Klage:Die Kontoinhaberin

80-jährige zieht vor BGH

Hinter Klarsichtfolie verwahrt Marlies Krämer ihre Unterlagen - auch die unfreundlichen Leserbriefe.

(Foto: Oliver Dietze/dpa)

Auch wenn manche über sie lachen oder ihre Klage gegen die Sparkasse als Firlefanz abtun: Seit fast 30 Jahren kämpft Marlies Krämer für eine weiblichere Sprache. Ein Besuch bei einer Unbeirrbaren.

Von Gianna Niewel

Marlies Krämer hat ihren Rollator beladen. Zwei Tassen, eine Kaffeekanne, ein Stapel Zeitungen, Leserbriefe, die sie ausgeschnitten hat und in Klarsichtfolie gepackt. Sie schiebt den Rollator bis an den Wohnzimmertisch und lässt sich auf die Sitzbank fallen. Packt die Leserbriefe aus. Und schaut sie an, als lese sie sie zum ersten Mal.

"Unfassbar, was Mann in einem Satz alles falsch machen kann", Saarbrücker Zeitung, 22.2.18

Marlies Krämer begann zu kämpfen, als sie 1990 einen Reisepass beantragen wollte. Im Rathaus in Sulzbach im Saarland sollte sie auf einer Linie unterschrieben, darunter stand "Der Inhaber dieses Ausweises". Sie unterschrieb nicht. 1998 kämpfte sie dagegen, dass Hochdruckgebiete immer nach Männern benannt werden, Tiefdruckgebiete nach Frauen. Sie war nicht einverstanden. Vergangene Woche dann fuhr ihr Sohn sie nach Karlsruhe, Bundesgerichtshof, Saal N004. Dort kämpft Marlies Krämer gemeinsam mit ihrem Anwalt gegen die Sparkasse Saarbrücken, die sie in Formularen als Kunde bezeichnet, als Kontoinhaber, Kreditnehmer, Sparer. Marlies Krämer sagt: "Ich bin eine Sparerin."

Sparer, Sparerin. Dazwischen liegen zwei Buchstaben. Für Marlies Krämer liegt dazwischen eine Welt.

Krämer zieht den nächsten Leserbrief aus der Klarsichtfolie. Mit blauem Kuli hat sie das Datum daneben notiert, ihre Schrift ist zittrig geworden mit den Jahren.

"Das Gericht muss sich mit dem Firlefanz beschäftigen", Saarbrücker Zeitung, 23.2.18

Sie schenkt sich Kaffee ein. Über die Stofftischdecke hat sie eine Plastiktischdecke gelegt, falls sie was verschüttet. Tut sie nicht.

Natürlich sind ihr auch andere Dinge wichtig, gleicher Lohn für Frauen, gleiche Renten, gleiche Berufschancen, aber das hängt doch alles mit der Sprache zusammen. Eine Gesellschaft formt ihre Sprache und Sprache formt eine Gesellschaft. Gerade hängt die Sprache dem gesellschaftlichen Wandel nach. So sieht Marlies Krämer das. Das ist das eine. Das andere: Selbst wenn andere der Meinung sind, ihr Anliegen sei Firlefanz verglichen mit etwa dem Lohnunterschied. Darf man vermeintlich kleine Probleme nicht lösen, nur weil es größere gibt?

"Ich fühle mich nicht angesprochen", sagt Krämer. Und Wissenschaftler geben ihr recht

In Karlsruhe, vor Gericht, erklärte die Sparkasse ihre Formulare. Es sei in Deutschland üblich, die männliche Form generisch, also geschlechtsneutral zu verwenden. In Gesetzestexten, Geschäftsbedingungen, in vielen Verträgen. Marlies Krämer sagt: "Ich fühle mich nicht angesprochen." Und Wissenschaftler geben ihr Recht. Seit Jahrzehnten beschäftigen sie sich mit geschlechtergerechter Sprache, es gibt linguistische Studien, psychologische. Die Studien sagen, dass die generische Form nicht funktioniert. Wenn es heißt "der Arzt", denken die Menschen an einen Mann im Kittel. Wenn es heißt "der Richter", an einen Mann in Robe. Pilot, Professor, Bankdirektor, so geht das immer weiter. Frauen werden nicht mitgedacht.

