Konsequenzen aus dem Germanwings-Absturz:Zwei im Cockpit - eine Lösung?

General view inside an Airbus A350 at the final assembly line at

Das Cockpit eines Airbus A350: Nach der Tragödie um Flug 4U9525 suchen Airlines nach Möglichkeiten, die Flugsicherheit zu verbessern.

(Foto: dpa)
  • Deutsche Fluglinien sind sich offenbar über ständige Doppelbesetzung in Cockpits einig.
  • In den USA gibt es bereits eine ähnliche Regel, die aber unterschiedlich interpretiert wird.
  • Die Maßnahme erweitert das Sicherheitssystem um die Kontrolle des Piloten.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Keine Sekunde mehr allein: Noch ist es nicht offiziell, doch auf Flügen deutscher Airlines werden künftig wohl ununterbrochen zwei Crewmitglieder im Cockpit sitzen. Am Freitag treffen sich die Firmenvertreter mit dem Luftfahrt-Bundesamt, um über die neuen Regeln zu sprechen.

Matthias von Randow vom Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft bestätigte am Donnerstagabend der dpa den Schritt. Air Berlin hat offenbar bereits eine Anweisung an die eigenen Mitarbeiter herausgegeben. Lufthansa-Chef Carsten Spohr wollte die Branchen-Konsequenz aus den Germanwings-Absturz in den ARD-Tagesthemen noch nicht verkünden ("Wir werden die Lehren ziehen, die zu ziehen sind"). Unterdessen haben die Fluglinien Easyjet, Norwegian Air Shuttle und Icelandair ebenfalls eine Zwei-Piloten-Regel angekündigt.

Die deutschen und europäischen Luftfahrtregeln sehen eine ständige Doppelbesetzung bislang nicht vor. Auch deshalb konnte sich Copilot Andreas Lubitz nach Angaben der französischen Staatsanwaltschaft womöglich alleine im Cockpit verbarrikadieren und das Germanwings-Flugzeug vor dem Absturz de facto entführen.

Amerikanische Vorschrift ist unkonkret

Anders als in Europa existiert in den USA eine entsprechende Vorschrift für jene Situationen, in denen einer der Piloten das Cockpit verlässt. Die Flugaufsichtsbehörde Federal Aviation Administration (FAA) verlangt eine Doppelbesetzung allerdings nur indirekt, vielmehr müssen die Fluggesellschaften folgendes nachweisen: "Prozeduren für Flugcrews mit zwei Personen, wenn ein Besatzungsmitglied das Cockpit verlässt (zum Beispiel: Ein Flugbegleiter oder eine andere vorgesehene Person muss die Tür verriegeln und im Cockpit bleiben)".

In der Praxis setzt sich auf US-Flügen ein Flugbegleiter während der Abwesenheit eines der beiden Piloten ins Cockpit. Eine andere gängige Variante: Ein Flugbegleiter versperrt den Passagieren den Zugang zur vorderen Toilette mit einem Servierwagen und behält das Geschehen im Blick, während der austretende Pilot sein Geschäft erledigt.

Letzteres würde einen Sabotage-Piloten im Cockpit nicht an seiner Tat hindern. Der Fehler liegt nicht im System, da das System primär gar nicht auf fehlgeleitete Crew-Mitglieder zielt: Die Regeln entstanden vor allem als Schutzmechanismus gegen Passagiere, die Kontrolle über ein Flugzeug erlangen wollen - eine Konsequenz aus dem 11. September. Sie etablieren quasi einen Türsteher zwischen Cockpit und Passagierkabine.

Die Sicherheitskonzepte von damals hat der Germanwings-Absturz - nach jetzigem Wissensstand - gegen sich selbst gekehrt: Die massive Cockpit-Tür bietet aus diesem Blickwinkel keinen Schutz vor Entführern, sondern einen Schutz für den Entführer. In einem solchen Szenario wird das Training für internationale Piloten, sich mit der Verriegelung der Tür gegen Eindringlinge zu wehren, zum nützlichen Kniff für Sabotage-Akte.

Logik des Verdachts

Nach dieser Logik, die traumatisierenden Einzelfällen entspringt, ist jeder verdächtig: Das Steuer des Flugzeuges muss vor terroristischen Passagieren, aber auch vor kriminellen Piloten geschützt werden. Eine der unsichtbaren Folgen des Absturzes ist das unterbewusste Misstrauen, das er erschafft. Zwischen Passagieren und den Piloten, vor allem aber innerhalb der Crews. Sie müssen auf ein Ereignis, das an Gewissheiten ihrer täglichen Arbeitsweise und -sicherheit nagt, mit stärkerer gegenseitiger Überwachung reagieren.

Die Doppelbesetzung fußt auf der Idee, mit sozialer Kontrolle Risiken zu mindern. Wer sich des Flugzeugs bemächtigen möchte, muss nun gewaltsam jemanden aus seinem Team ausschalten - und riskiert dabei, überwältigt und bestraft zu werden. Das Gegenargument: Wer sich und seine Passagiere in den Tod schicken möchte, besitzt womöglich genügend kriminelle Energie, körperliche Gewalt einzusetzen.

Eine weitere Routine?

Nach dem Schock vom Dienstag klingt es wie ein schwacher Trost, aber Passagiere werden lernen, einen vom Piloten gezielt herbeigeführten Absturz als weiteres mögliches, aber unwahrscheinliches Horrorszenario der Luftfahrt einzuordnen. Die europäischen Flug-Teams werden eine weitere Routine erlernen, wie bereits ihre US-Kollegen.

Ob die Vorkehrungen erfolgreich sind, wird kaum nachzuweisen sein. Nicht verübte Verbrechen sind nicht messbar, der Anteil gefährdeter Piloten dürfte ohnehin verschwindend gering sein (und ist durch psychologische Maßnahmen wahrscheinlich weiter senkbar).

Am Ende folgt die Einführung der Doppelbesetzung dem unveränderten Ziel der Flugsicherheit: Mögliche Katastrophen so unmöglich zu machen, wie es nur geht.

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