Kriminalität:Das Unrecht des Patriarchen

Erneut ist in Italien eine Frau von ihrem Ex-Liebhaber ermordet worden - nun soll das Thema Femizid im Parlament besprochen werden.

Von Oliver Meiler, Rom

Vania Vannucchi hatte vorgehabt, ihren Peiniger anzuzeigen - bald. Ihre Telefonnummer hatte sie schon geändert, der Gang zur Polizei wäre der nächste Schritt gewesen. Nun ist sie tot. Ihr früherer Liebhaber hat sie in einen Hinterhalt gelockt, mit Benzin überschüttet und angezündet. Eine Nacht überlebte sie im Krankenhaus von Pisa, wo sie als Krankenschwester gearbeitet hatte. Sie schaffte es gerade noch, den Namen ihres Mörders auszusprechen. 97 Prozent ihres Körpers waren verbrannt. Die Lage war aussichtslos.

Das Porträt von Vania Vannucchi prangt nun in einer Galerie von Fotos getöteter Frauen, die Italiens Zeitungen in diesen Tagen publizieren. 76 Frauen sind in den ersten sieben Monaten dieses Jahres in Italien umgebracht worden, weil ihre Ehemänner, Geliebten oder Ex-Partner es nicht ertragen konnten, dass sie ihr eigenes Leben leben wollten, eine eigene Meinung hatten, einen eigenen Kopf. Der Fachbegriff lautet Femizid, Frauentötung. Es gibt sie bis heute, auch im aufgeklärten Westen.

Der Fall von Vania Vannucchi und ihrem Mörder Pasquale Russo ist in seiner ganzen Tragik so erschütternd und exemplarisch, dass sich auch die Politik bewegt. Die beiden 46-Jährigen aus Lucca in der Toskana kannten sich schon lange, hatten auch schon einmal zusammen gearbeitet, als sie sich im vergangenen Januar ineinander verliebten und eine Affäre begannen. Vannucchi lebte getrennt, mit zwei Kindern. Russo war verheiratet, drei Kinder. Als nach einigen Monaten klar wurde, dass der Mann seine Familie nicht verlassen würde, beendete die Frau die Liebschaft.

Doch das mochte der verlassene Mann nicht akzeptieren und stellte ihr nach. Bald war es so schlimm, dass sie ständig dachte, er stehe hinter ihr. Einer Freundin schrieb sie: "Ich halte es nicht mehr aus, heute stand er plötzlich in meiner Wohnung." Ihr Umfeld forderte sie auf, den Mann endlich anzuzeigen. Bald, sagte sie jeweils. Wahrscheinlich dachte Vania Vannucchi, sie könnte ihn zur Räson bringen. Dramatischerweise denken viele Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt so und verzichten auf Hilfe und Schutz.

In den vergangenen zehn Jahren gab es in Italien 1747 Femizide. Die Zahl ist im europäischen Vergleich nicht einmal besonders hoch. Doch in Italien wird das anderswo tabuisierte Thema seit einigen Jahren offen debattiert. Vor zwei Jahren wurden auch die Strafen für die Täter verschärft. Früher, erinnert die Zeitung La Repubblica, konnten mordende Ehemänner in Italien mit milden Strafen rechnen, weil die Gesellschaft toleriert habe, dass der Patriarch über den Körper der Frau verfüge. Nach der jüngsten Serie von Frauenmorden soll im italienischen Parlament nun eine Taskforce eingesetzt werden, die sich der Problematik neu annimmt. Aus der Regierung hieß es, das Thema sei "prioritär". Da aber gerade der Sommerurlaub begonnen hat, muss die Priorität zunächst bis Mitte September warten.

In den Hilfszentren überall im Land, in denen bedrohte und misshandelte Frauen betreut werden, zweifelt man ohnehin an den politischen Versprechen. "Das sind nur Spots", sagt Titti Carrano, die Präsidentin des Netzwerks "Dire", zu dem 70 Frauenhäuser gehören. Seit zwei Jahren warten sie bei "Dire" nun schon darauf, dass der Staat die versprochenen Hilfsgelder auszahlt. Mittlerweile stehen viele Zufluchtsstätten wegen ihrer Finanznot kurz vor der Schließung.

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