Künstler Plastic Jesus in Hollywood: "Wir verklären Promis zu Gottheiten"

Kanye West Statue in Hollywood

Der Rapper Kanye West, wie der Straßenkünstler Plastic Jesus ihn sieht: als "falsches Idol".

(Foto: oh)

Sagt der Straßenkünstler Plastic Jesus, der gerade eine Statue von Kayne West in Kreuzigungspose am Hollywood Boulevard aufgestellt hat. Was das soll? Wir haben nachgefragt.

Interview von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Auf dem Hollywood Boulevard, unweit des roten Teppichs, über den am Sonntag die Filmstars zur Oscarverleihung schreiten werden, steht seit Neuestem eine goldene Statue des Rappers Kanye West in Kreuzigungspose. Der Straßenkünstler Plastic Jesus hat sie dort aufgestellt und "False Idol" daruntergeschrieben - falsches Idol. Sein Gesicht zeigt Plastic Jesus nicht der Öffentlichkeit, schließlich bewegen sich zahlreiche seiner Aktionen am Rande der Legalität. Ans Telefon geht er aber gleich.

SZ: Guten Tag! Woher kommt Ihre Faszination für die Oscars? Vor zwei Jahren haben Sie eine Statue platziert, die Kokain schnupft, ein Jahr davor eine, die sich Heroin in den Körper jagt ...

Plastic Jesus: Bei den Academy Awards werden Künstler für ihre Leistungen geehrt, das finde ich völlig in Ordnung. Es werden gleichzeitig aber viele dunkle Aspekte der Filmindustrie unter den Teppich gekehrt: Drogenmissbrauch, psychische Probleme, Ausbeutung. Ich glaube, dass die Woche vor den Oscars ein guter Zeitpunkt ist, um eine Botschaft zu vermitteln.

Aber: Muss es denn gleich Kanye West als gekreuzigter Jesus sein?

Wir verklären manche Promis zu Gottheiten und erwarten übermenschliche Dinge von ihnen - nicht nur von ihnen als Künstler, sondern als Privatleute. Wenn sich dann plötzlich herausstellt, dass sie Schwächen wie alle anderen haben, dann sind wir enttäuscht und gehen bisweilen so weit, dass wir sie kreuzigen. Genau das ist West kurz vor Weihnachten passiert: Er litt an Stress und Paranoia, an ernsthaften Krankheiten. Und wir haben ihn behandelt, als wäre er ein Stück Fleisch.

Bescheidenheit gehört nicht zu den Tugenden von Mister West. Er hat ein Lied mit dem Titel "I am God" veröffentlicht.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Der Mann ist ein Genie, ich bewundere seine Texte und seine Musik. Er genießt natürlich, dass er bewundert wird, und fördert dieses Image einer übermenschlichen Figur. Er ist ja tatsächlich ein König Midas der Popkultur: Was er anfasst, wird zu Gold. Nicht nur seine Musik, sondern auch die Produkte, die er bewirbt. Ein Restaurant wird allein dadurch geadelt, dass Kanye West darin speist. Wir müssen hinterfragen, warum das so ist.

Und warum ist das so? Sie haben vor ein paar Jahren in einer Installation ja gefordert: "Stop making stupid people famous!" Dumme Menschen sollen nicht mehr berühmt gemacht werden.

Ich glaube, dass dieses Projekt von damals perfekt zur Kanye-Statue passt: Wir, die Konsumenten, bestimmen doch darüber, wer berühmt wird und wer nicht. Über die Musik, die wir kaufen. Über die Webseiten, die wir anklicken. Über die Newsletter, die wir bestellen. Es gab einmal eine Zeit, da haben wir Menschen aufgrund ihres Könnens, ihrer Intelligenz oder ihres Talents bewundert. Jetzt lassen wir Typen berühmt werden, von denen wir nicht einmal wissen, was sie überhaupt machen.

Wie wollen Sie das ändern?

Ich will die Leute wachrütteln. Sie sollen darüber nachdenken, was sie konsumieren. Noch einmal: Ich missgönne es keinem Künstler, wenn er erfolgreich ist. Erfolg darf aber kein Kriterium für Qualität sein. Wir müssen auch Künstler fördern, die vielleicht nicht jedem gefallen.

Das klingt sehr romantisch, die Realität sieht aber anders aus: Ein Reality-TV-Star ist jetzt US-Präsident.

Ach, hören Sie mir auf. Ich könnte heulen.

Sie haben im vergangenen Sommer Trumps Stern auf dem Walk of Fame eingemauert und No-Trump-Verkehrsschilder aufgestellt. Warum gerade jetzt kein Seitenhieb auf den neuen Präsidenten?

Als Künstler muss man doch immer die Erwartungen des Publikums enttäuschen. Nein, im Ernst: Ich bin deprimiert, und ich spüre, dass es vielen Menschen ähnlich geht. Ich wollte deshalb etwas kreieren, worüber die Leute lachen können.

Hat sich Kanye West denn schon gemeldet? Findet er die Statue lustig?

Das weiß ich nicht! Ich bin gerade permanent am Telefon, vielleicht habe ich seinen Anruf verpasst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: