Kriminalität:Mafia ist überall

Kriminalität: Vincenzo Iaquinta, 36, Fußball-Weltmeister mit Italien 2006, ist einer der Angeklagten. Bis zu seinem Karriereende 2013 stürmte er für Juventus Turin.

Vincenzo Iaquinta, 36, Fußball-Weltmeister mit Italien 2006, ist einer der Angeklagten. Bis zu seinem Karriereende 2013 stürmte er für Juventus Turin.

(Foto: Imago)

In Bologna beginnt ein Prozess gegen die 'Ndrangheta, den der Antimafia-Staatsanwalt als "historisch" einstuft. Angeklagt sind 130 Personen.

Analyse von Stefan Ulrich

Die Emilia-Romagna mit ihrer Hauptstadt Bologna genießt einen exzellenten Ruf in Italien. Sie gehört zu den reichsten Regionen des Landes, beheimatet Firmen wie Ferrari, Lamborghini oder Maserati und exportiert Parma-Schinken und Barilla-Nudeln in die ganze Welt. Ihre Unternehmer, Politiker und Verwaltungsbeamte gelten als fähig und verantwortungsbewusst, ihre Bürger als umgänglich und weltoffen. So war das zumindest mal.

Die schlimmsten Befürchtungen übertroffen

Die Nationale Antimafia-Staatsanwaltschaft (DNA) in Rom schreibt in ihrem Jahresbericht, die Region sei zur "Terra di mafia" verkommen. Zum Mafia-Land. Um die These zu untermauern, verweist die DNA auf eine Großermittlung namens "Operation Aemilia": Deren Ergebnisse hätten die schlimmsten Befürchtungen übertroffen.

Die aus der Südregion Kalabrien stammende 'Ndrangheta, die mächtigste Mafia Italiens, habe die Wirtschaft, die Politik und einige Institutionen der Emilia-Romagna durchsetzt. Auch Journalisten und Polizeibeamte hätten sich an die 'Ndrangheta verkauft. Und von diesem Mittwoch an wollen die Staatsanwälte dieses für viele Bürger schockierende Szenario beweisen.

In einem eigens für den Aemilia-Prozess erbauten Hochsicherheits-Gerichtssaal in der Stadt Reggio Emilia müssen sich 130 Angeklagte - darunter auch der frühere italienische Nationalspieler und Fußballweltmeister von 2006 Vincenzo Iaquinta - wegen 'Ndrangheta-Verbrechen verantworten. Die Ermittler werfen ihnen Delikte wie die Mitgliedschaft in einer Mafia-Vereinigung, versuchten Mord, Brandstiftung, Erpressung, Geldwäsche, Betrug und Wahlfälschung vor. Angeklagt ist auch Nicolino Grande Aracri, der - bereits wegen anderer Delikte in Isolationshaft sitzende - Anführer eines mächtigen 'Ndrangheta-Clans aus dem kalabrischen Ort Cutro. Aracri gilt als einer der blutrünstigsten Bosse Kalabriens.

Maxi-Prozess mit "historischer Bedeutung"

In dem Prozess werden bis zu tausend Zeugen erwartet. Die Verhandlungen sind bis in den Dezember hinein angesetzt. Zugleich wird in Bologna in einem abgekürzten Verfahren, auf das sich die Angeklagten und die Staatsanwälte geeinigt haben, gegen weitere 71 Verdächtige im Fall Aemilia verhandelt.

Der so genannte Maxi-Prozess in Reggio Emilia habe "historische Bedeutung", sagt der oberste italienische Antimafia-Staatsanwalt Franco Roberti. Zum einen, weil er zeige, dass der Staat die Organisierte Kriminalität besiegen könne, wenn er wolle. Zum anderen, weil er den Norditalienern die Augen öffne, dass die süditalienischen Mafien - die 'Ndrangheta, die Camorra und die Cosa Nostra - längst bei ihnen angekommen sind. "Der Prozess beweist, dass es keine per se gesunden Teile der Gesellschaft gibt. Wir müssen stets prüfen, wer gegen und wer für die Mafien ist. Manchmal gibt es da Überraschungen."

