Köln:Eine Million gegen Möwenkot

Exklusive Begehung des neuen Kölner Rheinboulevards Eröffnung geplant für Sommer 2015 Köln 21 04

Was sieben Rheinbrücken nicht schafften, soll die neue Treppe bringen: Der oft verschmähte Osten Kölns soll besser dazugehören.

(Foto: Future Image/imago)

Der protzige Rheinboulevard hat in Köln längst viele Feinde. Doch nun gibt es noch einen Treppenwitz: die extremen Reinigungskosten.

Von Jannis Brühl, Köln

Auch die Schönheit von Beton hat ihren Preis. Im Fall des derzeit gewagtesten Bauprojekts in Köln, der Freitreppe am Rhein, liegt er bei 859 400 Euro pro Jahr. So viel kostet es, das gigantische Stufen-Gebilde am östlichen Flussufer gründlich sauber zu machen. Seit das Reinigungskonzept von Verwaltung und Stadtreinigung dem Stadtrat vorgelegt wurde, fragen sich die Kölner: Ist uns die Entfernung von ein paar Rotweinflecken so viel Geld wert?

Es geht um die Promenade des einst industriell geprägten Deutz, eines Stadtteils, dessen Name klingt, als würde ein Sack voll nasser Wäsche auf den Boden plumpsen. Der "Rheinboulevard" und seine Stufen zum Wasser sollen dem Viertel einen besseren Klang geben. Noch in diesem Jahr soll Eröffnung sein. Dann können Einwohner und Touristen auf die Altstadt und den Dom schauen, nach lokaler Überzeugung das schönste Panorama des Landes. Die Treppe soll eine Tribüne sein für das Spektakel, das Köln ist.

Der Baudezernent vergleicht das Projekt mit der Spanischen Treppe in Rom

Die Stufen erstrecken sich über einen halben Kilometer, 10 000 Menschen sollen drauf passen, seit vier Jahren wird gebaut. Insgesamt kostet der Rheinboulevard 24,8 Millionen Euro - ohnehin mehr als ursprünglich geplant. 10 Millionen trägt die Stadt selbst, dabei hat sie sogar im klammen Nordrhein-Westfalen eine überdurchschnittliche Pro-Kopf-Verschuldung. Weil der Kölner aber nicht zur Bescheidenheit neigt, wenn er über die eigene Stadt spricht, vergleicht der Baudezernent die neue Freitreppe auch mal mit der Spanischen Treppe in Rom.

Die regelmäßige Reinigung wird nach dem Plan der Verwaltung und Abfallwirtschaftsbetrieben (AWB) im Morgengrauen beginnen, bis zehn Uhr soll alles sauber sein: Per Nassreinigung entfernt der Putztrupp laut Konzept "Tauben- und Möwenkot (auch auf den Geländern), Urin, Getränkereste, Staub und losen mineralischen Belag". Zweimal pro Woche kommt ein "Graffiti-Fahrzeug" zum Einsatz gegen versprühte Farbe. Mal ganz abgesehen davon, dass die Stufen auch gegen Hochwasser geschützt werden müssen.

Aber muss das Kosten verursachen, die Richtung eine Million Euro gehen? CDU, Linke und Grünen wollen sich im beginnenden Wahlkampf für die Oberbürgermeisterwahl im September als verantwortungsbewusst präsentieren: Sie fordern mehr Transparenz. Die Grünen haben die Reinigungskosten deshalb auf die Agenda der nächsten Stadtratssitzung gesetzt. Aus der regierenden SPD heißt es, das "Jahrhundertprojekt" dürfe nicht kaputtgeredet werden. Die Stadt lässt das Reinigungsbudget jetzt aber noch einmal nachrechnen.

Mittlerweile haben die AWB aufgeschlüsselt, was sie so alles für die Reinigung brauchen: Nass-Sauger, Hochdruckreiniger, Kaugummi-Entferner. Die genaue Kalkulation wollen sie nicht offenlegen, damit private Wettbewerber nicht zu viel erfahren. Als Unternehmen in öffentlicher Hand konnte die AWB den Auftrag ohne Ausschreibung erhalten. In sozialen Netzwerken bieten unterdessen Kölner spaßeshalber ihren Kehrdienst an, nach dem Motto: Für 860 000 Euro mach ich euch die Treppe auch sauber.

Architektonische Aufwertung wie jene in Deutz muss in Köln mehr leisten als anderswo. Kaum eine Großstadt hat so viele Bausünden wieder gut zu machen, die über Jahrzehnte begangen wurden. Der Spiegel schrieb schon 1956 über den Kölner Wiederaufbau nach dem Krieg, nicht nur einmal hätten "die Baumeister eine verblüffende Begabung bewiesen, mit sicherem Griff das Bizarre zu tun". Treppe und Boulevard haben aus Sicht der Stadtoberen aber eine noch tiefere Bedeutung: Es geht um nicht weniger als die Einheit der Stadt. Zu Beginn des Baus verkündeten die Planer, er solle "die beiden Uferseiten des Rheins auf gleiche Augenhöhe bringen". Was sieben Brücken über den Rhein nicht geschafft haben, soll die Treppe möglich machen: "Der Rheinboulevard macht das immer stärkere Zusammenwachsen der beiden Hälften Kölns deutlich."

Und wenn der Wind den Müll einfach nach Düsseldorf trägt?

Die Treppe ist zentraler Bestandteil der Aufwertung der "Schäl Sick", jener Stadtteile, die östlich des Rheins liegen. Die werden von den Kölnern auf der Westseite gerne ignoriert. Der Westen hat die Altstadt und den Dom. Auf der "Schäl Sick", der falschen Seite, dagegen heißen die Stadtteile Porz, Kalk oder eben Deutz, sie gelten vielen als trist und weniger lebenswert. Das ist nicht ganz fair, besonders Deutz mit seinen leer stehenden Fabriken aus Backstein hat durchaus Williamsburg-Potential: Es erinnert ein wenig an jenes alte Hafengebiet im New Yorker Stadtbezirk Brooklyn, das zum Inbegriff urbanen Stils geworden ist. Und wenn man sich im Baufieber schon mit Rom vergleicht, warum nicht auch mit New York? Längst haben Künstler alte Deutzer Fabrikhallen übernommen.

Soeben haben Lokalpolitiker dafür plädiert, die Treppe schon früher zu eröffnen als, wie ursprünglich geplant, im Herbst. Dann könnten die Kölner sich schon in diesem Jahr in die Sonne setzen, und der tatsächliche Reinigungsaufwand würde bald klar. Auch Claus Vinçon von den Kölner Grünen sagt, man müsse nach einem halben Jahr "evaluieren". Aber die Alternative zum gründlichen Reinigen sei nun einmal, dass der Wind den Müll in den Rhein trage. Und der werde dann nach Düsseldorf geschwemmt. Das zu verhindern, ist Düsseldorfs Erzrivalen Köln erstaunlich viel Geld wert.

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