Atomkatastrophe in Japan:Kunstharz gegen die Strahlung

Die Notmaßnahmen in Fukushima werden immer verzweifelter: Nun sollen Drohnen den Krisenmeiler mit einer Kunstharzschicht überziehen, um die Strahlung einzudämmen. Auch über dem Nachbar-AKW Fukushima-2 wurde Rauch gesichtet - zuvor hatte Tepco laut darüber nachgedacht, dieses Kraftwerk wieder ans Netz zu nehmen. Die Internationale Atomenergiebehörde rät unterdessen zur Ausweitung der Evakuierungszone.

Es ist die schiere Verzweiflung im Kampf gegen die Strahlen-Lecks in Fukushima: Japans Regierung will nun die verstrahlten Trümmer mit Kunstharz besprühen lassen, um die Radioaktivität einzudämmen. Dabei soll ein ferngesteuertes Fahrzeug zum Einsatz kommen, wie die Nachrichtenagentur Kyodo meldet.

Nuclear Crew Returns To Reactor As Tokyo Dispenses Bottled Water

Arbeiten im Angesicht des Todes: Die im Krisen-AKW Fukushima-1 verbliebenen Techniker sind zunehmend ausgebrannt und ihre Angst vor dauerhaften Gesundheitsschäden durch Radioaktivität wächst.

(Foto: Via Bloomberg)

Zuvor spekulierten japanische Medien über Pläne der Regierung, drei der beschädigten Reaktoren von Fukushima-1 mit Planen abdecken zu lassen, um die radioaktive Strahlung zu vermindern. Über das Material der Planen machte das Blatt keine Angaben. Japans Ministerpräsident Naoto Kan bezeichnete die Entwicklung in dem Krisen-Meiler an der Nordostküste des Landes als "unvorhersehbar".

Die Regierung prüft zudem noch eine weitere Notmaßnahme: Ein ungelöstes Problem ist nämlich das strahlende Wasser in der Atomruine. Es stand zeitweise bis zu einen Meter hoch in den Kellern der Turbinenhäuser von vier der sechs Reaktorblöcke in Fukushima-1, doch die Arbeiter wissen derzeit nicht, wohin sie die hochgiftige Flüssigkeit leiten sollen. Die Regierung will anscheinend nun einen Tanker einzusetzen, um radioaktiv verseuchtes Wasser abzusaugen. Regierungssprecher Edano sagte dazu, Regierung und Atomexperten dächten über "alle Lösungen" nach, einschließlich der in der Presse erwähnten.

Rauch über Fukushima-2

Schlechte Nachrichten kommen zudem auch vom Kernkraftwerk Fukushima-2 (-Daini): Dort ist am Mittwoch etwa eine Stunde lang Rauch aufgestiegen. Das meldete die Nachrichtenagentur Kyodo unter Berufung auf die Betreiberfirma Tepco. Der Rauch kam laut Tepco von einer Stromverteiler-Einheit in einem Turbinenraum im ersten Stock. Er sei dann wieder verschwunden. Genaue Angaben zur Ursache des Rauchs gab es zunächst nicht.

Das Kraftwerk Fukushima-2 befindet sich etwa zwölf Kilometer südlich vom stärker beschädigten Krisen-AKW Fukushima-1. Bisher hieß es in den Mitteilungen von Tepco, die vier Reaktorblöcke von Fukushima-2 seien stabil. Sie wurden nach dem Erdbeben vom 11. März heruntergefahren.

Zunächst hatte Tepco noch darüber spekuliert, den Meiler Fukushima-2 wieder ans Netz zu nehmen. Während die Reaktorblöcke 1 bis 4 des Kraftwerkes Fukushima-1 verschrottet werden sollen, wolle sich die Firma mit der Regierung über eine Reaktivierung von Fukushima-2 austauschen. Ähnliches äußerte Tepco zu den noch operationsfähigen Reaktoren 5 und 6 von Fukushima-1. Die Regierung in Tokio favorisiert jedoch eine Stilllegung aller sechs Reaktoren. Zudem ordnete sie die dringende Überprüfung aller 55 Atomkraftwerke des Landes an und verschärfte die Sicherheitsstandards: Bis Ende April muss in allen AKW auch bei einem Stromausfall weiter Energie verfügbar sein, wie das Handelsministerium in Tokyo mitteilte.

Die Betreiberfirma Tepco muss unterdessen vorerst auf ihren obersten Krisenmanager verzichten: Konzern-Chef Masataka Shimizu musste wegen Bluthochdrucks und Schwindelgefühlen in ein Krankenhaus gebracht werden. In Japan gab es zuvor Gerüchte, dass Shimizu sich wegen der Atomkatastrophe das Leben genommen habe oder ins Ausland geflohen sei. Das Krisenmanagement soll nun der Vorstandsvorsitzende Tsunehisa Katsumata übernehmen.

