Kriminalität:Ein Spinnennetz gegen Einbrecher: Wie die Freiburger Polizei organisierte Banden austrickst

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Für Opfer von Einbrüchen ist der seelische Schaden oft größer als der materielle. (Foto: imago/Westend61)

Mit Hilfe einer neuen Einheit ist die Zahl der Wohnungseinbrüche in Freiburg und Südbaden um ein Viertel gesunken - dabei machten Einbrecher in der Gegend lange Zeit besonders fette Beute.

Von Joachim Käppner, Freiburg

Die Einbrecher kamen in der Nacht, das Gebäude an der Freiburger Heinrich-von-Stephan-Straße lag im Dunkeln. Sie gingen, wie man so sagt, mit erheblicher krimineller Energie vor und scheiterten doch. Die schwere Stahltür an der Rückseite des Hauses widersetzte sich allen Versuchen, sie gewaltsam aufzuhebeln. Schließlich gaben die Täter, wenn es denn mehrere waren, auf und verschwanden. Erst am Morgen um 7.30 Uhr entdeckten Polizisten die Spuren des versuchten Einbruchs.

Immerhin, weit hatten sie es nicht: Das Gebäude beherbergt unter anderem das Polizeirevier Freiburg-Süd.

Vielleicht war es ein närrischer Streich von Jugendlichen, vielleicht hofften die Täter, etwas aus der Asservatenkammer zu holen oder eine Schusswaffe zu erbeuten. Der Fall mag ein Kuriosum sein, aber er liegt im Trend der Polizeilichen Kriminalstatistik, die jüngste wurde vor einigen Tagen erst vorgestellt: Die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland ist 2015 auf dem höchsten Stand seit fast zwei Jahrzehnten - mit 167 136 Fällen bundesweit. Und die meisten blieben, wie dieser auch, bislang unaufgeklärt.

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Freiburg und Südbaden bilden eine mit Schönheit und Wohlstand gesegnete Region im Dreiländereck zur Schweiz und Frankreich. Über das Markgräfler Land im Süden der Stadt schrieb der Dichter Christoph Meckel: "Nichts außer dem Meer wird hier vermisst, und das Vorhandene ist in Fülle da."

Leider sehen das auch die Einbrecher so. Schon 2014, sagt der Erste Kriminalhauptkommissar Reiner Thoma, "hatten wir so wahnsinnig hohe Zahlen, dass etwas geschehen musste". Insgesamt verzeichnete das Polizeipräsidium für Freiburg und Umgebung 1647 "Brüche". Aufgeklärt wurden nur 241. Und dabei sind geknackte Kellerabteile und Dachböden gar nicht mitgezählt. Zum Vergleich: 2007 notierte die Polizei 731 Einbrüche.

Polizeideutsch für "mehr Effizienz"

2014 schuf das Freiburger Polizeipräsidium daher eine Schwerpunkteinheit, die Reiner Thoma leitet, die BAO WED, im Polizeideutsch "Besondere Aufbauorganisation Wohnungseinbruchdiebstahl". 40 Beamte sind dabei, auf jedem Revier sowie innerhalb der Kriminalpolizei einige. Was technisch klingt, bedeutet mehr Effizienz, und diese Steigerung spiegelt die Zunahme der Delikte wider.

"Vereinfacht gesagt", so Thoma, "wurden früher viele Einbrüche von der jeweils zuständigen Dienststelle abgearbeitet." Jetzt ist das anders, man könnte fast sagen: Wenn die Täter immer organisierter vorgehen, muss die Polizei das auch tun. Die BAO hält Fallkonferenzen ab und arbeitet elektronisch vernetzt, sie prüft Einbrüche auf Übereinstimmung; jeder einzelne Bruch wird kriminaltechnisch aufgearbeitet, auch das war bislang nicht selbstverständlich. Sie webt, wie es Polizeipräsident Bernhard Rotzinger ausdrückt, "ein Spinnennetz", in dem sich möglichst viele Einbrecher fangen sollen.

So gelang es, eine ganze Serie bei Weil am Rhein zu beenden, gut 20 Beamte liefen Streife und zeigten rund um die Uhr Präsenz. Das kostet Zeit und Personal und wäre ohne Hilfe der Bereitschaftspolizei unmöglich gewesen.

Nachhaltiger noch war die Festnahme einer georgischen Bande, die vom Asylbewerberheim der Schwarzwaldgemeinde Kirchzarten aus operierte. Hier gewannen die Fahnder tiefere Einblicke in die Struktur internationaler Banden, wie Martin Rombach schildert, Schwerpunktsachbearbeiter und Koordinator für das Polizeirevier Freiburg-Nord: "Da gibt es klare Ränge und Hierarchien."

Das Fußvolk spähte die Objekte aus, andere brachen ein, und ein von der Bande "Statthalter" genannter Hintermann schickte das Diebesgut per Post nach Georgien, wo die Köpfe der Bande sitzen. Es gab Festnahmen und sogar Verurteilungen. Auch eine bulgarische Bande enttarnten die Fahnder der BAO.

