Koydls kleines Lexikon:Der Dalai Lama und der Boykott

In seinem etymologischen Wochenrückblick verschlägt es unseren Kolumnisten heute nach Nepal, Windsor und Bhutan.

So richtig britisch waren die beiden noblen Automarken Land Rover und Jaguar schon lange nicht mehr. Aber dennoch kam es für viele Briten als ein Schock, dass mit dem Unternehmen Tata ausgerechnet eine Firma aus der Ex-Kolonie Indien nach den Vorzeigeautomobilen aus dem Vereinigten Königreich griff und die Marken dem amerikanischen Ford-Konzern abkaufte.

Der Dalai Lama und der Boykott

Der Dalai Lama und der Boykott.

(Foto: Foto: dpa)

Vor allem Rover kann auf eine lange, wenn auch in den vergangenen Jahrzehnten nicht immer ruhmreiche Geschichte zurückblicken. Gegründet wurde die Firma, deren Name - vom Verb to rove abgeleitet - wörtlich "Umherstreifer, Wanderer" heißt, im Jahre 1883. In die Schriftsprache sind rove und rover über einen nordenglischen Dialekt eingewandert, der es aus dem von den Wikingern gesprochenen Nordischen importierte. Rafa bedeutete auch hier umherstreunen, also jene Tätigkeit, welcher die Wikinger nachgingen.

Die Firma Rover stellte zunächst ganz bescheiden Dreiräder her. Zwei Jahre später entwickelte das Unternehmen dann als Weltneuheit das Rover Sicherheitsfahrrad. Es zeichnete sich dadurch aus, dass Vorder- und Hinterrad im Gegensatz zu den gefährlich wackelnden Hochrädern in etwa gleich groß waren. So erfolgreich waren die Rover-Räder weltweit, dass im Polnischen und im Weißrussischen das Wort Fahrrad bis heute nach dem damaligen britischen Hersteller rower/rowar heißt.

Eher unsportlich und alles andere als cool begann auch Jaguar 1922 seine Existenz als Hersteller von Seitenwagen für Motorräder - und war denn auch als Swallow Sidecar Company nach Schwalben benannt und nicht nach einer amerikanischen Raubkatze. Erst 1945, als die Firma zum Autobau übergegangen war, benannte sie sich in Jaguar um.

Der Name des Tieres ist der südamerikanischen Guarani-Sprache entlehnt und spricht der zoologischen Klassifikation eigentlich Hohn. Denn obwohl der Jaguar neben dem Tiger, dem Löwen und dem Leoparden eine der vier Großkatzen ist, beschrieb yaguarete einen "wirklich furchterregender Hund".

Jamsedji Tata (1839 - 1904) wiederum hätte es wahrscheinlich auch nicht für möglich gehalten, dass die von ihm gegründete und nach ihm benannte Firma einmal Milliardensummen für britische Automarken ausgeben würde. Im Jahr 1903 gründete er mit dem Taj Mahal Hotel in Bombay die erste Unterkunft auf dem Subkontinent, in der auch Inder und nicht nur Europäer übernachten konnten.

Vier Jahre später kam ein Stahlwerk hinzu und heute ist Tata mit 98 Firmen in sieben Unternehmensbereichen Indiens größte Privatfirma. Die Tata-Familie gehört übrigens der religiösen Minderheit der Parsen an, zu deren berühmten Mitgliedern unter anderem der Dirigent Zubin Mehta und der Rockstar Freddie Mercury gehören.

Nicht nur Freunde mit seinen Vorschlägen zur Pendlerpauschale hat sich CSU-Chef Erwin Huber gemacht. Er trägt einen der häufigsten süddeutschen Nachnamen. In Bayern und Österreich bezeichnet man denn auch einen nervtötenden und umtriebigen Wichtigtuer als einen geschäftigen Huber - also einen Gschaftlhuber und keinen Gschaftlmeier.

Dass der Name so weit verbreitet ist, kann nicht weiter verwundern, wenn man weiß, woher er ursprünglich stammt. Ein Huber war jeder Bauer, der eine ganze Hube Land besaß. Dieses seit dem achten Jahrhundert verbürgte Grundmaß war je nach Lage und Bodenbeschaffenheit unterschiedlich groß, umriss aber im allgemeinen immer ein Areal, das groß genug war, um eine Familie zu ernähren. Auch Menschen mit Nachnamen wie Humer, Huemer, Haumer oder Huebmer sind übrigens letztlich Huber.

