Kreativer Protest in Griechenland:Zu den Harken!

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In Athen protestierten sie am ersten Mai noch mit Fahnen, in Thessaloniki greifen Bürger auch zu den Harken. (Foto: REUTERS)

"Die einen buddeln hier aus purer Lust, die anderen, weil sie etwas zu essen brauchen": Die Krise in Griechenland macht erfinderisch. In Thessaloniki besetzen Bürger eine leer stehende Kaserne, pflanzen Gemüse - und kämpfen gegen Armee und Privatisierungsbehörde.

Von Christiane Schlötzer, Thessaloniki

Das Tor steht weit offen, bei Kasernen sonst nicht üblich. Schlagbaum und Wachsoldaten fehlen. Stattdessen gibt es gleich am Eingang eine Infotafel über Wildvögel, Eichelhäher, Fink und Turteltaube. Wer sich in die Karatasiou-Kaserne wagt, kann dort Nikos Tsiurvas treffen. Der trägt ausgebeulte Jeans und eine Schirmmütze, das ist seine Uniform. Der Grieche beugt den Rücken und harkt den Kasernengrund. Nikos ist ein Pionier, aber nicht im militärischen Sinne.

Der 47-Jährige ist Kasernen-Besetzer. Er war einer der ersten Bürger, die das Armeegelände am Rand von Thessaloniki, Griechenlands zweitgrößter Stadt, eroberten. Nikos musste niemanden in die Flucht schlagen. Die Soldaten hatten den Stützpunkt aufgegeben. Ein fast 70 Hektar großes Gelände mit 28 Gebäuden, kilometerlangen geteerten Straßen, Sportplätzen, in bester Stadtrandlage.

Das ist viel Platz für Griechen, die sich aneignen wollen, was ihr Staat in Grund und Boden gewirtschaftet hat. Und die bereit sind, Steine wegzutragen und Gartenerde herbeizuschleppen. Nikos baut jetzt Paprika und Petersilie an. Wo früher Soldaten das Exerzieren übten, stehen Karotten in Reih und Glied. Nikos verlor in der griechischen Krise seinen Job, die Beete machen ihn nun glücklich. Er sagt: "Erst war es ein Experiment, nun ist es Teil meines Lebens. Dieser Garten hat meine ganze Stimmung verbessert."

Gärtner aus Lust - oder wegen des Hungers

Nikos Tsiurvas ist nicht allein. Inzwischen wollen so viele Bürger zwischen den bröckelnden Kasernengebäuden Tomaten pflanzen, dass Antonis Karagiorgas, der auch einer der ersten Guerilla-Gärtner von Karatasiou ist, Wartelisten führt. Der 62-Jährige mit dem grauen Vier-Tage-Bart ist im Hauptberuf Biochemie-Professor an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki - und nebenbei leidenschaftlicher Gärtner und Organisator von Bürgerbewegungen. "Die einen buddeln hier aus purer Lust, die anderen, weil sie etwas zu essen brauchen", sagt Karagiorgas. Er zeigt stolz auf seine selbst gezüchteten Stauden.

"Thessaloniki ist in Europa eine der Städte mit dem geringsten Grünflächenanteil: nur 2,3 Quadratmeter pro Bürger. In Washington haben sie sogar 27 Quadratmeter", sagt der Professor und erzählt, wie alles begann. Die leere Kaserne war umzäunt, aber nicht bewacht. "Wir waren erst nur 40 Leute. Jeder gab 20 Euro." Davon kauften sie Schaufeln und Rechen. 150 Euro kostete eine Bodenuntersuchung, für die sie Proben an ein US-Labor schickten. Das Ergebnis: keine Schwermetallbelastung. Dann mussten sie erst einmal roden. Das wilde Gras stand mannshoch, schließlich waren die Soldaten bereits 2004 abgerückt. "Wir holten einen Bauern mit einer Mähmaschine. Alles heimlich. Wir hatten Angst, die Polizei würde uns auf frischer Tat ertappen." Im Frühjahr 2011 zog dann die erste Kürbis-Kompanie ein. Nun sind sie im vierten Anbau-Jahr, rund 150 Familien, die ihre Parzellen auf sieben Gartenanlagen verteilt haben, damit sie einander nicht ins Gehege kommen.