Aufwachsen im kriminellen Milieu

Wo kommen die Täter her? Das ist eine politisch heikle Frage, auch im weltoffenen Milieu Freiburgs, wo manche sich scheuen, die Nationalitäten der Täter zu nennen. Bundesweit ist, zumindest in der Kriminalstatistik, jeder dritte Einbruch von einem Ausländer begangen worden, wobei die Massenimmigration der Flüchtlinge nach Beobachtungen der Polizei den Anteil kaum erhöht hat. Es sind also nicht die Flüchtlinge, sondern vor allem hochorganisierte Banden aus Osteuropa, speziell aus den neuen EU-Staaten Bulgarien und Rumänien, die den Fahndern die Arbeit machen. Das reiche Westeuropa mit seinen offenen Grenzen ist ein lockendes Ziel.

Rombach hat durch Einblicke bei der rumänischen Kripo gelernt, "dass Armut allein nur zum Teil ein Motiv für die Taten ist. Da sind manchmal Leute dabei, vor allem Jugendliche, die im kriminellen Milieu aufgewachsen sind und einem schon leid tun. Andererseits lassen sich die Bosse solcher Gruppierungen mit Limousine und Bodyguards durch Bukarest fahren."

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Austausch über die Grenze

Ein Teil der Täter aus diesen Ländern sind Sinti und Roma und operieren aus Frankreich. Aus dem Raum Straßburg und Mülhausen fahren Trupps nach Freiburg und verschwinden schnell wieder. Die BAO pflegt daher einen intensiven Austausch mit den französischen Kollegen, auch das gab es in dieser Form früher nicht.

"Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass der klassische deutsche Einbrecher keine Rolle mehr spielt", sagt Thoma, "im Gegenteil." Drogenabhängige aus der Region bilden nach wie vor einen Teil der Klientel, dann Berufskriminelle, die mit Einbrüchen relativ risikolos an schnelles Geld kommen. Und solange es soziale Not gibt, wird es auch Einbrüche geben.

Die Fahnder sind überzeugt: Die neue Strategie hilft. Allein in der Stadt Freiburg gab es 2015 fast 19 Prozent weniger Einbrüche in Wohnungen als im Vorjahr, 395 statt 487. Im gesamten Zuständigkeitsbereich des Präsidiums - er erstreckt sich bis zur Schweizer Grenze - sank die Zahl der Einbrüche um 406 Fälle, fast um ein Viertel verglichen mit 2014.

Manchmal helfen der Zufall oder die Unbeholfenheit einiger Täter. Wie in jenem Fall, als die Einbrecher mit einem gestohlenen Smartphone Selfies in ihrer Garage machten, in der sie die gestohlenen Dinge gestapelt hatten.

Doch was aus Sicht der Freiburger Polizei ein unbestreitbarer Fortschritt ist, bleibt insgesamt nur ein kleiner Schritt nach vorn. Einbruch ist eines der ganz wenigen Kriminalitätsfelder, für die wirklich zutrifft, was viele Menschen vom Verbrechen insgesamt zu wissen glauben: Es wird immer schlimmer. Und der Polizei fehlt bundesweit und auch in Freiburg ausreichend Personal, um mehr Fälle aufzuklären. Großeinsätze wie in Weil und aufwendige Fahndungen wie im Fall der Georgier fressen enorme Ressourcen.

Schlimmer als der Wertverlust: das Trauma

Für Opfer von Einbrüchen ist der seelische Schaden oft größer als der materielle. Im Frühjahr 2015 stiegen Einbrecher ins Haus eines wohlhabenden Unternehmerpaares der Freiburger Region ein; sie nahmen Geld, Wertgegenstände und Schmuck mit, der Schaden lag im sechsstelligen Bereich.

Aber nicht das war es, was vor allem bei der Frau ein regelrechtes Trauma auslöste, wie Rombach beobachtete, der den Kontakt hielt: "Da ging es nicht um Geld und Gegenwert, sondern darum, dass jemand dort eingedrungen war, wo man sich eigentlich am sichersten fühlte: zu Hause."

Gewalttaten sind selten

Viele Menschen fürchten sich vor Einbrechern - und lassen Fenster und Türen dennoch sträflich ungesichert. Der schnelle Einstieg durch ein aufgehebeltes Fenster ist noch heute das übliche Vorgehen. "Je länger die Täter sich draußen vor dem Objekt aufhalten müssen, desto unbehaglicher wird ihnen", sagt Rombach, "und im Zweifel versuchen sie es lieber anderswo."

Auffallend ist auch, wie die Experten der BAO beobachtet haben, "dass Einbrüche fast nie mit Gewalttaten verbunden waren. Der normale Einbrecher will immer lieber flüchten." Nur einmal in den letzten Jahren wurde in Region ein Hausbewohner verletzt, der vom Lärm wach wurde und den Einbrecher festhalten wollte.

Morgens, wenn Thoma das Büro betritt, liest er als erstes den Bericht, wie viele Einbrüche im Bereich des Präsidiums es in der Nacht gegeben hat. Am schlimmsten Tag der letzten beiden Jahre waren es mehr als 50. Aber an diesem Morgen Ende Mai stehen nur zwei auf der Liste.

© SZ vom 31.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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