Köln:Schwarzer Humor

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Die "Mottowoche" nehmen Schüler in Köln gerne zum Anlass, andere Schüler zu ärgern. Besonders martialisch inszenierte sich diesmal eine Gruppe namens "Kölsche Gören und Buben" (KGB). (Foto: Facebook)

Dunkle Fahnen, vermummte Gesichter, gebrochene Knöchel: Die sogenannte "Mottowoche" ist einigen Kölner Abiturienten ziemlich aus dem Ruder gelaufen. Warum nur?

Von Christoph Dorner und Anna Dreher

Von den Videos ist in Köln eigentlich keiner wirklich überrascht gewesen. Das kannten sie ja schon aus vergangenen Jahren, auch wenn die Aufnahmen dieses Mal martialischer waren als sonst: Vermummte Schüler, die in schwarzen Kapuzenpullis mit verschränkten Armen wie eine Gang zusammenstehen, manche mit großen Fahnen in der Hand, einer von ihnen zieht eine Waffe und hebt provokant den Kopf. Ein Vorschlaghammer wird durch eine alte Fabrik gezogen, an einem Messer baumelt ein brennender Flyer mit dem Konterfei von Erich Kästner, Namensgeber eines Kölner Gymnasiums, unterlegt von dramatischer Musik: alles Ausschnitte aus Videos, die von Abiturienten verschiedener Kölner Gymnasien auf Youtube hochgeladen wurden, als Einleitung in die Mottowoche für den traditionellen Abischerz. Lustig war es dieses Jahr allerdings von Anfang an nicht.

Normalerweise treffen sich in der letzten Schulwoche vor den Osterferien angehende Abiturienten nachts vor ihren Schulen. In einer Art sportlichem Kräftemessen werden Wasserbomben geworfen, es wird mit Wasserpistolen geschossen, Ziel ist es, andere Schulgelände zu erobern und mit Kreideschriftzügen oder Aufklebern zu markieren. Ein Foto beweist die Eroberung des Terrains, mehr musste nicht passieren. Am Ende gewann eine Schule und die Abiturprüfungen wurden geschrieben.

In der Nacht von Montag auf Dienstag aber flogen bei einem Treffen von etwa 200 Abiturienten verschiedener Kölner Gymnasien nicht nur Wasserbomben durch die Luft. Einige warfen mit Glasflaschen, Feuerwerkskörpern und Steinen, bis die Polizei einschritt. Zwei 18-Jährige wurden so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus mussten; einer erlitt einen Schädelbasisbruch, der zweite Knochenbrüche im Gesicht. "Der Schock in der Schülerschaft ist groß", hatte der stellvertretende Schulleiter des Humboldt-Gymnasiums, Michael Wittka-Jelen, am Mittwoch der Kölnischen Rundschau gesagt. Seitdem will er gar nichts mehr sagen.

"Wir sind alle total überrascht. Die Mottowoche ist eigentlich lustig gemeint, jeden Tag verkleidet man sich anders - wie das in Köln halt so ist", sagt Noah Gottschalk, Schülersprecher des Humboldt-Gymnasiums. "Wer alles dort war und warum es so eskaliert ist, weiß ich nicht. Ich war selbst nicht dabei." Natürlich gebe es Rivalitäten zwischen den Kölner Gymnasien, aber die drehten sich eher um die Frage, wer die besseren Schüler hat. Nicht darum, wer am gewalttätigsten ist.

Die Kommunikation wird immer schneller, die Polizei tut sich immer schwerer

Schon 2014 musste die Polizei bei den Kölner Abischerzen wegen Sachbeschädigung einschreiten. Von der Bezirksregierung wurden die Schulleitungen damals angewiesen, mit den Schülern zu sprechen, um künftige Ausschreitungen zu vermeiden. Und jetzt? "Zu den Prüfungen werden trotzdem alle Schüler zugelassen. Das Ganze fand außerhalb der Schulzeiten und abseits des Schulgeländes statt. Die Schule kann höchstens eine Ordnungsstrafmaßnahme verhängen", sagt Freia Johannsen, Sprecherin der Bezirksregierung.

Das Phänomen der Abiturstreiche existiert seit der Siebzigerjahre, damals habe sich das hierarchische Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern entspannt, sagt Katrin Bauer vom Bonner Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, die auf diesem Gebiet forscht. "Den angehenden Abiturienten ging es seitdem immer darum, in einer Phase extremer Unsicherheit die eigenen Grenzen auszuloten." In Köln sei durch die vielen Gymnasien im Stadtgebiet über die Jahre eine Überidentifikation mit der eigenen Schule entstanden. Sie könnte dafür gesorgt haben, dass die Rivalität unter den Schülern nun eskaliert ist, glaubt Bauer.

Ihr ist aufgefallen, dass die Selbstinszenierungen der Abiturienten durch Subkulturen nicht nur immer drastischer, sondern wegen der technischen Hilfsmittel auch immer professioneller geworden sind. Dass Schüler vom Erich-Kästner-Gymnasium mittlerweile sogar Kamera-Drohnen benutzen, um Videos ins Netz zu stellen, die mit der Ästhetik von Gangsta-Rap und Hooligan-Kultur spielen, wundert Bauer nicht. Auch die Kommunikation unter den rivalisierenden Schülergruppen ist dank Messenger-Diensten wie WhattsApp immer schneller geworden. Seit sich die Abiturstreiche nicht nur in Köln nach Alkoholvorfällen in den Schulen immer mehr auf die Straße verlagert haben, tut sich auch die Polizei mit dem Phänomen tumultartiger Flashmobs schwer.

Erst am vergangenen Wochenende hatten sich in München in zwei Fällen Jugendliche im Internet zu Massenschlägereien verabredet. Und in Düsseldorf ist, wie ein Polizeisprecher am Donnerstag bestätigte, der Hausmeister einer Schule zusammengeschlagen worden, als er nachts verdächtige Personen auf dem Gelände bemerkt hatte; es handelte sich laut Polizei um Schüler anderer Schulen. In Köln könnten sich unter die Wasserbomben werfenden Abiturienten auch vermummte Gewalttäter gemischt haben, vermutet die Polizei. Einige Eltern werfen den Beamten nun vor, bei den Schülerausschreitungen zu spät reagiert zu haben. Und auch manche Schüler kritisieren die Geschehnisse: Der Abischerz sei zu weit gegangen - von denjenigen, die Gewalt ausgeübt oder dabei zugeschaut haben, seien alle enttäuscht. "Ihr habt applaudiert, als Leute von uns blutend auf dem Boden lagen", heißt es in einem am Dienstag auf Facebook veröffentlichten Eintrag der zwölften Stufe des Humboldt-Gymnasiums. "Eine genauso große Enttäuschung ist die Polizei. Als wir euch um einen Krankenwagen und Hilfeleistung baten, habt ihr lediglich gesagt: Wir müssen zunächst die Situation einschätzen." Der Polizeisprecher Thomas Held bemühte sich am Donnerstag um Beruhigung: Man werde den Einsatz lückenlos aufklären, sagte er.

Am Donnerstag meldete sich außerdem Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker zu Wort: Früher habe man von einem "Reifezeugnis" gesprochen, sagte sie dem Express, "hier ist die Unreife offenkundig". Und: "Es handelt sich um Wohlstandsverwahrlosung." So gesehen könnte die Mottowoche 2016 ein Thema liefern, das weit über die Kölner Grenzen hinaus geht.

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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