Kriminalität:Nachts lauert im Berliner Tiergarten die Gefahr

Uebersicht von Berlin aufgenommen von der Siegessaeule Berlin 07 10 2017 Berlin Deutschland ***

Blick von der Siegessäule über den Berliner Tiergarten in Richtung Regierungsviertel

(Foto: imago/photothek)

Das Naherholungsgebiet ist nur tagsüber einladend: Der Bezirksbürgermeister sagt, es sei "völlig außer Kontrolle". Im September geschah hier ein grausamer Mord.

Von Verena Mayer, Berlin

Auf der Wiese neben dem Weg liegen noch immer Blumen und Kerzen. Sie erinnern an Susanne F., die hier Anfang September getötet wurde. Die Kunsthistorikerin war gerade auf dem Weg zur S-Bahn, als sie überfallen und erwürgt wurde, man fand ihre Leiche Tage später im Gebüsch. Der mutmaßliche Täter: ein 18-Jähriger aus Russland, der ein Handy rauben wollte. Er setzte sich nach der Tat nach Polen ab, die Polizei konnte ihn orten, als er Susanne F.s Handy in Betrieb nehmen wollte. Der Mann soll demnächst nach Deutschland ausgeliefert werden.

"Sich an dich zu erinnern bleibt uns", steht auf einem der vielen Briefe und Zettel, die Menschen am Tatort niedergelegt haben. Sonst bleiben vor allem Fragen. Warum Susanne F. sterben musste, an einem belebten und beleuchteten Weg im Berliner Tiergarten - der S-Bahnhof Zoologischer Garten und ein Polizeiabschnitt sind nur wenige hundert Meter entfernt. Und ihr Tod hat die Aufmerksamkeit auf die Zustände in Berlins wichtigstem Naherholungsgebiet gelenkt, den Tiergarten.

Viele kommen hierher, um zu dealen oder sich für 20 Euro zu prostituieren

210 Hektar, Wiesen, Alleen, Rosengärten, überwucherte kleine Seen. Der Tiergarten kann aussehen wie ein Wald oder wie eine tropische Gewässerlandschaft, und irgendwo blitzt am Himmel über Berlin die goldene Figur der Siegessäule hervor. Rundherum Botschaften, das Schloss Bellevue und das Regierungsviertel, dazwischen Spielplätze, Statuen preußischer Königinnen, Ausflugscafés. Ein Schild weist darauf hin, dass hier Sumpfkrebse leben, auf einem Kanal liegen Hausboote. Mit einem Wort: Idyllischer geht es kaum.

Doch der Tiergarten hat auch eine dunkle Seite. Nachts traf man sich hier immer schon zum schnellen Sex, die Prostitution gehörte zum Tiergarten wie die Grillabende im Sommer, weshalb der Tiergarten den Ruf bekam, eine Art Reeperbahn Berlins zu sein. Richtig harmlos war der Park vor allem nachts noch nie, es gab Überfälle und Gewalt. Und doch hat sich in den vergangenen Jahren etwas verändert. Wenn man morgens mit dem Rad durchfährt, fallen einem erst einmal die vielen Zelte und Schlafsäcke zwischen den Bäumen auf. Überall werden dann Decken eingerollt, in den Büschen ziehen sich Leute an oder verrichten hastig ihre Notdurft - der Tiergarten ist zu einem Nachtlager geworden.

Obdachlose im Tiergarten

Der Bezirksbürgermeister sagt, der Tiergarten sei "völlig außer Kontrolle". Nachts ist er zu einem Lager für Obdachlose und Gelegenheitskriminelle geworden.

(Foto: Paul Zinken/dpa)

Die Leute, die hier kampieren, kommen aus Süd- und Osteuropa, die meisten sind Männer. Manche jobben irgendwo illegal am Bau, andere sind irgendwann im Tiergarten hängen geblieben. Viele kommen hierher, um zu dealen oder sich für 20 Euro die Stunde zu prostituieren, unter ihnen junge Männer aus Rumänien oder Flüchtlinge, die keine andere Möglichkeit sehen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. An einer Mauer reiht sich Zelt an Zelt, man sieht Taschen, Decken, Müll und jede Menge Bierflaschen, dahinter rauscht alle paar Minuten eine S-Bahn vorbei. Sprechen wollen die Bewohner nicht, die meisten können auch kaum Deutsch. Auch der 18-jährige Russe, der Susanne F. ermordet haben soll, hat wohl im Tiergarten Unterschlupf gefunden.

Der Wirt vom Schleusenkrug gibt seinen Gästen Taxi-Gutscheine

Mitten drin liegt der Schleusenkrug. Ein Lokal mit Biergarten, in das Touristen, Büromenschen und Ausflügler kommen. Susanne F. war am Abend ihres Todes hier. Die 60-Jährige, die zwei Schlösser in Berlin verwaltete, traf Freundinnen. Als sie sich auf den Heimweg durch den Tiergarten machte, war es noch hell, ihre Freundinnen sahen sie noch das kurze Stück zur S-Bahn entlanglaufen.

An einem Tisch unter den Bäumen sitzt an diesem milden Oktobermorgen nun Udo Rehm, einer der drei Betreiber des Schleusenkrugs. Seit zwanzig Jahren arbeitet er im Tiergarten, und er hat einiges mitbekommen. Den Männerstrich und die Junkies vom Bahnhof Zoo, einmal hat er einen Toten gefunden, "man neigt zum Verdrängen". Aber in letzter Zeit häuften sich Prügeleien und Angriffe im Tiergarten. Rehm lässt seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen daher nur mehr zu zweit nach Hause gehen, seinen Gästen gibt er Taxi-Gutscheine oder lässt sie vom Personal zum Ausgang des Parks begleiten.

Inzwischen hat das Thema die Politik auf den Plan gerufen, genauer gesagt den zuständigen grünen Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel. Seine Mitarbeiter seien mit der Situation überfordert, der Tiergarten sei "völlig außer Kontrolle", sagte er und machte mit der Aussage von sich reden, es solle kein Tabu sein, "aggressive Obdachlose abzuschieben". Das allerdings dürfte schwierig sein, denn die meisten Leute, die im Tiergarten nächtigen, kommen aus EU-Ländern. Derzeit wird eine Taskforce aus Polizei und Mitarbeitern des Bezirks gebildet, die im Tiergarten zumindest Präsenz zeigen soll.

Am Schleusenweg ist gerade ein Polizeibeamter unterwegs. Er arbeitet seit dreißig Jahren in einem nahe gelegenen Abschnitt. Alle paar Wochen geht er mit Streetworkern durch den Tiergarten und lässt die Zelte abräumen, doch wenige Stunden später sei alles wieder wie zuvor, erzählt er. Und immer öfter erlebe er Aggression und Gewalt, weil viele Männer unter Drogen stehen oder schwer alkoholisiert sind. Das Problem seien nicht die klassischen Obdachlosen, "mit denen kann man reden, und die packen dann ihr Zeug". Sondern all die Hoffnungslosen, die hier irgendwann stranden, "weil es ihnen in einem Zelt im Tiergarten noch immer besser geht als daheim".

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