Kriminalfall in der Schweiz:Der rätselhafte Fall des Ignaz Walker

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Weil er einen Killer auf seine Frau angesetzt haben soll, wird Nachtclub-Besitzer Walker in der Schweiz zu 15 Jahren Haft verurteilt. Doch jetzt gibt es Zweifel: Ein Belastungszeuge soll sturzbetrunken gewesen sein. Die Tatwaffe war angeblich eine frisierte Schreckschusspistole.

Von Charlotte Theile

Als Ignaz Walker, Nachtclub-Besitzer aus dem zentralschweizerischen Kanton Uri, im September 2013 zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, interessierten seine Beteuerungen, er sei unschuldig, kaum. Die Sympathie mit einem Straftäter ist ohnehin gering, mit einem Straftäter aus dem Rotlichtmilieu erst recht.

Walker wurde unter anderem vorgeworfen, einen Auftragskiller auf seine damalige Ehefrau angesetzt zu haben. Der soll dann mit der gleichen Waffe geschossen haben, mit der Walker einige Monate zuvor auf einen Gast seiner Striptease-Bar gefeuert haben soll. Eine umgebaute Schreckschusswaffe, die als "Pistole ganz sicher von sehr schlechter Qualität ist", wie es Walkers Verteidiger Linus Jaeggi ausdrückt.

"Dass man eine solche Waffe, die bereits in einem anderen Delikt registriert wurde, einem Auftragsmörder in die Hand drückt, ist sehr unwahrscheinlich", ergänzt der Anwalt. Zumal: In der Schweiz ist es recht einfach, eine Waffe zu kaufen. Zweimal die gleiche, selbst umgebastelte Schreckschusspistole zu verwenden, würde wohl kaum jemandem einfallen.

Mehr als ein Jahr später kommen die Zweifel am Urteil

Trotzdem wurde Walker verurteilt. Erst jetzt, mehr als ein Jahr später, werden Zweifel laut, ob die Geschichte stimmt - und ob mit Ignaz Walker wirklich der Schuldige im Gefängnis sitzt. Aber der Reihe nach.

Der Polizist, der wegen versuchten Mordes gegen Walker ermittelte, kannte den Nachtclub-Besitzer seit Langem. 2006 war er mit Kollegen in dessen Striptease-Bar "Cabaret Taverne" zu Gast, Walker rief wenig später die Polizei: Die Gäste seien betrunken auf ihn losgegangen.

Die Geschichte sorgte für Schlagzeilen. Polizisten, die betrunken und randalierend von ihren Kollegen abgeholt werden müssen - das Motiv wurde sogar bei der Fasnacht aufgegriffen. In einem Kanton wie Uri, wo kaum mehr als 35 000 Menschen leben, entfaltet eine solche Geschichte besondere Wucht.

Als im Januar 2010 vor der Bar von Ignaz Walker auf einen holländischen Gast geschossen wurde, gab dieser bei der Polizei an, es sei Walker selbst gewesen. Im November 2010 wurde erneut geschossen: Walkers Ehefrau wurde in den Rücken getroffen, noch aus dem Krankenhaus beschuldigte sie in einer Boulevard-Zeitung ihren Noch-Ehemann.

Für die Polizei schien es ein klarer Fall

Kurz darauf stellte ein Polizeibeamter aus dem Kanton dann Walkers DNA auf einer der abgefeuerten Patronenhülsen fest. Damit schien der Fall klar: Walker hatte dem Mann, bei dem die Waffe gefunden wurde, Auftrag und Munition gegeben, um seine Frau zu töten.

Von den 160 Polizisten, die im Kanton Uri im Einsatz sind - ein Drittel davon Autobahnpolizisten - übernahm genau derjenige den Fall, der 2006 in Walkers Bar Streit mit ihm gehabt hatte. Ein Verfahrensfehler, wie der Schweizer Strafrechtsprofessor Christof Riedo nun öffentlich bemängelte: "Der Beamte hatte eine Vorgeschichte mit Walker und hätte abgezogen werden müssen."