Meerwasser hoch verstrahlt

Im Meerwasser vor der Atomruine wurde erneut eine sehr hohe Konzentration von radioaktivem Jod entdeckt. Die Radioaktivität habe das 3355-fache des zulässigen Wertes erreicht, meldete die Nachrichtenagentur Kyodo. Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat eigenen Angaben zufolge eine erhöhte Strahlung in der Region um Fukushima-1 gemessen. So sei in dem Ort Iitate, 40 Kilometer nordwestlich des Kraftwerks, eine Strahlenbelastung von bis zu zehn Mikrosievert in der Stunde festgestellt worden. Um Tsushima seien sogar 100 Mikrosievert pro Stunde ermittelt worden. Als unbedenklich gilt eine Strahlendosis von 0,1 Mikrosievert je Stunde. Da Iitate 20 Kilometer außerhalb der Evakuierungszone liegt, fordert Greenpeace deren Ausweitung. US-Experten hatten empfohlen, die Evakuierungszone sogar auf 80 Kilometer auszudehnen.

Jan van de Putte, Strahlenexperte von Greenpeace, sagte auf einer Pressekonferenz in Tokio: "Es ist für die Menschen eindeutig nicht sicher, in Iitate zu bleiben, vor allem für Kinder und schwangere Frauen. Sie könnten die maximal zulässige jährliche Strahlendosis in nur wenigen Tagen abbekommen."

Auch die Internationale Atomenergiebehörde rät Japan zur Evakuierung des Ortes. Dort hätten Teams der Atombehörde die höchsten Strahlungswerte gemessen, sagte der IAEA-Experte für nukleare Sicherheit, Denis Flory: "Eine erste Beurteilung deutet darauf hin, dass eine der IAEA-Kriterien für die Evakuierung überschritten wurde."

Der Nachweis von Plutoniumspuren in Bodenproben aus der Umgebung des Atomkraftwerks könnte nach Ansicht der internationalen Atomaufsichtsbehörde IAEA darauf hindeuten, dass eine "sehr kleine Menge" des hochgiftigen Schwermetalls aus der Atomruine freigesetzt wurde. Ein Sprecher des japanischen AKW-Betreibers Tepco sagte: "Ich kann noch nicht abschätzen, wie lange diese Situation dauern wird, aber zuerst müssen wir sicherstellen, dass wir das Kraftwerk unter Kontrolle bekommen."

Angst vor drehenden Winden

Die Arbeiter in dem Katastrophen-Kernkraftwerk sind zunehmend ausgebrannt und ihre Angst vor dauerhaften Gesundheitsschäden wächst. Das sagte ein Manager einer Vertragsfirma des Betreibers Tepco der Zeitung Asahi Shinbun. Zwar gingen die Einsatzkräfte immer wieder in die zerstörten Reaktorblöcke, um die Reaktoren zu kühlen und einen Super-GAU zu verhindern, doch seien die Arbeiter angesichts der endlosen Schwierigkeiten zunehmend nervöser. Man achte darauf, dass Tepco die Spezialisten nicht zu hohen Risiken aussetze, sagte der Manager.

Doch die Bedingungen, unter denen die derzeit etwa 400 Arbeiter ihren Dienst in Fukushima tun, sind kaum erträglich. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln sei mangelhaft, berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo, es gebe ein karges Frühstück, kein Mittagessen und abends nur Instant-Reis und eine Dose Fisch. Nachts würden die Arbeiter unter Bleidecken schlafen, um sich gegen die Strahlung zu schützen. Nach Angaben der Zeitung Tokyo Shimbun suche Tepco händeringend nach weiteren Arbeitern, wegen der hohen Gefahr würde aber selbst ein Tagessatz von 400.000 Yen (etwa 3400 Euro) nur wenige Männer locken.

Sorgen bereitet derzeit auch das Wetter. Am Mittwoch soll der bislang aufs Meer wehende Wind seine Richtung ändern. Dann tragen Böen die radioaktiven Partikel aus Fukushima-1 in Richtung der Megacity Tokio. "Dort steigt die Konzentration folglich an, allerdings deutlich verdünnt gegenüber der Ausgangsregion", hieß es von Seiten des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Am Donnerstag werde der Wind seine Richtung aber wieder Richtung Meer ändern.

Außerdem wollen die Japaner nun verstärkt ausländische Fachleute heranziehen, um die havarierten Reaktoren unter Kontrolle zu bringen. Der französische Atomkonzern Areva wird fünf Nuklear-Experten ins Krisengebiet schicken. Sie sollen die japanischen Arbeiter dabei unterstützen, das radioaktiv verseuchte Kühlwasser aus den teilweise zerstörten Reaktorblöcken herauszupumpen.

Angesichts der Energieknappheit erwägt die japanische Regierung die Einführung der Sommerzeit, damit große Unternehmen Energie sparen. Das berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo. Bisher hatte das Land keine Sommerzeit. Nach dem Erdbeben, dem Tsunami und der Reaktorkatastrophe musste Tokio den Strom in einigen Regionen abschalten. Experten befürchten eine anhaltende Energieknappheit.

Unklar ist außerdem, wie hoch die Kosten für die Katastrophe sein werden. Ministerpräsident Kan wolle neben dem eigentlichen Staatshaushalt einen Sonderetat von umgerechnet etwa 17 bis 26 Milliarden Euro aufstellen, meldete Kyodo. Japan ist schon jetzt hochverschuldet. Die Zahl der nach dem Erdbeben und dem Tsunami vom 11. März offiziell für tot erklärten Opfer stieg am Dienstag auf 11.168. Weitere 16.407 Menschen werden nach wie vor vermisst. Bei etwa 4000 Leichen, die in den Präfekturen Miyagi, Iwate und Fukushima gefunden wurden, ist noch unklar, um wen es sich handelt.

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