Vor Gericht erklärte die Sparkasse, wieso sie weiter bei der ausschließlich männlichen Form bleiben möchte. Viele Formulare und Anträge seien kompliziert zu verstehen, sie würden noch komplizierter, wenn da stünde "Kontoinhaberinnen und Kontoinhaber". Außerdem müssten mehr als 1000 verschiedene Formulare geändert werden, bei der Sparkasse, bei anderen Banken.

Gewohnheiten zu ändern ist schwierig. Marlies Krämer findet, dass die meisten Menschen es sich zu leicht machen.

"Sollte Frau Krämer nicht wissen, womit sie sich ihre Zeit vertreiben soll, kann ich ihr Anregungen geben." Saarbrücker Zeitung, 22.2.18

Neben Marlies Krämer auf der Sitzbank türmen sich Kissen, auf die Blumenblüten gestickt sind. Sie knautscht eines zwischen Lehne und Rücken. Sie ist 80 Jahre alt. Sie hat Arthrose in den Beinen und Schmerzen in den Gesäßknochen, aber sie denkt gar nicht daran, sich ihre Zeit anders zu vertreiben, und vielleicht muss man mehr über sie wissen, um das zu verstehen. Ihr Vater war autoritär, er bestimmte, dass sie nach der Volksschule Verkäuferin lernen sollte. Sie hatte gute Noten, hätte gern Abitur gemacht. Ihr Mann war streng, er forderte, dass sie jede Mark, jeden Pfennig, den sie ausgeben wollte, erst mit ihm besprach und dann in ein Heft eintrug. Manchmal waren beide Männer noch autoritärer und strenger als sonst. Marlies Krämer trinkt deshalb keinen Alkohol.

Als ihr Mann starb, waren die Kinder zehn, acht, fünf und zwei Jahre alt. Es war eine Katastrophe, sagt sie. Jeden Abend musste sie sich aus dem Haus schleichen, um irgendwo in der Gegend zu putzen, zu kellnern, Geschirr zu spülen, und wenn sie nach Hause kam, konnte sie Frühstücksbrote schmieren. Aber der Tod ihres Mannes war auch ein Neuanfang. Als die Kinder erwachsen waren, schrieb sie sich für Soziologie an der Uni ein, zehn Semester. Sie weiß noch, dass sie Rosa Luxemburg las und dachte: "Was für eine Frau." Sie durfte zwar nicht abschließen, weil sie kein Abitur hatte, aber ihr ging es längst um etwas anderes. Sie hatte gemerkt, dass sie mehr kann, als man es ihr zutraute.

Am meisten ärgerte sie sich über die junge Frau, die sagte, sie sei "auch so" emanzipiert

Marlies Krämer liest nicht nur die Artikel und Leserbriefe, sie wird angesprochen. Männer verstehen oft nicht, was sie will, aber Männer werden in der Sprache auch immer genannt. Schlimmer fand sie eine Journalistin, vielleicht Ende 20, die habe ihr gesagt, Leserinnen, Leser, was soll's, ich bin auch so emanzipiert. Marlies Krämer lacht. Früher pfiffen ihr Männer nach und nannten sie "Fräulein", was sie nicht wollte. Heute wird sie manchmal "Dame" genannt, als habe sie ihre Haare zu Wasserwellen geschlagen und trage Samthandschuhe. Was sie nicht tut. Sie weiß, dass die Emanzipation nicht abgeschlossen ist.

Krämer schiebt die Texte zu einem kleinen Haufen zusammen. Neben ihr auf der Bank liegt die Saarbrücker Zeitung des Tages, die wird sie jetzt lesen, und ja, sie ahnt schon, dass wieder irgendjemand stänkert. "Das muss man aushalten." Sie sagt "man", nicht "ich". Dann sagt sie, dass sie froh ist, dass über das Thema gesprochen wird, nach all den Jahren, dass eine Änderung der Formulare überfällig ist.

In der Sache gegen die Sparkasse hat Marlies Krämer in erster Instanz verloren. In zweiter Instanz auch. Am 13. März erwartet sie das Urteil des Bundesgerichtshofs.

Sie ist zuversichtlich.

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