Tibet, das in der vergangenen Woche die Schlagzeilen beherrschte, haben wir ja schon behandelt. Aber auch zwei kleine Nachbarstaaten sind letzthin ins Schlaglicht der westlichen Aufmerksamkeit geraten. Bhutan, das mit seinen ersten freien Wahlen den Übergang zur Demokratie gewagt hat, ist sprachlich ein kleines Tibet. Bod ist der Name, den die Tibeter ihrem eigenen Land geben, und Tibeter waren es, die einst in Bhutan einwanderten. Die Bewohner Bhutans freilich haben in ihrer eigenen Sprache einen sehr viel ausdrucksvolleren Namen für ihr Land: Druk Yul - das Land des Donnerns oder des Drachens. Denn daran erinnern die gewaltigen Gewitter, die vom Himalaja herüberziehen.

Der Name Nepals, das die größten und gewalttätigsten pro-tibetischen Demonstrationen sah, ist hingegen recht umstritten. Legt man Sanskrit zugrunde, dann wäre Nepal das Land am Fuße der Berge - nipalaya. Man könnte den Himalaja-Staat daher auch als Piemont bezeichnen, so wie die am Fuße der Alpen gelegene italienische Provinz mit der Hauptstadt Turin. Auf Tibetisch wiederum steht niyampal für heiliges Land. Auch dies ergäbe Sinn, schließlich war Nepal der Geburtsort des Buddha. Schließlich gibt es noch die Theorie, dass das Land nach dem Volk der Nepa benannt wurde, die im Nepa-Tal, in dem die Hauptstadt Kathmandu liegt, das Newar-Königreich begründeten.

Eine zentrale Figur für jede Lösung des Tibetkonfliktes ist der spirituelle Führer des Landes, der Dalai Lama. Der Titel wurde erstmals 1578 von dem Mongolen-Khan Altan dem dritten Dalai Lama, Sonam Gyatso, verliehen. Dalai ist mongolisch und bedeutet dasselbe, was Gyatso auf Tibetisch bedeutet: Ozean. Lama wiederum (bla ma) ist das tibetische Äquivalent des indischen Guru - mithin ein spiritueller Lehrer.

Immer lauter wird unterdessen die Forderung nach einem Boykott der Olympischen Spiele in Peking. Ähnlich wie der verräterische Quisling und der unverzichtbare Melitta-Filter ist der Boykott nach einer real existierenden Person benannt: Captain Charles Cunningham Boycott, der in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts der Verwalter der Ländereien des Earl of Erne in der irischen Grafschaft Mayo war.

Die katholische irische Mehrheit hatte damals zu Protesten gegen britische Großgrundbesitzer aufgerufen, die in London residierten, und sich nicht um ihren Besitz in Irland scherten, außer den Pächtern horrende Pachtzinsen abzupressen. Der irische Führer Charles Stewart Parnell forderte, dass solche Grundbesitzer und ihre Repräsentanten "von anderen Menschen isoliert werden sollten wie einst die Aussätzigen". Genau dies widerfuhr dem Hauptmann Boycott, und weil sein Fall besonders spektakulär war, übernahmen die Londoner Zeitungen nach wenigen Wochen seinen Namen als Bezeichnung für diese Behandlung. Inzwischen sind so gut wie alle Sprachen der Welt gefolgt: vom italienischen boicottaggio bis zum kantonesischen bui got spricht die ganze Welt vom Boykott.

Bleiben wir zum Abschluss noch ein wenig in Großbritannien, wo der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und seine Frau Carla Gäste der Königin auf Schloss Windsor waren. Der gleichnamige Ort wurde 1060 zum ersten Mal als Windlesoran schriftlich erwähnt und beschrieb nichts anderes als ein Flussufer, wo es eine Seilwinde - windle - für Lasten gab. Schon 1086 wurde in der Gegend dieser Winde der Grundstein für die heutige Burg gelegt.

Da Orte mit Seilwinden an Flussufern im Mittelalter keine Seltenheit waren, gibt es mehrere Dörfer namens Windsor. Auch als Nachname ist Windsor weit verbreitet: Die wegen ihrer außergewöhnlich langen Zunge berühmte amerikanische Porno-Prinzessin Keri Windsor trägt ihn ebenso wie Elisabeth Windsor, vulgo die Queen. Ihr Familienname ist freilich relativ neu.

Erst unter dem Eindruck antideutscher Ressentiments auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkrieges änderte die britische Königsfamilie auf Geheiß von König Georg V. am 17. Juli 1917 den Familiennamen vom teutonischen Sachsen-Coburg-Gotha ins unverfängliche - und für englische Zungen geschmeidigere - Windsor ab. Der Namenswechsel veranlasste den ansonsten nicht für seinen Humor bekannten deutschen Kaiser Wilhelm II. zu einem seltenen Witz: Er freue sich, so spottete er, schon jetzt auf die nächste Aufführung von William Shakespeares Komödie "Die lustigen Weiber von Sachsen-Coburg-Gotha".

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