Knochenmarkspende:Passende Knochenmark-Spender melden sich nicht bei todkrankem Jungen

DKMS Life Science Lab in Dresden

Perfect Match? Blutproben potenzieller Spender.

(Foto: Oliver Killig/dpa)

Jamie ist fünf Jahre alt und hat Leukämie. Eine Knochenmarksspende würde ihm helfen - und tatsächlich wurden passende Spender gefunden. Doch sie sind nicht zu erreichen. Die Geschichte einer Familie, die bangen muss.

Von Christina Berndt

Sie ist nur die dritte Wahl, aber Jamies Mutter ist da. Sie ist eine greifbare, reale Chance für ihren sterbenskranken Sohn, dem die Chancen in den vergangenen Tagen mehr und mehr abhandenkamen. "DIE SUCHE HAT EIN ENDE !!!!", schrieb Jamies Vater Klaus Neiss am Montagabend auf der Facebook-Seite "Hilfe für Jamie". Die Mutter werde ihrem an Leukämie erkrankten Kind Stammzellen spenden. Ihre genetische Ähnlichkeit zu ihrem Sohn reiche aus. Das sei eine "wundervolle Nachricht", so der Vater.

Zwischen Hoffnung und Verzweiflung pendeln die Gefühle der Familie Neiss aus Worms schon seit Anfang Februar. Als sie Fastnacht feierten, bekam Jamie so starke Schmerzen, dass sie in die Klinik gingen. Seither steht fest: Der Fünfjährige leidet an einer besonders aggressiven Form von Leukämie, einer AML. 208 000 weiße Blutkörperchen fanden Ärzte in jedem Mikroliter seines Blutes, normal wären maximal 11 000 gewesen. Überleben kann Jamie nur, wenn ihm jemand Stammzellen spendet. Nicht irgendwelche. Die Zellen sollten seinen möglichst ähnlich sein, doch der perfekt passende Spender, ein "genetischer Zwilling", fehlt in Jamies Familie.

Dann, Anfang Mai, kam doch noch eine Nachricht, die zunächst erlösend klang: Über das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland (ZKRD) fanden sich tatsächlich drei Spender für Jamie, die bestens zu passen schienen. Doch bis heute reagierte keiner der drei möglichen Retter auf die Anfrage. Sein Entsetzen darüber drückte Jamies Vater auf Facebook aus: "Es ist für uns unvorstellbar, dass sich Menschen als Stammzellenspender registrieren, die Chance haben einem Menschen das Leben zu retten und sich dann einfach nicht melden." Die Empörung im Netz über die unauffindbaren Lebensretter ist seither groß.

Jederzeit könne die Spende platzen

Sonja Schlegel vom ZKRD versucht zu beruhigen: Wenn beim ersten Blick in das Register mögliche Spender gefunden würden, gehe es erst einmal nur um Wahrscheinlichkeiten, betont sie. "Oftmals müssen weitere Gewebemerkmale bestimmt werden, und wenn die Spender zustimmen, sind medizinische Untersuchungen nötig."

Jederzeit könne die Spende noch platzen - aus medizinischen Gründen ebenso wie aus organisatorischen oder persönlichen. Viele Spender hätten sich schon vor Jahren registrieren lassen. Zwar würden sie angehalten, Adressänderungen mitzuteilen, zwar dürfe auch beim Einwohnermeldeamt nachgeforscht werden, aber immer könne es sein, dass sie inzwischen im Ausland leben, eine Reise unternehmen oder selbst krank geworden sind. "Man kann da niemandem einen Vorwurf machen, weder der Person noch der Datei, in der sie registriert ist", sagt Schlegel.

Auch die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS), die größte der 26 deutschen Dateien mit ihren insgesamt 6,5 Millionen Registrierten, möchte die Emotionen dämpfen: "Wir haben bestens gepflegte Datensätze, aber die Menschen entscheiden letztlich selbst, ob sie auf Anfragen antworten", sagt Sprecher Klaus Ludwiczak. Die Spende sei schließlich vollkommen freiwillig. Dennoch ist die DKMS stolz auf ihre geringe Widerrufquote "von unter einem Prozent". Das liege auch an der guten Aufklärung, sagt Ludwiczak: "Wir informieren die Menschen intensiv darüber, was im Fall einer Spende auf sie zukommt."

"Mit einem genetischen Zwilling haben bis zu 80 Prozent der Patienten eine Chance"

Für die Aufnahme in eine Kartei muss man nur ein Wattestäbchen mit Speichel tränken oder etwas Blut abgeben. Die Spende selbst ist etwas komplizierter. Wie aufwendig, hängt von den Vorlieben des Spenders und vom Krankheitsbild des Empfängers ab: Für eine Knochenmarktransplantation wird dem Spender unter Vollnarkose Knochenmark aus dem Becken entnommen. Komplikationen können vor allem wegen der Narkose auftreten. Üblicher ist aber die Spende von Stammzellen aus dem Blut, die mit Grippesymptomen einhergehen kann. Dazu bekommt der Spender mehrere Tage lang Wachstumsfaktoren gespritzt, damit Stammzellen vom Knochenmark ins Blut übertreten. Er muss dann nur noch Blut spenden.

Jamies Mutter werden die etwaigen Nebenwirkungen egal sein. Es wird höchste Zeit. Die Krankheit ihres Jungen ist so weit fortgeschritten, dass das Warten auf einen besseren Spender keine Option mehr ist. Ob die Mutter Jamies Leben retten kann, können die behandelnden Ärzte an der Uniklinik in Heidelberg nicht sagen. Ungewiss bliebe aber auch der Ausgang einer perfekten Spende: "Mit einem genetischen Zwilling haben bis zu 80 Prozent der Patienten eine Chance auf ein neues Leben", sagt DKMS-Sprecher Ludwiczak.

Immer bleibt die Gefahr, dass sich die Zellen doch nicht mit dem neuen Körper vertragen. Der Patient kann das Transplantat abstoßen, umgekehrt können auch die gespendeten Zellen einen zerstörerischen Kampf gegen den Körper beginnen, so wie es bei Guido Westerwelle der Fall war, der im März 54-jährig an Leukämie starb. Für den FDP-Politiker war ein nahezu perfekter Spender gefunden worden. Doch dieser trat zurück, die Ärzte akzeptierten eine andere Person.

Nur eines ist sicher: Die Chance der Kranken steigt mit jedem Menschen, der sich als Knochenmarkspender registrieren lässt. Jeder siebte Patient findet derzeit keinen Spender. Nicht einmal einen, der in dem Moment, in dem große Hoffnungen auf ihm liegen, vielleicht gerade nicht erreichbar ist.

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