Küchenkünste:Der Pop-Star, der nichts anbrennen lässt

Wenn er im Fernsehen kocht, schauen Millionen gebannt zu: Jamie Oliver lehrt die Engländer, dass Essenszubereitung jung, sexy und frech sein kann.

Von Christoph Schwennicke

London, im Februar - Verflixt noch mal, zu einem unpassenderen Augenblick könnte diese allgemeine Unpässlichkeit nicht kommen. Besuch in einem der besten Restaurants Englands, und der Magen rebelliert. Was es denn genau sei?, fragt der Chef. Er bekommt auf einmal einen ganz fürsorglichen Gesichtsausdruck und legt die Hand auf den Unterarm des Gegenübers. Kreislaufschwäche, Ermattung, Übelkeit? "Pasta wären jetzt gut", sagt er dann und blickt drein wie ein Arzt bei der Diagnose: Kräuter auch. "Rosmarin ist ein fantastischer Energiespender!", schwelgt er und knüpft einen Stegreifvortrag darüber an, dass Essen einen ganz wichtigen Einfluss auf das Wohlbefinden habe, "was viele Leute gar nicht wahrhaben wollen". Ignoranten, die nur essen, um nicht zu verhungern.

Jamie Oliver

Verstrubbelte Haare und Dackelblick: Chefkoch Jamie verzaubert Frauen nicht nur mit leckerer Eiscreme.

(Foto: Foto: dpa)

Jamie Olivers berühmtes "Fifteen" liegt am Westland Place, einer Seitenstraße im Londoner Eastend, eine Lage, in der man ein Feinschmeckerlokal nicht vermuten würde. Eine relativ heruntergekommene Gegend, im "Eagle" um die Ecke gibt es schlechten Kaffee und mittags Businessmänner. Alte Industriegebäude drum herum, auf der anderen Seite des Restaurants befindet sich eine einfache Autowerkstatt, deren rostiges türkisfarbenes Wellblechtor so aussieht, als sei dort das Titelfoto für "Jamies Kitchen" geschossen worden, den neuen Beststeller des englischen Pop-Kochs: Jamie auf dem Boden an die Wand gelehnt, eine Tasse Kaffee neben sich. Jeans, Adidas- Turnschuhe, weißes Hemd und blaue Schürze.

Der nackte Küchenchef

Genau so ist er auch jetzt angezogen, der 28-Jährige, der sich in Anspielung auf seine bewusst einfache, unprätentiöse Kochkunst einmal selbst "Naked Chef" nannte - das im Englischen für Küchenchef gebrauchte Wort. Bloß die Füße stecken in blauen Birkenstock-Sandalen. Das kontrastiert etwas mit diesem In Place, dem loungeartigen Interieur des Lokals und der für ein Restaurant etwas zu lauten Musik. Es laufen energische, schnelle Beats.

Das "Fifteen" ist einer der angesagtesten Plätze in London zur Zeit. Es heißt, man müsse sich schon ein paar Monate gedulden, wenn man abends einen Tisch haben will. Und selbst die Granden des Geschäfts zeigen sich begeistert: Er habe erst Bedenken gehabt "angesichts des Schmuddeltyps auf dem Buchumschlag", rümpfte die Eminenz unter den deutschen Koch-Kritikern, Wolfram Siebeck, zunächst die Nase: "Ein Blick ins Buch änderte dann alles - bei mir bis zu hellen Begeisterung." Für das Buch ist Jamie Oliver bei der Buchmesse in Leipzig für einen Preis in der Kategorie Sachbuch vorgeschlagen. Kommen kann er nicht: Termine in den USA.

Niedliches Lispeln und verstrubbelte Haare

Der Aufstieg des Jamie Oliver ist schnell erzählt: Als Sohn eines Restaurantbetreibers in einem Cricket-Club in Clavering/Essex zog es den Jungen in London an die Töpfe, erst bei Antonio Carluccio im "Neal Street Restaurant", dann im renommierten River Café von Rose Gray und Ruth Rogers. Als dort ein Kamerateam einfiel, um eine Sendung zu machen, stach den Fernsehleuten der quirlige junge Mann ins Auge. Kaum war die Sendung ausgestrahlt, rief die BBC bei Jamie an und offerierte ihm eine Kochshow: Es folgte eine zweite Staffel als "Naked Chef", inzwischen kocht er bei der BBC in "Jamies Kitchen", und Millionen hängen an den Bildschirmen.

Der smarte Bursche hatte eine Marktlücke aufgetan, die keiner sah: Kochen ist jung, sexy, frech, mit einem Wort: funky. Er selbst mit seinem Jungencharme, den frech verstrubbelten Haaren und dem niedlichen leichten Lispeln turnt die Frauen offenbar mehr an als die alten gravitätischen Langweiler. Jamie steht immer unter Strom. Seine Rezepte und die Art sie zu präsentieren sind im Vergleich zu einem Johann Lafers oder Alfred Biolek so, als träten Blur oder Oasis in einer Kategorie gegen die Kastelruther Spatzen an. Kochen ist plötzlich Kult, und Jamie mitten drin: energiegeladen, lustvoll und frech.