Es könnte alles so friedlich sein, nach dem Pazifisten-Motto: Schwerter zu Pflugscharen und Schaufeln. Gäbe es da nicht die Armee und die griechische Privatisierungsbehörde. Letztere soll Staatsgrund meistbietend verkaufen. So verlangen es die Geldgeber des hoch verschuldeten Landes, die EU und der Internationale Währungsfonds. Die griechische Armee will das Gelände, das sie offenbar nicht braucht, nicht ganz aufgeben. Mehrmals waren schon Soldaten da, in Uniform, mit einem Jeep, begleitet von Polizisten. "Haut ab!", haben sie zu uns gesagt, erzählt der Anwalt der Initiative, Panajotis Longinidis, ein Mann mit schwarzem Rauschebart.

Die Armee befestigte ein Schild am Tor, das vor Gesetzesbrüchen warnte. "Sie wollten uns Angst machen", so Longinidis. Die Bürger haben die Tafel weggeräumt und stattdessen am Tor Transparente befestigt. Die erklären die Kaserne zum öffentlichen Park. Inzwischen haben sie auch einen Verein: "Perka" heißt er. Das ist eine Abkürzung für Periastikes Kalliergies, was man frei mit "Stadtrand-Gärtner" übersetzen könnte. Sie haben auch Regeln. Künstlicher Dünger ist tabu, mit Wasser wird gespart. Experten für biologischen Landbau kamen zur Beratung. Im alten Offizierskasino befindet sich nun eine Samenbank. Dort gibt es noch zwei offene Kamine, vor denen sich die höheren Dienstgrade wohl einst bei einem Drink entspannten.

In das Kasino wurde vor Kurzem zwei Mal eingebrochen. Möbel und Bücher wurden verbrannt. "Wir wissen nicht, wer das war", sagt Anwalt Longinidis. Bisweilen kommen auch Leute auf das Gelände, die nichts anbauen, sondern die prächtigen alten Bäume fällen wollen - um Brennholz zu gewinnen. Die Gärtner verjagen sie. So haben sie es auch mit den Junkies gemacht, die sich in den leeren Gebäuden eingerichtet hatten.

Die Gärten haben nun schlichte Zäune, aber die Gartentüren keine Schlösser. Karagiorgas sagt: "Wenn jemand Hunger hat und deshalb meinen Sellerie stiehlt, ist das in Ordnung." Was die Gärtner nicht selbst essen, das geben sie ohnehin weiter an Waisenhäuser und Obdachlose.

Einmal kam ein Deutscher und blieb wochenlang

"Der sah aus wie ein Heiliger." Ein Mann mit langen Haaren, der nur rohes Gemüse aß, während Karagiorgas und seine Freunde Lamm-Koteletts auf den Grill legten. Zu Vegetariern sind die Guerilla-Gärtner nicht geworden.

Der Großraum Thessaloniki hat etwa eine Million Einwohner. Karatasiou ist nur eine von mehreren leeren Kasernen in der Region. Im Kalten Krieg grenzte Nordgriechenland an Feindesgebiet. Kyriakos, ein Mann mit breiten Schultern, weiß noch, wie das damals war. Er hat in der Karatasiou-Kaserne seinen Wehrdienst abgeleistet. "Pioniere waren hier", sagt er. Und ganz früher die Kavallerie. Kyriakos findet immer wieder alte Hufeisen im Gras.

Gern würden sie ein paar der Gebäude renovieren. Schon vor den Perka-Leuten gab es einen Karatasiou-Kulturverein, der die leere Kaserne überhaupt erst entdeckte. Den leitet Sakis Lazaridis, 45, ein Experte für Fremdenverkehr. Der Grieche hat dem Finanzministerium in Athen bereits vorgeschlagen, die Garten-Kaserne in ein Ökotourismus-Projekt zu verwandeln. "Wegen der Krise können viele nicht mehr reisen, sie suchen Erholung in der Nähe", sagt Sakis Lazaridis. "Wir gehen hier nicht mehr weg, die Bürger werden die Kaserne verteidigen."

© SZ vom 10.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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