Doch der Polizist ermittelte weiter. Und er hatte erstaunlichen Erfolg: Mit einem Wattestäbchen konnte er die DNA Walkers auf der Patronenhülse sicherstellen. Ein Hauptindiz im Prozess - und ein schwerer Schlag für die Verteidigung des Angeklagten.

"Dieses Ergebnis kommt für Experten einer forensischen Sensation gleich", sagt Roman Banholzer heute. Der Redakteur beim Schweizer Fernsehen SRF hat sich intensiv mit dem Fall auseinandergesetzt, Nachforschungen bei Forensikern angestellt. Kürzlich wurde sein Film zum Thema ausgestrahlt.

Das Forensische Institut Zürich stellte in einem Gutachten an das zuständige Gericht im Kanton Uri fest: "Wir haben in schätzungsweise 20 bis 40 Fällen Sicherstellungen von allfälligen DNA-Spuren ab Hülsen vorgenommen, jedoch ohne je eine verwertbare DNA-Analyse zu erhalten."

Auch Experten aus den Niederlanden, mit denen Banholzer Kontakt hatte, haben DNA-Spuren von Patronenhülsen nur in sehr wenigen Fällen und mittels kompliziertester Technik sicherstellen können. Und nun: mit einem Wattestäbchen?

Eine weitere Auffälligkeit: Der Polizist schickte die sichergestellte DNA genau an dem Tag ins Labor, als Walker seine Probe abgegeben hatte - die Hülse lag zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Tage in Zürich.

Polizisten sollen Zeugen zur Aussage überredet haben

Auch sonst beanstandet Strafrechtsprofessor Riedo von der Universität Freiburg (Schweiz) einiges. Der Niederländer, auf den Walker im Januar 2010 geschossen haben soll, hatte bei der Vernehmung 2,58 Promille. Ignaz Walker sagt, der Mann habe sich später bei ihm für seine Aussage entschuldigt und beteuert, die Polizisten hätten ihn dazu überredet. Eine weitere Befragung des Zeugen fand nicht statt.

Riedo sagt, er habe auch deshalb das Gefühl, "dass Beweismittel gegen den Strich gebürstet wurden". Man spüre eine Grundtendenz, "mit dem Ziel, den Betreffenden schuldig zu sprechen".

Die ermittelnde Staatsanwaltschaft im Kanton Uri wollte sich zunächst nicht zum laufenden Verfahren äußern. Doch man darf annehmen, dass der Bericht bei den 35 000 Urnern, die zwischen Vierwaldstättersee und Gotthardpass wohnen, für Diskussionen gesorgt hat. Der Fall Walker war der größte Indizienprozess, der sich in den vergangenen Jahren in dem kleinen Kanton ereignet hat. Inzwischen kennt ihn die ganze Schweiz aus dem Fernsehen.

Die Fehler ließen "eine Systematik erkennen"

Strafrechtsprofessor Riedo glaubt, dass gerade die Kleinräumigkeit des Kantons ein Problem sein kann. Wenn man sich so gut kenne, einander duze und nah zusammenlebe, werde womöglich zu wenig kontrolliert. In diesem Fall genüge das Verfahren "nicht den rechtsstaatlichen Standards der Schweiz", die Fehler ließen "eine Systematik erkennen".

Walkers Anwalt Linus Jaeggi dagegen ist überzeugt, dass sein Mandant unschuldig ist, spricht von einem "Fehlurteil". Er fordert, dass der Fall noch einmal aufgerollt wird - und hat Beschwerde vor dem Schweizer Bundesgericht eingelegt.

Roman Banholzer vom SRF hat auf seinen Bericht etliche Reaktionen, auch aus dem Kanton Uri, bekommen. "Viele Menschen dort sagen nun: 'Gut, vielleicht ist da doch etwas schiefgelaufen.'"

Wann das Bundesgericht über den Fall entscheidet, ist noch unklar.

© SZ vom 15.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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