Zu Besuch bei Tony Blair

Man kann nicht sagen, dass er sich gegen den Wirbel um seine Person wehrte. Er lässt nichts aus: Es gibt eine Modekollektion von ihm, einen Einkaufstrolley und all die anderen Devotionalien der eigenen Vermarktung. Er hat ein Kochgeschirr entworfen, das unter seinem Namen läuft. "Cookin" heißt die Scheibe mit Titeln, die er beim Kochen am liebsten hört, für einen Töpfehersteller hat er sich jetzt verdingt und wirbelt in dem Werbevideo wie in einem Pop-Clip um die Kochzeile.

Wegen eines millionenschweren Werbefilms für die Supermarktkette Sainsbury's wurde dann die BBC sauer, weil der Clip skrupellos die Optik der Kochsendungen der Fernsehanstalt kopierte. Jamie hat für Tony Blair gekocht, als der den italienischen Premier zu Gast in Downing Street hatte, bei Viktoria Beckham aufgepasst, dass sie den traditionellen Truthahn nicht versaut. Sogar seinen eigenen Umzug hat Oliver noch fernsehtechnisch vermarktet.

Es kann sein, dass Oliver die Medienschraube überdreht hat. "Jamie Oliver must die" heißt eine Chat-Homepage im Internet, auf der einer vorschlägt, man solle das Geländer, das er immer in seiner Küche heruntergerutscht komme, rasiermesserscharf schleifen. "Nooooo!", widerspricht ein weiblicher Fan: "Nehmt ihn aus den blöden Werbungen raus, aber lasst ihn weiter auf Sendung. Er ist so ein entzückendes kleines Kerlchen!" - "Ich glaube, das ist Teil des Problems", knurrt ein männlicher Chatter darauf zurück.

"Im Grunde bin ich langweilig."

Am Tag des Treffens im "Fifteen" hatte der Daily Mirror eine garstige Geschichte über Jamie Oliver im Blatt. Mit einer Wagenladung frischem Lachs hatte ein Reporter des Blattes mehrere englische Spitzenlokale angefahren und die Ware schwarz und ohne Papiere angeboten. Der einzige Laden, der zugriff, war Jamies Fifteen. "Eine Null-Geschichte", zischt Jamie durch die Zähne. "Ich weiß, wie frischer Fisch aussieht, auch ohne Papiere." Was seinen emsigen Pressechef nicht davon abhielt zu erklären, die Fische seien nur zu Übungszwecken für die Lehrlinge erworben worden.

"Sie würden mich am liebsten bei einer Party auf der Toilette erwischen, wie ich mir gerade eine Linie Koks reinziehe", sagt Jamie über die Jagd, der er sich ausgesetzt sieht. "Aber da haben sie Pech: Im Grunde bin ich langweilig." Eine Frau, zwei Kinder, keine Affären.

Manche britische Zeitung sieht auch in Olivers Initiative für gestrauchelte Jugendliche einen Marketing-Gag. Das "Fifteen" heißt so, weil dort ursprünglich 15 junge Leute zwischen 16 und 24 mehr oder weniger von den Straßen Londons aufgesammelt wurden und Jamies Begeisterung für die Küche und das Kochen bei sich selbst entdeckten. Der 20-jährige Dennis Duncanson ist einer davon, und an seinem Gesicht ist abzulesen, dass er ungesündere Lebensphasen hinter sich hat. Er habe mit den falschen Leuten herumgehangen, sagt er vage und erzählt dann lieber, wie er im "Fifteen" Feuer gefangen hat: Die Ausflüge in einen Schlachthof, wo die Eleven des Meisters erleben, wie eine Kuh in ihre Einzelteile zerlegt wird, der Ausflug in die Toskana, um dem besten Olivenöl auf die Spur zu kommen. "Hier zu arbeiten, das gibt dir einen Kick", sagt Dennis. "Alle wissen, du bist ein Schüler von Jamie. Ich werde 110 Prozent geben, um seinen Namen weiter strahlen zu lassen."

Dafür sorgt auch die Entourage von Jamie Oliver, die ihr Produkt effektvoll vermarktet. Ob Dennis die Geschichte von seinem Prozess erzählt habe, fragt der Medienmanager nach dem Gespräch. Nein? Also, Dennis habe ein Problem mit der Polizei gehabt, sagt er. Jamie sei im Gerichtssaal aufgetreten und habe dem Richter dargelegt, dass Dennis wieder verloren wäre, wenn er jetzt verurteilt würde. "Der Richter hatte ein Einsehen", sagt der Manager. Und prüft mit einem Blick, ob seine Geschichte auch die gewünschte Wirkung erzielt hat.

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