenen verbalen Aggression dominieren während des Kampfes Fairness und Freundlichkeit. Der Moderator fordert vom Publikum immer wieder "Respekt für beide Boxer" und freut sich, als Licht und Mielke sich zum Pausengong anlächeln: "Hiebe und Liebe. So wollen wir das hier."

In den Pausen motiviert Licht seine Kölner Fans, reißt die Arme hoch und tänzelt, bleibt trotz sichtbarer Erschöpfung und blutender Nase in der Rolle des unbezwingbaren "Fast Lane". Doch nach dem letzten Gong stimmt das Publikum für seinen Gegner, Licht steigt geschlagen aus dem Ring. "Es ist schon etwas ganz anderes, ins Gesicht getroffen zu werden", erzählt er später. Und er weiß, dass er im Moment des Taumelns Glück hatte, dass sein Gegner nicht nachgesetzt hat.

Doch ganz offensichtlich hat ihn der sportliche Ehrgeiz gepackt: Bei der "Hauptstadt Hauerei" im Oktober in Berlin ist Lucas Licht wieder dabei, "wenn sie mich noch mal wollen", fügt er aus blutunterlaufenen Augen hinzu. Und lächelt schon wieder. "Jetzt erst mal eine Zigarette und ein Bier." Dann raus in die Hamburger Nacht, den echten Kiez sehen.

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