Eine solche Überraschung erlebte Italien am 28. Januar vergangenen Jahres, als die "Operation Aemilia" zuschlug. Hunderte Carabinieri, unterstützt von Hubschrauberstaffeln, durchsuchten im ganzen Land Immobilien mutmaßlicher Mafiosi. Allein in der Emilia-Romagna wurden 110 Menschen festgenommen, darunter Politiker, Beamte und Journalisten. Der Schlag galt dem Clan der Grande Aracri, der in Cutro seinen Hauptsitz hat, aber auch an vielen Orten außerhalb Kalabriens aktiv sein soll, so auch in Deutschland. Bei den Ermittlungen kam heraus, dass der 'Ndrangheta-Clan in der Emilia-Romagna einen mächtigen Ableger aufgebaut hat und dort in etlichen Gemeinden präsent ist, zum Beispiel in Reggio Emilia, Parma oder Brescello, dem Schauplatz der Filme über Don Camillo und Peppone.

'Ndrangheta soll schon seit Jahrzehnten ihr Unwesen treiben

In dem Prozess will die Staatsanwaltschaft aufzeigen, dass die 'Ndrangheta schon seit Jahrzehnten in der Emilia-Romagna ihr Unwesen treibt. Laut den Ermittlern hat sie dort ihr Geld aus dem Drogen- und Waffenhandel gewaschen, indem sie es zum Beispiel in Baufirmen investierte. Gerade in diesen Krisenzeiten gelang es der 'Ndrangheta mit ihren nahezu unerschöpflichen Geldreserven leicht, Unternehmer von sich abhängig zu machen, Beamte zu bestechen und öffentliche Aufträge abzugreifen, etwa die Aufbauarbeiten nach einem Erdbeben. Den Staatsanwälten fiel zum Beispiel auf, dass eine Baufirma auffällig viele Aufträge von der Gemeinde Finale Emilia bekam. Einer der Unternehmer, Giuseppe Iaquinta, kommt jetzt vor Gericht, zusammen mit seinem Sohn Vincenzo, dem Fußballstar.

Doch wie konnte die 'Ndrangheta aus ihren ärmlichen Dörfern in Kalabrien heraus, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, Teile des reichen Norditaliens erobern? Die italienische Abgeordnete und Antimafia-Kämpferin Laura Garavini sagt, der Staat selbst habe die Mafia in den Norden gebracht. Die Justiz habe früher Mafiosi aus dem Süden in die Regionen des Nordens verbannt, um sie zu entwurzeln. Dort hätten die Verbrecher dann Wurzeln geschlagen und Außenstellen der kalabrischen Clans gegründet. Ihre ersten Opfer: Gastarbeiter aus Kalabrien. Doch auch viele alteingesessene Unternehmer hätten kaum Widerstand geleistet, weil sie die 'Ndrangheta nicht als Problem, sondern als Lösung angesehen hätten. Ein Beispiel? "Die illegale Müllentsorgung."

In kleinen Gemeinden treten sie als Wohltäter auf

"Die 'Ndrangheta-Leute gehen oft in kleine Gemeinden, wo sie als Wohltäter angesehen werden", sagt der nationale Antimafia-Staatsanwalt Roberti. "Denn sie bringen Arbeit und Geld. Oft werden sie erst als Mafiosi erkannt, wenn sie schon akzeptiert sind, wie in der Provinz Reggio Emilia." Roberti, der Chef der DNA, residiert in einem Barockpalast in der Via Giulia in Rom. Sein Gesicht verfinstert sich, als er sagt, die Emilia-Romagna sei kein Sonderfall. Auch in Regionen wie der Lombardei und dem Piemont habe sich die 'Ndrangheta breit gemacht.

Und auch in Deutschland. "Viele Deutsche glauben, die Mafia existiere bei ihnen nicht, und wenn doch, dann wird sie eher folkloristisch gesehen", sagt der Staatsanwalt. "Doch sie macht ihre Geschäfte, manipuliert und verändert den Markt." Laura Garavini ergänzt: "Die 'Ndrangheta ist eine Gefahr für die legale Wirtschaft und sogar für die Demokratie."

Demonstriert wird das nun im Justizpalast von Reggio Emilia. Womöglich rüttelt der Prozess ja nicht nur die Italiener auf.

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